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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Betrachtenden einige nicht vollkommen deutsch klingende Lobeserhebungen und versuchte, was denselben vielleicht an Verständlichkeit abging, dadurch zu ersetzen, daß er ihr an das Kinn greifen und sie in die Wange kneifen wollte. Er kam aber nicht dazu, sein Vorhaben auszuführen; die bloße entschiedene Annäherung wurde ebenso entschieden durch einen so derben Schlag auf die Hand abgewiesen, daß ihm der Handschuh platzte.

„Das kannst unterwegs lassen, Du spaßiger Ding!“ rief Corona. „Du glaubst wohl, Du hast eine Krawatin vor Dir?“

Das Klatschen war laut genug gewesen, um im ganzen Zelte vernommen zu werden. Alles wendete sich fragend der Gruppe zu, und im Nu säuselte ein leises Lachen ob des Vorgefallenen durch die Versammlung. Das Benehmen des entschlossenen Mädchens schien ein heiteres Nachspiel zu den gehabten Genüssen zu versprechen. – Da gab ein dröhnender Böllerschuß den Gedanken eine andere Wendung; es war das Zeichen, daß die Bergbeleuchtung begonnen habe, und die Schiffe bereit seien, die Gesellschaft zur nächtlichen Seefahrt abzuholen, weil die Beleuchtung immer von der Mitte des Sees aus am schönsten und vollständigsten zu beschauen war.

Der fürstliche Zug brach auf. Bald war er in den hübschen zehnrudrigen Fregatten und einigen anderen Fahrzeugen untergebracht, und die kleine Flotille, mit nur wenigen Lichtern versehen, um den Eindruck der Beleuchtung nicht zu stören, ruderte in den See hinaus, über dessen Fluthen jetzt die Nacht vollständig herniedergesunken war. Schwarz standen die Bergriesen umher; in der Mitte aber, auf dem Wall- und dem Setzberge, brannten auf dem dunklen Grunde die Anfangsbuchstaben der drei fürstlichen Gäste in riesenhaften, hoch auflodernden Flammenzügen. Von drüben, vom anderen Ufer, klangen die Hornfanfaren der Jäger, die dahin geschickt worden waren – wie Grüße aus einer überirdischen Welt des Friedens schwebten die weichen Düfte über den leise wallenden See und mischten sich mit dem kaum hörbaren Geplätscher der Ruder.

Auch das Landvolk war zu seinen Kähnen geeilt, um die Heimfahrt anzutreten und dabei ebenfalls die Bergbeleuchtung zu bewundern. Corona hatte sich bald von den neugierig Fragenden befreit, die sie umringten und wissen wollten, wie es ihr im Zelte ergangen, ob sie wirklich alle die fremden Potentaten in der Nähe gesehen, und wie jedes einzelne Wort gelautet, das König Max mit ihr geredet. Mit ihrer Begleiterin hatte sie ebenfalls ihren Kahn schon vom Gestade in das Wasser geschoben; es schien, als ob irgend ein besonderer Grund sie zur Eile triebe. Mindestens ließ sie einige Male ihr lichtes Auge scharf über die Menge weg in das Dunkel gleiten, wie um sich von etwas Gewißheit zu verschaffen, das sie befürchte.

Schon setzte sie das Ruder an, um den Kahn abzustoßen, als ihr ein Mann in den Arm fiel und sie anhielt: eine lange, hagere Gestalt in städtischer Kleidung, aber von etwas fremdartigem Aussehen. Lange Beinkleider steckten in Schnürschuhen, welche zur halben Wade hinanreichend, an ungarische Zischmen erinnerten; das schwarze, glänzende Haar, mit ausnehmender Sorgfalt gepflegt, hing an jeder Schläfe in einer langen Locke auf die Schulter herunter. Es war Jessik, der Dorfschneider von Enterrottach, ein aus Illyrien eingewanderter Geselle, der sich dort seßhaft gemacht und es unternommen hatte, die Einförmigkeit seiner Schneiderei dadurch zu unterbrechen, daß er den Stadel seines Häuschens zum Tempel der dramatischen Kunst umgestaltete und mit unsäglicher Mühe und Selbstaufopferung sowie zur größten Verwunderung der Bauern allerlei schnurriges Zeug zur Aufführung brachte.

„O halt’ noch ein Bissel, Madel!“ rief er. „Du weißt, bin ich Jessik, der Schneider. Hab’ ich auch ein Komedihaus; da fehlt mir ein Madel so prächtiges, was kann singen so gut. Will ich aufführen den Tanzmeister Pauxel und will fragen, ob das Spötterl nit will spielen. Zahl’ ich jedes Mal zwei Zwanziger und spiel’ den Pauxel selbst.“

Trotz des Dunkels hätte der Schneider bemerken können, welche Gluth der Entrüstung und Beschämung Corona’s Antlitz überflog; in seinem Eifer ward er es nicht gewahr und sollte dafür den Unwillen des Mädchens noch kräftiger spüren, als der Russe ihn bereits erfahren. Mit einem starken Zuge hatte sie ihr Ruder freigemacht, daß er, seines Haltes beraubt, zu taumeln anfing und sich auf den Kies des Ufers ziemlich gewaltsam niedersetzte.

