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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

nimmt: „Mein Leopold!“ Dieses Stück, im Wallner-Theater am 23. December 1873 zum ersten Male aufgeführt, machte rasch den großen Weg über die deutschen Bühnen, verweilte auf jeder eine lange Reihe von Abenden und wurde überall vom Publicum und von der Kritik ehrenvoll ausgezeichnet.

Adolf L’Arronge hat diesen glänzenden Erfolg dem ernsten und ehrlichen Eifer zu verdanken, mit welchem er sich von der Schablone, zu welcher Kalisch’s Posse durch die Nachahmer herabgesunken war, losgesagt hat. Er fordert nicht zu Vergleichen heraus, sondern steht auf eigenen Füßen; er erfindet seine Stoffe selbstständig, belebt dieselben mit Charakteren, die zu Gunsten billigen Applauses nicht von der Natur abweichen, und sorgt dafür, daß der Faden einer dramatischen Handlung nicht jeden Augenblick durch tolle Sprünge zerreißt, oder dem Zuschauer unter der Hand verschwindet. Dazu kommt seine Fähigkeit, den ihm innewohnenden Witz mit so weiser Oekonomie über die Scenen zu verbreiten, daß derselbe uns vor Allem da nicht aufdringlich erscheint, wo vor dem Zuschauer sich der ernste Theil der Handlung, der sich in jedem Stücke unseres Autors findet, abspielt. Das Mitglied der komischen Bühne sieht sich nach langer Pause durch L’Arronge einmal wieder mit Aufgaben betraut, deren Lösung in ihm den Schauspieler zur Geltung kommen läßt, und damit erklärt sich ein großer Theil des Erfolges, welchen „Mein Leopold!“ überall gefunden hat. Der Komiker beschäftigt sich freudig und eingehend mit einer Rolle, die eine ernstere Leistung von ihm fordert als den an das Café-Chantant erinnernden Vortrag von Couplets und alten Scherzen.

Wie freudig diese Rückkehr zum gesunden Volksstücke anerkannt wird, beweist der Umstand, daß einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller, Friedrich Spielhagen, in einem Feuilleton den Eindruck geschildert hat, den Carl Helmerding’s Darstellung des Gottlieb Weigelt in „Mein Leopold!“ auf ihn hervorbrachte.* Nachdem Spielhagen dem Mißbehagen Ausdruck gegeben, mit welchem der Ton der Schablonenposse ihn zu beschleichen pflegte und welches ihn von dem Besuche des Wallner-Theaters fern gehalten, sagt er: „So war denn die zweiundachtzigste Wiederholung von ‚Mein Leopold!‘ angesetzt, bis ich mich entschließen konnte, ein Stück zu sehen, das mir auch sonst als ein gutes in seinem Genre bezeichnet wurde und in welchem Helmerding ganz brillant sein solle. Ich fand, daß man mir nur die Wahrheit gesagt. Das Stück ist gut und Helmerding ganz brillant.“

Auf ein Lob aus solcher Feder darf L’Arronge stolz sein. L’Arronge ist ein echtes Theaterkind; er kennt von Jugend auf die Bühne, und diese Bekanntschaft kommt seiner Thätigkeit nicht wenig zu Statten. Er ist der Sohn des rühmlich bekannten Komikers und Theaterdirectors L’Arronge und erblickte im März 1838 in Hamburg das Licht der – Lampen. In Berlin und Aachen besuchte er das Gymnasium, widmete sich in letztgenannter Stadt unter Leitung des Musikdirectors Richard Genée der Musik und ging zu weiterer Ausbildung nach Leipzig, wo er durch drei Jahre am Conservatorium studirte. Als Opern-Capellmeister war er dann in Danzig, Königsberg, Cöln, Würzburg, Stuttgart, Pest und zuletzt am Kroll’schen Theater in Berlin thätig, wo er auch als Dirigent des Männergesangvereins unter ehrenvoller Anerkennung wirkte.

Für das letztgenannte Theater schrieb er eine Posse, „Das große Loos“, deren guter Erfolg ihn vom Dirigentenpult an das Pult der dramatischen Literatur verführte, an welchem er fleißig und mit großem Erfolg arbeitete. Selbst während er Redacteur der „Gerichtszeitung“ war, blieb er dem Theater treu, dem er sich jetzt auch als Bühnenleiter widmete, indem er die Direction des Breslauer Lobe-Theaters übernahm. Hoffentlich bleibt er auch in dieser Stellung als Bühnendichter im Dienste der holden Thalia, für den er schon so tüchtige Beweise außergewöhnlicher Befähigung geliefert hat.


* Aus meinem Skizzenbuche. Von Friedrich Spielhagen.

Julius Stettenheim.





Gesprengte Fesseln.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Von E. Werner.


