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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

„Herr Gott, ich, danke Dir, daß Du diesem Weibe (er meinte die Souffleuse) keine Kinder gegeben hast – sie würde Mörder zur Welt gebracht haben“ – da blieb „kein Auge thränenleer“ und er selbst lachte zuletzt mit. Am nächsten Morgen, wo eine Probe stattfand, war ich heimlicher Zeuge, wie Döring die „mörderische“ Souffleuse abstrafte. Sie nahte sich mit leidender Miene und geknicktem Wesen und stammelte eine Entschuldigung. Er sah sie stumm, aber mit zornfunkelnden Augen an. Der leidende Ausdruck in ihrem Gesichte nahm zu.

„Was haben Sie denn?“ fragte er endlich mit verhaltenem Ingrimm.

„Ach, ich bin so erschöpft, Herr Döring; Sie wissen ja, meine Collegin ist krank, und nun tagtäglich der anstrengende Dienst – wenn ich nur nicht auch krank werde!“

„Um Gotteswillen, das fehlte gerade noch! Weib, haben Sie denn Fleischextract zu Hause?“

„Nein, wozu das?“

„Zur Stärkung. Hier nehmen Sie einmal das Geld“ – und mit zitternden Händen öffnet er sein riesengroßes Portemonnaie – „und kaufen Sie sich nach der Probe sofort Fleischextract – ein Theelöffelchen, Liebe, in Bouillon gerührt – vortrefflich!“ Die Finger senken sich in die große goldene Dose, die er von Stawinsky geerbt, behaglich führt er den feinen französischen Schnupftabak zur Nase, deren Spitze zweimal die bekannte Wendung nach rechts macht – und aus war die Geschichte.

Der Name des verstorbenen Regisseurs der Hofbühne, Stawinsky, bringt mich auf ein geradezu staunenswerthes Talent Döring’s, nämlich die Nachahmung fremder Individualität bis zu erschreckender Aehnlichkeit. Man glaubt fast mit Stawinsky selbst zusammen zu sitzen, wenn Döring mit dessen Ton und Manieren von ihm erzählt. So lernten wir jüngeren Leute durch dieses Talent Döring’s die Heroen der deutschen Bühnenwelt, Ludwig Devrient, Seydelmann etc. etc. in lebensgetreuen Copien kennen, und wir wendeten nicht selten alle Schlauheit und List an, um ihn zu dergleichen Productionen zu bewegen. Oft wurden ganze Complote geschmiedet, um ihn zum Erzählen oder dergleichen zu veranlassen, und als besonders wirksam erwies es sich stets, wenn Dieser oder Jener in seiner Gegenwart etwas geradezu unmöglich nannte, was man ihm von Döring’s Talent erzählt.

„Wenn ich mir Ihr Gesicht ansehe,“ beginnt z. B. der Eine, „halte ich es für unmöglich, daß Sie in der That ohne Schminke und andere Hülfsmittel im Stande sein sollen, Friedrich’s des Großen Gesicht so gut nachzuahmen, wie mir dies erzählt worden ist.“

„Warum denn für unmöglich, lieber Freund?“ fragt Döring gereizt und mit überlegener Siegesgewißheit.

„Weil Ihr Kinn in seiner Bildung dieser charakteristischen Gesichtspartie Friedrich’s des Großen geradezu entgegengesetzt ist.“

Ueber Döring’s Gesicht fliegt ein mitleidiges Lächeln.

„Das verstehen Sie nicht, Lieber – dann drücke ich eben mein Kinn zurück.“

„Das Kinn zurückdrücken? Aber bester Herr Döring, das ist ja eben unmöglich.“

Döring springt nun, der Opposition müde, auf.

„Larifari, da sehen Sie her!“ und nun legt er wirklich die vor Erregung zitternde Hand auf sein Kinn, das sich wie ehrfurchtsvoll vor dem Drucke der Finger zurückzuziehen scheint, das ganze Gesicht verlängert sich um zwei Zoll und wir sehen plötzlich den scharf markirten Kopf des alten Fritzen mit den feuerflammenden Augen vor uns.

„Bei Gott,“ fährt der Andere bewundernd, aber seinem Systeme getreu fort, „Friedrich der Große! Aber wie es möglich ist, aus diesem Gesicht plötzlich das des ersten Napoleon zu machen, ist mir unbegreiflich.“

Döring antwortet durch die That. Mit einem raschen Griffe der rechten Hand ballt er die Haare auf der Stirn düster zusammen; ein Ruck mit den Schultern, der den Hals verkürzt, die Arme übereinandergeschlagen – und vor uns steht der große Schlachtenlenker, wie wir ihn so oft im Bilde gesehen haben.

