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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Illinoisfluß in den Mississippi mündet) von unten herauf bis zwei Fuß unter dem niedrigsten Stand des Wassers; darauf folgt Granit bis zu einer Höhe von zwei Fuß über dem höchsten Wasserstand, und zuletzt Sandstein. Die Brückenbogen selbst sind aus einer Anzahl hohler Cylinder von Gußstahl zusammengesetzt und tragen auf eisernen Balken zuerst einen fünfzig Fuß breiten Weg für die Eisenbahnen mit zwei Doppelgleisen, und achtzehn Fuß hoch darüber einen zweiten für das andere Fuhrwerk, vierunddreißig Fuß breit, mit je einem Fußweg von acht Fuß Breite zu beiden Seiten. Die Brücke setzt sich auf dem Lande nach beiden Seiten hin mit fünf steinernen Bogen von sechsundzwanzig Fuß Weite für den Eisenbahnweg, und über diesem mit zwanzig kleineren Bogen für den oberen Weg weiter und geht dann in der Stadt St. Louis in einen Tunnel von etwa einer englischen Meile Länge über, der in den großen Centralbahnhof mündet. Die Länge der ganzen Brücke vom östlichen Ufer an bis zur Einmündung in den Tunnel beträgt zweitausendzweihundertunddreißig Fuß. Sie wird von anderen in dieser Hinsicht wohl übertroffen, dagegen ist sie einzig durch die Weite ihrer Bogen und durch die Tiefe ihres Fundamentes. Die Kosten beliefen sich schon im Sommer des vergangenen Jahres auf mehr als sieben Millionen Dollars und werden wohl die Höhe von zehn Millionen erreicht haben.

Unberechenbare Vortheile erwartet man für die Stadt St. Louis von dieser neuen Riesenbrücke. Denn bei jenem ungeheueren Reichthum an Rohmaterial, wie Eisen, Kupfer, Kohlen etc., welcher den Staat Missouri auszeichnet, und der Lage im Mittelpunkte eines weiten Gebiets, dessen Handelswege alle hier zusammenlaufen, ist die dadurch vollbrachte Erleichterung des Verkehrs mit den weitreichendsten Folgen für die materielle Entwickelung dieses Theils der Vereinigten Staaten verknüpft. Von dem bisherigen Aufschwunge dieser Stadt mögen folgende wenige Thatsachen einen Begriff geben. Die Zahl der Eisenwerke und Hochöfen ist seit dem Jahre 1870 von elf auf dreiundvierzig gestiegen. Vierzehn Eisenbahnlinien münden in St. Louis, und acht andere sind theils projectirt, theils schon im Bau begriffen. Die Zahl der großen und prächtigen Mississippidampfer, welche jährlich ein- und auslaufen, beläuft sich auf nicht weniger als dreitausend. Die Bevölkerung der Stadt, welche von hundertsechszigtausend im Jahre 1860 auf dreihundertzehntausend im Jahre 1870 gestiegen war, wird jetzt bereits auf vierhundertfünfzigtausend geschätzt.

Schon vorher war der Anblick der Stadt St. Louis von dem jenseitigen Ufer des Mississipi her ein wenn nicht gerade schöner, doch gewiß imposanter. Die Flußseiten großer Handelsstädte pflegen selten einladend oder schön auszusehen. Doch die Fahrt über die hohe Brücke, mit der an dem Ufer weithin ausgestreckten Stadt vor sich und dem gewaltigen Strom unter sich, hat jetzt den ersten Eindruck dieser Metropole des Westens zu einem wahrhaft großartigen erhoben.




Blätter und Blüthen.


Einer von der alten Garde. Wer im Laufe der letzten Jahrzehnte so glücklich war, die Perlen der schlesischen Bäder, Warmbrunn, Landeck oder Salzbrunn, besuchen zu können, der wird möglicher Weise – wenn sein Aufenthalt dort längere Zeit währte, als es sonst dem flüchtigen Touristen vergönnt ist – auch von dem Manne gehört haben, den ich meine. Haben sie doch in einem dieser Badeorte, dem liebenswürdigen alten Herrn zu Ehren, einem seiner Lieblingsplätzchen im rauschenden Waldesgrün seinen Namen gegeben! Der Taufvater dieses schönen Fleckchens Erde war der pensionirte königlich preußische Oberst vom 1. Garderegiment zu Fuß, Wilhelm von Studnitz!

