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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

No. 43.   1874.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die Geschichte vom Spötterl.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Aus den bairischen Bergen. Von Herman Schmid.


(Fortsetzung.)


Leichenblaß, unfähig ein Glied zu regen, stand der Russe; der friedliche Pianist war im Begriffe umzusinken, noch ehe der Todesstreich, den er schon fallen sah, wirklich fiel; auch Clarl hatte einen Augenblick die Fassung verloren; denn der Wüthende war furchtbar anzusehen: seine Narbe glühte wie Feuer und seine Augen rollten wie im Irrsinne.

Corona war die Einzige, die besonnen blieb; fest trat sie zwischen ihn und den Bedrohten. „Was willst, unbändiger Mensch?“ sagte sie mit ruhigem Tone und Blicke. „Den Augenblick legst Deinen Stock weg! Da heroben auf der Gindelalm bin ich Herr, und ich fürcht’ Dich nit, wenn Du noch so wild thust.“

„Aber es ist ja derselbige, von dem ich erzählt hab’,“ stieß Quirin aus keuchender Brust hervor.

„Und wenn er’s ist!“ rief Corona entgegen. „Willst Du’s ihm nach so viel Jahren heimgeben, was er damals als unmündiger Bub’ gethan hat? Scham Dich, ungeschlachter Mensch, und halt’ Frieden! Nieder mit Deinem Stock, oder, wenn ich gleich nur ein Madl bin, so nehm’ ich Dir ihn ab.“

Einen Augenblick stand der Zürnende unschlüssig; er kämpfte mit dem langgenährten Grimme, mit der im Stillen großgefütterten Rachelust und dem Einflusse, den das Mädchen bereits über ihn gewonnen, dessen Gunst er nicht völlig auf’s Spiel zu setzen gesonnen war. Von dem Russen glitt sein Blick auf das Mädchen ab. Er sah sie durchdringend an; dann warf er den Rucksack auf die Schulter, drehte sich um und schritt ohne Gruß und Wink davon, dem höher hinanführenden Bergsteig zu.

Erleichtert sahen ihm die Uebrigen nach. Corona athmete tief auf, fuhr mit Hand und Arm über die Stirne und hieß dann Clarl den Weg abwärts einschlagen, um nach dem verlorenen Taschenbuche zu suchen.

Nachdem der Eindruck des erregenden Auftritts sich etwas gemildert, war den Gästen erwünschte Gelegenheit gegeben, ungestört mit den eigentlichen Absichten herauszurücken, die sie auf die Alm geführt hatten. Der Pianist, der trotz seiner Dicke eine starke Gabe von Enthusiasmus im Leibe trug, hatte bei seiner Rückkehr nach München Corona’s Gesang und wunderbare Kehlfertigkeit nicht aus dem Sinne gebracht. Er hatte aller Welt davon erzählt und den Zuhörern bald die in ihm lebende Ueberzeugung mitgetheilt, daß es nur einer kurzen Ausbildung bedürfe, den rohen Edelstein so zu schleifen, daß er in allen Lichtern und Farben der Kunst zu brilliren vermöge. Er hatte sich zuletzt entschlossen, noch einen Ausflug nach Tegernsee zu machen, das seltene Bauernmädchen aufzusuchen und sie dahin zu bringen, daß sie seinem Antrage Gehör gebe, ihm in die Stadt zu folgen und sich unter seiner Leitung und Obhut zur Sängerin auszubilden. In der Freude seines Herzens und im Lichte seiner regen Einbildungskraft sah er sie schon als eine zweite Catalani mit Gold und Ruhm überschüttet, und sich selbst als den glücklichen Entdecker des Kleinods im Mitbesitze aller dieser Schätze

In dieser Stimmung war er dem jungen Russen begegnet, der ihm wie ein alter Bekannter war, weil er ja auch in dem Zelte zugegen gewesen. Er theilte demselben sein Vorhaben mit, das dieser mit lebhafter Theilnahme aufgriff. Er erbot sich sogar, den Pianisten auf seinem Werbegange zu begleiten. Nun rückte dieser gegen Corona mit seinem Vorschlage hervor und erzählte der Staunenden, welche herrlichen Aussichten für ihr künftiges Leben sich öffneten, ein Leben des Gesanges statt harter Arbeit, statt eines Daseins von Mühe, Entbehrungen und Armuth eine Laufbahn des Ueberflusses, des Glanzes und der Freude.

Er hatte bereits mit dem Director des zweiten Theaters am Isarthore gesprochen und ihn, da er auf sein musikalisches Urtheil viel gab, dahin gebracht, daß er bereit war, für die Probe- und Lehrzeit zu den Kosten des Unterhalts den größten Theil beizutragen und das Mädchen entsprechenden Falles mit einem vorläufigen Gehalte von tausend Gulden zu engagiren. Was etwa noch fehlte, konnte leicht durch reiche und vornehme Kunstfreunde oder vom Könige selbst, der sie ja ebenfalls kannte, herbeigeschafft werden. Mit beredter Zunge schilderte er ihr die Leichtigkeit, mit welcher sie bei ihrer wunderbaren Naturanlage die Lehrzeit vollenden werde, wie sie dann öffentlich auftreten würde, umgeben und unterstützt von allem Aufwande der Kunst, wie sie Triumphe über Triumphe feiern und den Augenblick preisen werde, in welchem sie ihre Zusage gegeben. Auch Worinoff unterließ nicht, ihr das Leben als Künstlerin mit den feurigsten Farben zu schildern und hervorzuheben, wie sie gar keine Furcht zu haben brauche; ihre Liebenswürdigkeit werde ihr bald in den ersten und höchsten Kreisen Freunde schaffen, welche Alles aufbieten würden, ihr Erfolge zu bereiten, die bereiteten zu verschönern und mit ihr zu theilen.

Corona hatte den Vorschlag zuerst mit Erstaunen, dann

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 687. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_687.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)