Einen außerordentlich drastischen Abschluß erfuhr eine solche Scene einst hinter den Coulissen durch einen langjährigen Collegen Döring’s und bekannten Mitarbeiter dieses Blattes dadurch, daß dieser in dem Augenblicke hinzutrat, als Döring in angegebener Weise Friedrich den Großen nachahmte, und im Tone höchster Bewunderung ausrief:

„Vortrefflich! Napoleon, wie er leibt und lebt!“ –

Der geniale Künstler pflegt die vielen harmlosen Scherze, welche sich seine Collegen mit ihm im Vertrauen auf seine eigene Vorliebe für heiteren Verkehr erlauben, stets in gemüthlichster Weise aufzunehmen, wenn die Art, wie er die Anstifter eines Scherzes abfertigt, oft auch eine sehr drastische ist. So hat Schreiber dieses bei einer solchen Gelegenheit eine wohlapplicirte Ohrfeige von Döring erhalten, an die Geber und Empfänger sich noch jetzt nach Jahren bei ihrem öfteren Zusammentreffen in heiterster Weise erinnern.

Döring ist nämlich ausgesprochener Gourmand, und als er eines Tages während der Probe auf der bekannten Plauderbank des Schauspielhauses saß und seinen Collegen mit allen Finessen die Freuden eines genossenen Diners schilderte, kam plötzlich einer derselben auf den barocken Gedanken, ihn zu fragen, ob es wirklich wahr sei, daß er gern todte Seefische äße. Döring’s Gesicht war plötzlich ganz Abscheu und beleidigter Geschmack.

„Ich todte Fische?“ replicirte er gereizt. „Nein, lieber Freund, lieber vor Hunger sterben. Wenn Fische in mein Haus kommen, werden sie in’s Wasser gesetzt, und dann müssen sie mit dem Schwanze aufschlagen, daß das Wasser umherspritzt. Lebendig müssen sie sein, le-ben-dig, Lieber, oder sie existiren für mich gar nicht.“

Der Frager entfernte sich schweigend, doch schon nach wenigen Minuten trat auf sein Anstiften ein zweiter College mit derselben Frage zu Döring heran. Dieser schaute ihn einen Augenblick verblüfft und mißtrauisch an, als aber Jener ein ganz unverfängliches Gesicht machte, sagte er nach einer Pause:

„Ich begreife nicht, wie Ihr solche Dummheiten glauben könnt,“ und wiederholte nun mit einigen passenden Variationen die erste Antwort. Aber über ein Kleines erschien ein Dritter mit den „todten Seefischen“. Döring nahm eine gewaltige Prise, lächelte verächtlich und murmelte etwas von „dummen Jungens!“ Als aber ein Vierter und Fünfter mit der ominösen Frage herantraten, nahm er eine drohende Haltung an und suchte einen der Frager zu erwischen, um diese „Frechheit“, wie er sagte, „exemplarisch zu bestrafen“; allein dieselben entzogen sich dem angedrohten Gerichtsverfahren durch schleunige Flucht. Ich war während dieser ganzen Scene auf der Bühne thätig gewesen, als der Urheber des Scherzes in einer gerade eintretenden Probenpause zu mir trat und mich mit dem harmlosesten Gesichte anstiftete, Döring zu fragen, ob er gern todte Seefische esse. Ich vermuthete einen Scherz, wie er fast täglich vorkam, hatte aber natürlich keine Ahnung von der Ausdehnung desselben. In diesem Augenblicke trat Döring selbst aus der Coulisse auf die Bühne, und ich ging einige Schritte auf ihn zu. Er blieb stehen, musterte mich mit seinen durchdringenden Augen, und es schien fast, als habe er mir die ominöse Frage bereits von den Lippen abgelesen, denn er stand jetzt wie zum Sprunge bereit. Die ausdrucksvolle Mimik seines Gesichts belehrte mich zwar darüber, daß irgend etwas im Werke war, aber ich wollte nicht Spielverderber sein, und begann mit möglichst unbefangener Miene:

„Essen Sie denn –“ weiter kam ich nämlich nicht, denn mit jugendlicher Beweglichkeit hatte mich Döring bereits am Kragen gefaßt und mit dem Ausrufe: „Nein, lebendig müssen sie sein,“ verabreichte er mir zum Jubel der Umstehenden eine wohlgezielte Ohrfeige. – Ich brauche wohl kaum zu bemerken, daß diese Ohrfeige ebenso wenig ernsthaft gemeint war, wie die an ihn gerichtete Zumuthung der Vorliebe für todte Seefische.

Mit Genugthuung pflegte übrigens der Altmeister von einer anderen Ohrfeige zu erzählen, die er einst ausgetheilt. Er war in Hannover engagirt, und Iffland’s „Jäger“ sollten zur Aufführung kommen. Döring spielte den Oberförster, eine seiner Meisterleistungen, ein junger Mann den bösen Jägerburschen Mathes, der in der fünften Scene des ersten Actes von dem Oberförster verabschiedet wird. Wir müssen zum Verständnisse des Ganzen hier eine Stelle wörtlich citiren:

Oberförster: „Eure Zeit ist ohnedies heute ganz um.“

Mathes: „Herr Oberförster, ich nehme es an und ziehe gleich ab.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 552. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_552.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)