„Da hast meine Antwort, verruckter Schneider!“ rief sie. „Schamst Dich nit, einem ordentlichen Madel einen solchen Antrag zu machen? Eher wollt’ ich das ganze Jahr um eine rupfene Pfoad (Hemd aus Werg) arbeiten oder betteln geh’n, ehe ich Dir und den Leuten einen Narren mach’.“

Damit schwamm der Nachen schon im See und war nur noch schwach zu unterscheiden: der beleidigte Schneider und Theaterdirector aber, der sich wieder aufgerichtet hatte, kreischte vor Grimm und rief ihr unverständliche Flüche und Schimpfworte nach. „Ich will Dir’s merken, hochmüthige Bauerndirn’,“ rief er im Davoneilen. „Sollst mir an den Jessik denken.“

„Nimm das andere Ruder, Clarl, und zieh’ an!“ flüsterte draußen auf dem nächtlichen Wasser Corona ihrer Begleiterin zu. „Mir ist, als ob uns da Einer im Schiff nachfahren wollt’. Es ist schon so,“ fuhr sie, schärfer hinblickend, fort; „es ist der Bursch’, der wüste, der mich heut’ ang’sungen hat. Ich hab’s wohl g’merkt, er ist mir den ganzen Abend nach’gangen und hat gethan, als wenn er mich anreden wollt’ … Was er nur von mir will?“

„Er wird halt wissen wollen, wo das Spötterl sein Nest hat,“ sagte die Begleiterin lachend.

„Dann fahren wir in der Irr’,“ entgegnete Corona gedämpft, denn die Rede schallt Nachts weithin über das Wasser. „Wir fahren gegen den Ringsee und Abwinkl zu und nachher im Bergschatten wieder zurück – das wird ihm wohl zu weit sein …“

Sie thaten, wie gesagt, und ruderten rasch dahin. Der Nachen des Gefürchteten blieb weit zurück und war ihnen bald ganz aus dem Gesichte.

Es war schon völlig dunkel. Die Flotille der Fürsten hatte längst wieder das Ufer gesucht; die Hörner waren verstummt und die Flammenbuchstaben im Waldesdunkel dem Erlöschen nahe. Da landeten Beide an der Straße bei der Capelle, wo gegenüber das Bergöl des heiligen Quirinus aus der Erde quillt, und eilten flüchtigen Fußes die Anhöhe hinan. Dennoch hatte ihre Vorsicht sie getäuscht. Sie waren noch nicht lange ausgestiegen, als ein zweiter Nachen, lautlos herangleitend, anlegte: der Wachtelschläger huschte wie ein Schatten heraus und folgte, hinter den Büschen sich duckend und von ihnen gedeckt, den Voraneilenden, bis über die Richtung, die sie einschlugen, kein Zweifel war. Dann schwang er mit einem unterdrückten Juchzer den Hut und sang:

„Du Spötterl, Du schneidig’s,
Flieg’ nur lüftig voran!
Hab’ Dein Nest schon g’funden;
Jetzt klopf’ i’ gen (halt) an.“




2. Fahr’ ab!


Noch lagen die Sennhütten der Gindelalm im Schatten der nächsten Bergrücken, hinter denen die Sonne herauskam, aber hinter den Tannenwipfeln, welche über den Absturz der Hochebene emporragten, lag schon klare Helle. Sie verkündete, daß unten und draußen im weiten Flachlande, in den bebauten Fluren, zwischen lebenden Flüssen, in den Dörfern und Städten, wo der Menschen Schaaren verbreitet hausen, der geschäftige Tag sein brausendes Werk schon begonnen hatte. Auf den Berghöhen aber, wo der Mensch nur vereinzelt seine Hütten angesiedelt, zwischen Haidegrund und Felstrümmern, neben Geiernestern, Gemsklüften, Fuchsbauten und Ameisenhaufen, war es noch ruhig und einsam. Nur auf der Grasmatte, in der ein paar Almhütten zerstreut lagen, fing es an, laut zu werden; die einzelnen Stimmen des Morgens übten den Chor, mit dem sie die Sonne begrüßen wollten, wenn sie über die Bergschneide herübergekommen sein würde. Die Tannenwipfel am Absturz ließen an ihren obersten Zweigen bereits die Thauperlen wie Feuerzeichen blitzen, welche verkündeten, daß das Erscheinen des gewaltigen Gastes jeden Augenblick zu erwarten sei. Das kleine Bergwasser, das durch das Gras rannte, brauste voller und rascher; über den würzigen Halmen der Bergkräuter und den nickenden Blumenhäuptern surrten Käfer, summten glänzende Hummeln, schwebten lautlose Libellen, oder schnellten zirpende Heuschrecken empor. Wohl war der Sommer und mit ihm die Zeit vorüber, in welcher um die Nester und Brutstätten die Lieder der Singvögel schallen, aber noch immer waren einige Spätlinge übrig geblieben,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 657. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_657.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)