(Fortsetzung und Schluß.)


Der Capitain versuchte es vergebens mit der alten Spottsucht; sie wollte ihm heute nicht zu Hülfe kommen. Seine Lippen zuckten, und seine Worte klangen wie die bitterste Ironie. Ella sah, wie tief die Wunde bei dem Manne ging, den sie in dieser Beziehung für unverwundbar gehalten hatte.

„Sie hätten längst gehen sollen, Hugo,“ sagte sie mit leisem Vorwurfe. „Jetzt ist es zu spät, Ihnen den Schmerz zu ersparen, aber wenn die Liebe einer Schwester –“

„Um Gotteswillen, nur das nicht!“ unterbrach er sie ungestüm. „Nur nichts von Achtung, Freundschaft und all den schönen Dingen, mit denen sich die Idealisten in solchem Falle trösten, und die einen gewöhnlichen Menschen umbringen, wenn sich sein heißes Herz damit zufrieden geben soll. Ich weiß es ja, daß Sie in mir von jeher nur den Bruder gesehen haben, daß Ihr Herz immer und ewig an Reinhold gehangen hat, selbst da noch, als er Sie verrieth und verließ, aber ich ertrage es nicht, das jetzt aus Ihrem Munde zu hören. Freilich, es geschieht mir schon recht. Warum bin ich ihr auch untreu geworden, meiner schönen blauen Wellenbraut da draußen, der ich doch nun einmal allein angehöre! Sie läßt es mich jetzt büßen, daß ich daran denken konnte, sie zu verlassen um einer Anderen willen, und doch war es mir immer, als blickte ich in ihre blauen Tiefen, wenn ich in Ella’s Augen sah.“ Er warf mit einer halb trotzigen Bewegung den Kopf zurück. „Und mir haben sich diese Augen doch zuerst entschleiert, damals, als mein Bruder noch nicht ahnte, welchen Reichthum er sein nannte. Ich wußte besser als er, was an der Frau war, die er um einer Biancona willen aufgab, und trotzdem trägt er jetzt den Preis davon, für den ich Alles hingegeben hätte. Solche dämonische Künstlernaturen siegen ja immer gegen Unsereinen, der nichts einzusetzen hat, als sein warmes Herz und sein heißes, volles Lieben. Reinhold nimmt zurück, was nie auch nur einen Augenblick lang aufgehört hatte, sein Eigenthum zu sein, und ich – gehe. So ist uns Allen geholfen.“

Es lag eine grenzenlose Bitterkeit in den letzten Worten, die nur zu sehr verriethen, daß selbst die Liebe zu dem Bruder nicht mehr vor einer Leidenschaft Stand halten wollte, welche die ganze Natur Hugo’s verändert zu haben schien. Er machte Miene, das Zimmer zu verlassen. Ella hielt ihn zurück.

„Nein, Hugo, so dürfen Sie nicht gehen,“ sagte sie fest. „Nicht mit dieser Bitterkeit gegen Reinhold und mich im Herzen. Unser Glück hat sich schon auf den Trümmern eines fremden Lebens aufbauen müssen; es wäre zu theuer bezahlt, sollte es uns nun auch noch den Bruder kosten. Wir würden es nie, nie überwinden, Sie in der Ferne unglücklich zu wissen, unglücklich durch uns.“

Sie hatte bittend und traurig das Auge zu ihm emporgehoben; der Capitain blickte mit einem seltsamen Gemisch von Groll und Zärtlichkeit nieder auf die junge Frau.

„Sorgen Sie nicht um mich!“ entgegnete er gepreßt. „Ich gehöre nicht zu den Männern, die sich gleich der Verzweiflung ergeben, weil sie sich von dem losreißen müssen, woran doch nun einmal ihr ganzes Herz hängt. Und wenn bei dem Losreißen auch ein Stück von dem Herzen mitgeht, nun, so lebt es sich auch so weiter. Ertragen werde ich’s; ob ich es überwinde, ist eine andere Frage. – Wenn Reinhold völlig wieder hergestellt ist, so sagen Sie ihm, was mich fortgetrieben hat aus seiner und Ihrer Nähe! Ich mag vor dem Bruder nicht als Heuchler dastehen, und ich hätte es ihm längst selbst gebeichtet, fürchtete ich nicht jetzt noch die Aufregung eines solchen Geständnisses für ihn; er ist nur allzu reizbar in jedem Punkte geworden, der Sie betrifft. Sagen Sie ihm, Hugo hätte nicht bleiben können, nicht eine Stunde länger, und er hätte Ihnen sein Wort darauf gegeben, nicht eher wiederzukommen, bis er der Gattin seines Bruders so unter die Augen treten kann, wie er muß.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 640. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_640.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)