Ich hatte das Glück, den ehrwürdigen Greis näher kennen zu lernen. Die Plauderstunden an seiner Seite werden mir unvergeßlich bleiben, ebenso die Vorzüge seines Geistes und Gemüthes. Es war sein hoher Stolz, mit Ausnahme des Kaiser-Königs, der älteste Officier in der preußischen Armee zu sein, welcher die Uniform des berühmten 1. Garderegiments zu Fuß trug. Als blutjunger Fähndrich und Lieutenant hatte er den Feldzug von 1813 mitgekämpft. Welche Fülle von interessanten Mittheilungen verdanke ich seiner Güte! Dieser Brunnen quoll fast unerschöpflich und ich wurde nicht müde, dem alten Herrn zu lauschen.

Seine letzten Lebensjahre verschönte er sich durch eine treue Hingabe an die Kunst. So war auch ich ihm näher getreten und fast ein täglicher Gast seines Hauses. Seine Unterhaltung war geistvoll und lebhaft, wenn auch hier und da das Greisenalter seinem Gedächtnisse, namentlich was Ortsnamen und Localbezeichnungen betraf, einigen Abbruch that. Manches köstliche Wort aus seinem Munde ziert mein Tagebuch und ich will – mit der stillen Absicht, dem freundlichen alten Herrn im Herzen der Leser ein kleines Denkmal zu setzen – Einiges von allgemeinerem Interesse mittheilen.

Friedrich Wilhelm den Dritten verehrte der alte Herr sehr hoch. Von dessen sprüchwörtlicher Gerechtigkeitsliebe kannte er mehrere Beispiele.

„Der König,“ erzählte mein greiser Oberst, „befand sich eines Abends während der Vorstellung in seiner kleinen Loge im königlichen Schauspielhause. Das scharfe Auge desselben bemerkt während des ersten Actes im Parquet drei nebeneinander sitzende Fähndriche. Nun hatte der König vor nicht langer Zeit eine Cabinetsordre erlassen, welche ein besonderes Abzeichen an den Uniformen der Fähndriche decretirte. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, welcher Art dieses Abzeichen war. Genug, der König bemerkt die drei jungen Herren, bemerkt aber auch gleichzeitig, daß an ihren Uniformen das erwähnte Abzeichen fehlt. In militärischen Dingen war Friedrich Wilhelm der Dritte äußerst streng. Er wartet, bis der Act zu Ende ist, dann öffnet er seine Logenthür und ruft den dienstthuenden Adjutanten. In seiner kurzen, fast unverständlichen Weise spricht er zu diesem mit allen Zeichen des Unmuths im Antlitze, indem er ihm die Fähndriche zeigt:

‚Sehen – drei Fähndriche da unten?‘

‚Zu Befehl, Majestät!‘

‚Sofort hinuntergehen – fragen – woher kommen!‘

Der Adjutant verschwindet und der König nimmt seinen Platz wieder ein.

Die drei Fähndriche waren aus einer fernen Garnison – wenn ich nicht irre, Neisse – auf einige Tage zum Besuche nach Berlin gekommen. Sie trugen das bewußte Abzeichen allerdings nicht. Entweder war die Cabinetsordre in ihrer Garnison noch nicht perfect geworden oder sie hatten in jugendlichem Leichtsinne vergessen, der neuen Einrichtung nachzukommen.

Der Adjutant läßt, am Parqueteingange angelangt, durch den Logenschließer den ältesten der drei Herren auffordern, sich zu ihm zu bemühen. Derselbe erscheint und der Officier theilt ihm mit, daß der König mit allen Zeichen der Ungnade ihm aufgetragen habe, sich zu erkundigen, aus welcher Garnison die Herren nach Berlin gekommen seien. Ganz betreten giebt der Fähndrich sofortige Auskunft und der Adjutant entfernt sich wieder. Der junge Mann kehrt zu seinen Cameraden zurück und theilt ihnen die eben stattgehabte Unterredung mit. Alle Drei hatten natürlich schon früher den König in seiner Loge bemerkt und sind nun im höchsten Grade niedergedonnert. Ein kurzer Kriegsrath und die drei Herren Fähndriche halten es für gerathen, noch vor Beginn des folgenden Actes den Rückzug anzutreten.

