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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Eleonore, Du bist nicht wieder zu erkennen, seit jenem Tage, wo dieser – Rinaldo, ungeachtet aller Abweisungen, doch schließlich eine Unterredung mit Dir ertrotzte. Was eigentlich zwischen Euch Beiden vorgegangen ist, das weiß ich bis heute noch nicht; es hat schon Mühe genug gekostet, Dir das Geständniß zu entreißen, daß er überhaupt bei Dir war. Du bist nun einmal völlig unzugänglich in solchen Dingen, aber leugne es wie Du willst, seit der Stunde bist Du eine Andere geworden.“

„Es fiel durchaus nichts vor,“ beharrte Ella, „nichts von Bedeutung. Er verlangte das Kind zu sehen, und ich verweigerte es ihm.“

„Und wer steht Dir dafür, daß er den Versuch nicht wiederholt?“

„Reinhold? Da kennst Du ihn nicht! Ich habe ihn von meiner Schwelle gewiesen; jetzt betritt er sie sicher nicht zum zweiten Male. Er kannte von jeher Alles, nur das Eine nicht, sich zu demüthigen.“

„Wenigstens hatte er Tact genug, Mirando so bald wie möglich zu verlassen,“ sagte Erlau. „Diese Nähe wäre auch auf die Dauer nicht zu ertragen gewesen. Aber viel nützte uns seine Entfernung auch nicht, denn nun tauchte Marchese Tortoni auf, der Dir so ununterbrochen von seinem Freunde vorschwärmte, daß ich mich endlich genöthigt sah, ihm einen Wink zu geben, daß dieses Thema sich bei uns auch nicht der geringsten Sympathie erfreue.“

„Vielleicht thatest Du das zu deutlich,“ warf Ella leise hin. „Er hatte ja keine Ahnung davon, was er mit diesem Punkte berührte, und Deine schroffe Ablehnung desselben muß ihm nothwendig aufgefallen sein.“

„Meinetwegen! So soll er sich von seinem vielbewunderten Freunde den Commentar dazu geben lassen. Sollte ich es vielleicht dulden, daß Du eine stundenlange Verherrlichung Signor Rinaldo’s aushieltest? Freilich, hier sind wir nicht viel besser daran. Man kann ja keine Zeitung in die Hand nehmen, keinen Besuch empfangen, kein Gespräch führen, ohne auf diesen Namen zu stoßen; das dritte Wort ist Rinaldo. Er scheint es der ganzen Stadt angethan zu haben mit seinen Tönen und mit seiner neuen Oper, die man hier als eine Art Weltereigniß zu betrachten scheint. Armes Kind! und zu dem Allen mußt Du still halten, mußt es mit ansehen, wie dieser Mann in Siegen und Triumphen förmlich schwelgt, wie er den Gipfel des Glückes erstiegen hat und sich unangefochten dort behauptet.“

Die junge Frau stützte den Kopf in die Hand, so daß diese ihr Gesicht beschattete.

„Vielleicht täuschest Du Dich doch. Er mag berühmt und gefeiert sein wie kein Anderer, glücklich – ist er nicht.“

„Das freut mich,“ sagte der Consul heftig, „das freut mich ganz außerordentlich. Es gäbe auch kein Recht und keine Gerechtigkeit mehr in der Welt, wenn er es wäre. Und daß er Dich gesehen hat, so wie Du Dich jetzt zeigst, trägt hoffentlich auch nicht sehr zu seinem Glücke bei.“

Er war bei den letzten Worten aufgestanden und ging mit der alten Lebhaftigkeit im Zimmer auf und nieder. Es trat ein kurzes Stillschweigen ein, das Ella endlich unterbrach.

„Ich habe eine Bitte an Dich, lieber Onkel. Willst Du sie mir erfüllen?“

Erlau blieb stehen. „Gern, mein Kind. Du weißt, daß ich Dir so leicht nichts abschlage. Was wünschest Du?“

Ella hatte den Blick auf den Boden geheftet, und sie blickte auch nicht auf während des Sprechens.

„Es heißt, daß Rein – daß Rinaldo’s neuestes Werk übermorgen in Scene gehen soll“

„Ja wohl, und dann wird es vollends nicht mehr auszuhalten sein mit der Vergötterung,“ grollte Erlau. „Du wünschest dem ersten Lärm darüber zu entgehen? Ich begreife das vollkommen; wir wollen auf acht oder vierzehn Tage in das Gebirge fahren. So lange muß Doctor Conti mir Urlaub geben.“

„Im Gegentheil! Ich wollte Dich bitten – mit mir die Oper zu besuchen“

Der Consul blickte sie mit der Miene äußerster Befremdung an. „Wie, Eleonore? Ich habe wohl nicht recht gehört? Du willst an dem Tage in das Theater, das Du bisher entschieden geflohen hast, sobald der Name Rinaldo damit in Verbindung stand?“

