Seite:Die Gartenlaube (1874) 583.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Die neuerbaute Brücke über den Mississippi bei St. Louis.

den Zug zu beiden Seiten; dann wechselten Pfützen und Sümpfe, in denen eingestürzte Bäume vermoderten, mit Wiesenland, und dazwischen erschien von Zeit zu Zeit ein einsames Farmhaus. Einen merkwürdigen Anblick bot ein hoher, abgestorbener Baum, an welchem, ohne Zweifel von dem Besitzer des Landes angelegt, die Flammen hoch emporzüngelten, eine Riesenkerze eigener Art.

In vollendeter Klarheit ging der Tag auf über den weiten Ebenen von Illinois, und in ungetrübter Reinheit spannte sich der blaue Himmel eines indianischen Sommers über die gleichförmige Landschaft. Endlich, gegen drei Uhr Nachmittags, erreichte der Zug den Bahnhof am Ufer des Mississippi. „Ein sauberer Bahnhof das!“ sagt wohl der verwöhnte Europäer. Denn da ist nichts als ein langes Holzgebäude, vom Wetter und vom Kohlendampfe geschwärzt; darüber erheben sich Gruppen von alten, hohen Bäumen, nicht durch Kunst und zur Zierde dahin gepflanzt, sondern noch ein Rest des echten Urwaldes. Ein tiefer, schwärzlicher Staub bedeckt nicht nur den Boden, sondern mehr oder weniger Alles, was unseren Augen begegnet. Doch – nur wenige Schritte, und wir stehen im Freien. Das Ufer senkt sich rasch dem Strome zu, der in majestätischer Breite, aber schmutzig gelb seine Gewässer vorbeiwälzt, und jenseits dehnen sich, so weit die Blicke reichen, die Häuserreihen der großen Mississippistadt am Ufer aus. Auch dort hebt sich das Ufer und mit ihm die Häusermassen höher und höher, und über alle hoch empor ragt die Kuppel des stattlichen Courthouse, welches den Mittelpunkt der Stadt bildet.

Wie in dem amerikanischen Leben überhaupt die ungeschminkte Natur noch häufig mit der Cultur sich nahe berührt, wie in der Stadt St. Louis selbst sich unbebaute Stellen finden, wo die ursprüngliche Prairie noch erkennbar ist, so stoßen an dem gegenüberliegenden Ufer, das man vom Osten her zuerst erreicht, dicht an die kleinen Städte Illinoistown und Ost-St. Louis die Ponds oder seeartigen Teiche, an deren Rande noch die Reste des Urwaldes sich erheben. In derselben charakteristischen Weise bilden auch die beiden Stromesufer an dieser Stelle einen auffallenden Gegensatz.

Doch der Bus (Omnibus) erwartet uns, um uns an das andere Ufer zur Stadt zu bringen. Mehrere solcher Wagen stehen, alle mit vier Pferden bespannt, am Depôt (Bahnhof) bereit uns aufzunehmen. Wagen, Pferde, Passagiere, Alles ist mit Staub bedeckt. Nachdem wir eingestiegen sind, rasseln sie hintereinander her, über das holprichte Ufer zum Flusse hinab und im Galopp über die Landungsbrücke auf das Dampffährboot. Da stehen sie nun ruhig, bis das Boot, welches fast unmittelbar darnach vom Lande abstößt und den Strom unter dumpfem Gestöhne der Maschine kreuzt, nach einigen Minuten das andere Ufer erreicht hat. Dann geht es wieder im Galopp über die holprichte und staubige Levee (Uferstraße) von St. Louis hinauf in die Straßen der Stadt und zu irgend einem Gasthofe, den der Reisende verlangt. Die Fahrt sowohl im Omnibus als auf dem Fährboote, Alles ist mit dem Ticket, das man in New-York oder sonst wo gelöst hat, bereits bezahlt und verursacht keinen besonderen Aufenthalt und

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 583. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_583.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)