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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Frauen, die sich solch einen Preis erst mühsam erstreiten und dann ewig zittern müssen, ihn wieder zu verlieren.“

Die letzten Worte schienen eine wunde Stelle berührt zu haben. Beatrice erblaßte.

„Freilich, Sie hatten ja ein Recht, ihn kraft des Traualtars zu fordern,“ sagte sie, noch immer den früheren Hohn festhaltend. „Leider nur schützt auch dieser Talisman nicht vor jedem Unglücke, zum Beispiel vor dem Verlassenwerden.“

Jetzt war sie es, die schonungslos nach einer Wunde zielte, die sie selbst geschlagen hatte, aber der Pfeil prallte machtlos zurück. Die junge Frau richtete sich hoch und stolz auf.

„Allerdings nicht vor dem Schmerze eines solchen Schicksals, aber doch mindestens vor seiner Schande. Der verlassenen Gattin bleibt die Theilnahme, die Sympathie der ganzen Welt, der verlassenen Geliebten – nur die Verachtung.“

„Nur diese?“ sagte Beatrice dumpf. „Sie irren Signora; es bleibt ihr noch etwas Anderes – die Rache.“

„Soll das eine Drohung gegen mich sein?“ fragte Ella. „Wer Ihre Rache herausfordert, mag sich davor zu schützen suchen. Ich weiß mich frei davon.“

„Gewiß, Sie stammen ja aus dem Norden, wo man die Leidenschaft nicht kennt, wie wir das Wort verstehen,“ stieß die Italienerin hervor. „Bei Euch stehen ja immer und ewig die Vorurtheile, die Pflichten, die Meinung der Welt im Vordergrunde – die Liebe einer Frau kommt erst in zweiter Linie.“

„Allerdings erst in zweiter Linie.“ Ella’s Ton klang jetzt in unverschleierter Verachtung. „In der ersten steht die Ehre der Frau; wir sind gewohnt, sie unbedingt und überall voran zu setzen – ein Vorurtheil freilich, dessen sich Signora Biancona längst entäußert hat.“

Die junge Frau kannte die Gegnerin nicht, welche sie reizte, sonst hätte sie es vielleicht nicht gewagt, den Stolz der tief beleidigten Frau in so furchtbar vernichtender Weise sprechen zu lassen; die Wirkung war eine erschreckende. Es war, als ob sich auf einmal ein Dämon in der Italienerin aufbäumte, als ob ihr ganzes Wesen wirklich „Tod und Verderben sprühte“; so loderten die dunklen Augen auf; ein halb erstickter Ausruf der Wuth entrang sich ihren Lippen, und Alles um sich her vergessend, that sie einige Schritte vorwärts.

Ella wich zurück bei[WS 1] dieser mehr als drohenden Bewegung. „Was soll das, Signora?“ sagte sie fest. „Vielleicht gar ein Attentat? Sie vergessen, wo wir uns befinden. Ich sehe, daß ich Unrecht that, auf diese Unterredung einzugehen; es ist die höchste Zeit, daß wir sie endigen.“

Beatrice schien wieder etwas zur Besinnung zu kommen, wenigstens blieb sie stehen, obgleich der unheimliche Ausdruck nicht aus ihren Augen wich. Die Hand zerknitterte krampfhaft den schwarzen Spitzenschleier, der über ihre Schultern hinfiel; sie bemerkte es nicht, daß dabei eine der rothen Blüthen sich aus ihrem Haar löste und zu Boden fiel.

„Sie sollen diese Worte und diese Stunde bereuen lernen, Signora,“ zischte sie zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor. „Sie kennen die Rache nicht? Nun wohl, so kenne ich sie; das werde ich Ihnen zu zeigen wissen – Ihnen und ihm.“ –

Sie rauschte davon und ließ die junge Frau allein zurück, die es nicht über sich vermochte, so unmittelbar nach dieser Scene wieder den Saal zu betreten und den besorgten Fragen Erlau’s Rede zu stehen. Tief aufathmend ließ sie sich auf einen der Sessel nieder und stützte den Kopf in die Hand. Diese wilde Haß- und Rachedrohung erschütterte sie doch, aber sie zeigte ihr auch die Wahrheit durch alle Schleier hindurch. Man haßt nur die siegreiche Gegnerin und rächt nur das Verlorene oder doch bereits verloren Gegebene – es war zu Ende mit der Bezauberung. Aber wem galten jene drohenden Worte? Reinhold? Die junge Frau erblaßte; sie selbst hatte der Drohung kühn und fest Stand gehalten, aber bei diesem Gedanken ging es wie ein Hauch zitternder Angst durch ihre Seele, und wie im halb unbewußten Schmerze die Hand gegen die Brust pressend, flüsterte sie:

„O mein Gott, das kann ja nicht sein. Sie liebt ihn ja.“

„Eleonore!“ sagte eine Stimme in ihrer unmittelbaren Nähe.