Friedrich Wilhelm der Dritte hat währenddem die jungen Leute nicht aus den Augen gelassen. Er bemerkt, daß der Logenschließer einen der Beobachteten citirt, daß dieser kurz darauf zurückkehrt, daß einige scheue Blicke auf seine Loge fallen und daß schließlich die drei jungen Herren ihre Plätze verlassen und nicht zurückkehren.

Der Adjutant erscheint wieder vor dem Monarchen.

‚Wo sind Fähndriche?‘ empfängt ihn der König, indem er auf die leergewordenen Plätze zeigt.

Ganz bestürzt antwortet der Officier: ‚In der That – Majestät – ich weiß nicht –‘

‚Was haben da unten gesagt?‘

‚Nachdem ich mir einen der Herren hatte herausrufen lassen, theilte ich ihm mit, daß Majestät mit allen Zeichen der Ungnade mich beauftragt hätten, die Garnison der Herren zu erforschen –‘

‚Habe nichts von Ungnade gesagt – arme Jungen – haben Angst bekommen – sind davongelaufen – gehen Sie – zurückholen – sollen ruhig sitzen bleiben!‘

Der arme Adjutant kam zu spät. Die Herren Fähndriche hatten sich mit ‚affenartiger Geschwindigkeit‘ rückwärts concentrirt und waren dem Hause bereits enteilt. Der bestürzte Officier kommt zurück und erstattet dem Könige Rapport.

‚Sehen Sie – kommt davon, wenn meine Befehle nicht genau vollzogen werden! – Ist Ihre Sache – erkundigen sich morgen nach jungen Leuten – sollen Nachurlaub haben, damit Vorstellung sehen können – ihr Vergnügen gestört worden – hatte nicht befohlen – wenn gefunden, sollen zu mir kommen – künftig nur sagen, was befehle!‘

Die Fähndrichssuche des folgenden Tages trug das Ihrige dazu bei, daß die Worte des Königs dem Gedächtnisse seines Adjutanten nicht so bald verloren gingen.“ –

Die Gerechtigkeitsliebe Friedrich Wilhelm’s des Dritten kam auch manchmal zu sehr drastischem Ausdrucke, wie das folgende Beispiel beweist.

Wenn der König Spazierfahrten für einen Tag unternahm, nach Charlottenburg, Potsdam etc., von welchen er meist spät Abends wieder nach Berlin zurückkehrte, so hatte der Küchenmeister ein- für allemal Befehl, dafür zu sorgen, daß es an Speise und Trank – auch für die Dienerschaft – am Ziele der Spazierfahrt nicht fehle. Der Küchenmeister half sich nun, wenn das Mitgeführte aus irgend welchem Grunde dem Bedürfnisse nicht genügte, damit, daß er die niedere Dienerschaft für die ausgefallene Beköstigung in baarem Gelde entschädigte. Dem Könige war dies hinterbracht worden. Eines Abends fragt er beim Einsteigen den Kutscher:

„Hat Ihm X. heute zu essen gegeben?“

„Zu Befehl, Majestät – nein!“

„Warum nicht?“

„Er hatte nichts mehr, Majestät. Aber hier den Thaler hat er mir gegeben.“

„Geb’ Er!“

Der König nimmt dem Kutscher den Thaler ab. Nach erfolgter Ankunft in Berlin läßt er den Küchenmeister sofort in sein Zimmer rufen. Der erschrockene Mann, der durchaus nicht begreifen kann, was die Majestät zu so später Stunde von ihm zu verlangen beabsichtigt, erscheint.


Hierzu die „Allgemeinen Anzeigen zur Gartenlaube“, Verlag von G. L. Daube & Comp.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 585. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_585.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)