Trotz der beschattenden Hand sah man es deutlich, wie die tiefe Röthe, die das Antlitz der jungen Frau färbte, bis zu den Schläfen emporstieg, als sie kaum hörbar erwiderte:

„Ich habe es nie gewagt, das Opernhaus daheim zu betreten, wenn seine Töne es beherrschten. War es mir doch immer, als müßten sich aller Augen auf mich richten und mich suchen, selbst im dunkelsten Hintergrunde unserer Loge. In Deinen Salons und in denen unserer Gesellschaftskreise hörte ich selten oder nie jene Compositionen. Man vermied sie, sobald ich zugegen war; man kannte ja das Geschehene und suchte mich in jeder Weise zu schonen. Ich habe es nie versucht, diesen Kreis schonender Rücksicht zu durchbrechen, den Ihr Alle um mich gezogen hattet, vielleicht war ich zu feig dazu, vielleicht auch verbittert. Jetzt,“ sie erhob sich plötzlich mit einer heftigen Bewegung und ihre Stimme gewann volle Festigkeit, „jetzt habe ich Reinhold wieder gesehen; jetzt will ich ihn auch in seinen Werken kennen lernen – ihn und sie.

Erlau blieb bei seinem Staunen; die Sache überraschte ihn augenscheinlich auf’s Höchste, aber man sah es deutlich, daß er nicht gewohnt war, seinem Lieblinge irgend etwas zu versagen, selbst wenn es ihm bedenklich erschien. Für den Augenblick jedoch wurde er einer directen Zusage enthoben, denn der Diener trat ein mit der Meldung, daß Doctor Conti soeben vorgefahren sei, und daß auch Herr Capitain Almbach sich im Empfangszimmer befinde.

„Dieser Capitain ist doch von einer beneidenswerthen Unbefangenheit,“ sagte der Consul. „Trotz allem, was zwischen Dir und seinem Bruder geschehen ist, macht er nach wie vor ganz ruhig sein Verwandtenrecht geltend, als wäre nicht das Geringste vorgefallen. Das kann auf der ganzen Welt auch nur Hugo Almbach fertig bekommen.“

„Siehst Du seine Besuche nicht gern?“ fragte Ella.

„Ich?“ Erlau lächelte. „Kind, Du weißt ja, daß er mich gerade so vollständig erobert hat, wie Jeden, den zu erobern er sich überhaupt vornimmt, vielleicht einzig meine Eleonore ausgenommen, vor der er einen ganz unglaublichen Respect zu hegen scheint.“

Damit nahm er den Arm seiner Pflegetochter und führte sie hinüber in das Empfangszimmer. Der ärztliche Besuch war nicht von langer Dauer und auch Hugo verließ nach einer halben Stunde bereits wieder das Erlau’sche Haus, das er allerdings öfter zu besuchen pflegte. Ob Reinhold davon wußte, ließ sich nicht entscheiden, jedenfalls vermuthete er es, aber es schien ein stillschweigendes Uebereinkommen zwischen den Brüdern zu sein, diesen Punkt nicht zu berühren. Es war nicht die Art des Capitains, sich in ein Vertrauen zu drängen, das ihm so hartnäckig und fortdauernd versagt wurde, und so folgte er denn dem Beispiele Reinhold’s, der über die Begegnung in der Locanda ein vollständiges Schweigen beobachtete, und den Namen seiner Frau und seines Kindes nicht mehr nannte, seit er wußte, daß sie sich in seiner Nähe befanden. Was sich eigentlich hinter dieser undurchdringlichen Verschlossenheit barg, das vermochte auch Hugo nicht zu enträthseln, aber er war überzeugt, daß es nicht der Gleichgültigkeit entstammte.

Der Capitain hatte die Wohnung seines Bruders erreicht und betrat jetzt sein eigenes Zimmer, wo er Jonas vorfand, der auf ihn zu warten schien. In dem Wesen des Matrosen lag heute entschieden etwas Ungewöhnliches; sein sonstiges Phlegma war einer gewissen Unruhe gewichen, mit der er wartete, bis sein Herr Hut und Handschuhe abgelegt und sich niedergelassen hatte. Kaum war dies geschehen, so kam er herbei und pflanzte sich dicht vor dem Stuhle des Capitains auf.

„Was giebt es denn, Jonas?“ fragte dieser, aufmerksam werdend. „Du stehst ja da, als beabsichtigtest Du eine Rede zu halten.“

„Das will ich auch,“ bestätigte Jonas, indem er sich halb feierlich, halb verlegen in volle Positur setzte.

„So? Das ist mir neu. Ich war bisher der Meinung, Du würdest eine äußerst schätzbare Acquisition für ein Trappistenkloster abgeben. Wenn aber angesichts all der classischen Erinnerungen hier der Rednergeist auch über Dich gekommen ist, so soll es mich freuen. Also beginne! Ich höre zu.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 556. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_556.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)