Ella schreckte auf; sie erkannte beim ersten Tone die Stimme, noch ehe sie die Gestalt sah, die jenseits der Schwelle in der Thür stand, als wage sie es nicht, diese zu überschreiten. Reinhold schien Muth zu fassen, als er keine abwehrende Bewegung sah, und trat vollends ein.

„Was ist das?“ fragte er unruhig. „Ich finde Dich allein hier in diesem abgelegenen Raume, und soeben sah ich eine Andere von hier kommen und durch die Galerie eilen. Du sprachest –?“

„Signora Biancona,“ ergänzte Ella, als er inne hielt.

„Hat sie Dich beleidigt?“ rief Reinhold aufflammend. „Ich kenne den Blick an ihr, der nichts Gutes bedeutet. Ahnte ich es doch beinahe, als sie so plötzlich aus dem Saale verschwand und auch Du nicht mehr zu erblicken warst. Ich kam zu spät, wie es scheint. Hat sie Dich beleidigt, Ella?“

Die junge Frau erhob sich und machte Miene, sich zu entfernen. „Wenn sie es gethan hätte, so begreifst Du wohl, daß Dein Schutz der letzte wäre, den ich in Anspruch nehmen möchte.“

Sie wollte an ihm vorüber nach dem Ausgange schreiten. Reinhold machte keinen Versuch, sie zurückzuhalten, aber sein Blick ruhte auf ihr mit so düsterem Vorwurfe, daß sie wie unwillkürlich inne hielt.

„Eleonore,“ sagte er leise, „noch eine Frage, ehe Du gehst, eine einzige. Du warst in meiner Oper – wozu das leugnen? Ich habe Dich ja gesehen, wie Du mich. Was trieb Dich dorthin?“

Ella senkte den Blick, als sei es eine Schuld, die man ihr vorhielt, und eine verrätherische Gluth floß ihr über Stirn und Wangen, als sie zögernd erwiderte:

„Ich wollte den Tondichter Rinaldo auch einmal in seinen Werken kennen lernen.“

„Und nun Du ihn kennen gelernt hast?“

„Willst Du von mir ein Urtheil über Deine neue Schöpfung? Die Welt sagt, es sei ein Meisterwerk.“

„Es war eine Beichte,“ sagte er mit schwerer Betonung. „Ich ahnte freilich nicht, daß Du sie hören würdest, da es aber dennoch geschehen ist – hast Du sie verstanden?“

Die junge Frau schwieg.

„Ich sah Deine Augen nur einen Moment lang,“ fuhr er leidenschaftlicher fort, „aber ich sah doch, daß Thränen darin standen. Hast Du mich verstanden, Ella?“

„Ich habe begriffen, daß der Schöpfer solcher Töne nicht ausdauern konnte in dem engen Kreise meines Elternhauses,“ entgegnete Ella fest, „und daß er vielleicht das Beste für sich erwählte, als er sich losriß und sich hineinstürzte in ein Leben von Gluth und Leidenschaften, wie seine Töne es malen. Du hast Deinem Genius Alles geopfert – ich gebe Dir das Zeugniß, daß dieser Genius des Opfers werth war.“

Die letzten Worte klangen in tiefer Bitterkeit; sie schienen bei Reinhold die gleiche Saite zu berühren.

„Du weißt nicht, wie grausam Du bist,“ sagte er in demselben Tone, „oder vielmehr, Du weißt es nur zu gut, und läßt mich zehnfach büßen für jeden Schmerz, den ich Dir einst zugefügt habe. Freilich, was fragst Du auch danach, ob ich mich emporringe oder untergehe in einem Leben, das die Welt als ein Glück ohne Gleichen preist, und das ich oft, so oft schon, hätte hingeben mögen für eine einzige Stunde der Ruhe und des Friedens! Was kümmert es Dich, ob Dein Gatte, der Vater Deines Kindes sich verzehrt in der wilden Sehnsucht nach Versöhnung mit einer Vergangenheit, die er nie ganz aus seinem Herzen zu reißen vermochte, ob er schließlich verzweifelt an Allem und an sich selber! Er hat sein Schicksal ja verdient; damit ist der Stab über ihn gebrochen und der erhabene Tugendstolz seines Weibes versagt ihm jedes Wort der Versöhnung, versagt ihm sogar den Anblick seines Kindes –“

„Um Gotteswillen, Reinhold, mäßige Dich!“ fiel Ella angstvoll ein. „Wir sind nicht allein hier – wenn ein Fremder uns hörte!“

Er lachte bitter auf. „Nun, dann vernähme er das große Verbrechen, daß der Mann es einmal wagt, zu seiner Frau zu sprechen. Und wenn alle Welt es erfährt, mich kümmert es jetzt nicht mehr, auf wen die Entdeckung, auf wen die Verurtheilung fällt. – Ella, Du bleibst,“ unterbrach er sich, außer sich, als er sah, daß sie sich entfernen wollte. „Einmal muß es herunter

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: b i
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 588. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_588.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)