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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

mit ungläubigem Lachen erwidert: als aber Beide die Sache ernsthaft wiederholten, entschwand allmählich ihre Besorgniß, als ob man beabsichtigte, sie zum Besten zu haben. Die Möglichkeit eines mühelosen, von allen Erdengütern umgebenen Lebens trat plötzlich wie eine Erscheinung in ihr Leben, blendete ihr Auge und erschreckte ihr Gemüth, daß sie rathlos vor derselben stand. Wohl hatte sie immer große Genugthuung empfunden, wenn man ihren Gesang bewundert hatte; wohl war es ihr oft gewesen, als sei sie zu etwas Besserem bestimmt und gehöre nicht unter die Bauern und in die Sennhütte, aber die unerbittliche Wirklichkeit hatte die hochfliegenden Einbildungen immer gar bald und so unbarmherzig vernichtet, daß sie bei ihrem sonst klaren und entschlossenen Wesen sie wieder auf lange Zeit von sich ferne hielt. Sie kam sich jetzt vor wie das arme Kind im Märchen, das die Gänse hüten muß, und das eine vorüberfahrende Fee auf einmal in ihren Wagen nimmt und ihm sagt, daß sie seine Mutter sei, daß es nun nicht mehr die Gänse auf die Weide treiben, sondern für immer bei ihr bleiben dürfe und selber eine Fee geworden sei. Wohl war etwas in ihr, das widersprach, wenn sie auch die Stimme nicht deutlich verstand – wie sie in die grüne Bergmatte hinaussah, war es, als ob ihr dieselbe winke, sie nicht zu verlassen, und in ihr Ohr klang es wie Waldeswehen, wie Wasserrauschen und das Knirschen einer Sägmühle, das sie zu sich lockte in die Waldeinsamkeit.

Es ward Worinoff und dem Pianisten nicht schwer, die Bedenken der Unkundigen zu widerlegen, und ein schweres Gewicht fiel in die Wagschale, als Clarl mit dem vermißten Taschenbuche wiederkam, das ein freundlicher Weinschörlbusch zwischen seinen Stacheln und Trauben vor dem Falle in eine größere Tiefe bewahrt hatte. Das war so recht Wasser auf ihre Mühle, als sie den Gegenstand ihres Gespräches erfahren hatte; sie war augenblicklich Feuer und Flamme und schürte die Gluth, welche Eitelkeit und der Wunsch nach einem angenehmen Leben in Corona’s Busen bereits entzündet hatten.

„Wirst Dich doch da nit besinnen?“ rief sie. „Schlag’ ein, sag’ ich, mit allen zwei Händen! Du bist ein Glückskind! In der Stadt leben und tausend Gulden haben und nix dafür thun als das Bissel Singen? Ich bin einmal d’rin gewesen in der Münchner Stadt und im Komedihaus und hab’ geseh’n, wie die erste von den Sängerinnen droben herumgestiegen ist wie der Gockel im Werg, und angezogen wie eine Königin, daß sie über und über nur so gefunkelt hat von Gold, und die Leut’ haben geschrien und in die Händ’ geklatscht und Blumen hinaufgeworfen und grünes Zeug. Und da willst Du Dich noch besinnen? Das Alles kannst Du jetzt haben. Willst Du vielleicht lieber alle Tag’ mit der Sonn’ aufsteh’n, die Küh’ melken, die Butter ausrühren und dreschen und spinnen im Winter? Oder willst Du einen Häusler oder Tagwerker heirathen und Dich fortfretten Dein ganzes Leben lang mit Mann und Kindern, bis Du zusammgerackert bist, daß Dich kaum der Tod mehr holen mag?“

Lächelnd hörte Corona der eifrigen Alten zu. „Laß’ nur gut sein!“ sagte sie, indem sie ihr die Hand auf die Schulter legte, „und strapazir’ Dich nit so ab! Ich sag’ nit Ja und nit Nein; ich will mir’s überlegen. Haben sie im Theater so lang’ gesungen ohne mich, so werden sie’s wohl auch noch acht Tag’ zuweg’ bringen. Der Herr soll mir sagen, wo ich ihn find’. In acht Tagen komm’ ich dann nach München, wenn ich mich entschließ’, und wenn nit, kommt statt meiner ein Briefl; wenn’s auch schlecht zu lesen sein wird, werden s’ dann doch schon so viel herausbuchstabiren können, daß’s nichts ist.“

Der Pianist, Worinoff und Clarl versuchten zwar, sie zu einer sofortigen Zusage zu bestimmen; aber sie blieb fest dabei, sodaß der Pianist nichts anderes thun konnte, als sich damit zufrieden zu geben und den Rückweg anzutreten. – War es doch hohe Zeit und über den Gesprächen und Ereignissen der späte Nachmittag herangekommen – die Sonne war schon über den Rand der Tannen hinuntergegangen und nur noch draußen am Horizonte der Ebene und dann im Widerscheine an den Felswänden sichtbar.

Der Pianist verabschiedete sich warm und herzlich von seiner zukünftigen Schülerin; Worinoff that nicht minder feurig und freute sich schon im Voraus auf das Wiedersehen und all die schönen Stunden, die darauf folgen sollten. Als Abschlag dieser künftigen Herrlichkeiten faßte er die derb gehärtete Hand des Mädchens, und als sie diese ihm ohne Widerstand ließ, versuchte er, sie zu umfassen und einen Kuß zu erhaschen. Sie wies ihn diesmal zwar nicht so derb, aber darum nicht minder entschieden zurück, so daß er wieder in Verlegenheit gerieth. „Du bist noch unerfahren,“ rief er, sich zum Lachen zwingend. „Komme nur erst in die Stadt und zum Theater, dann wirst Du schon auf andere Gedanken kommen, so gewiß Deine rauhe Hand dann weich wird und Du sie in weiche Handschuhe stecken wirst.“

„Das glaub’ ich kaum,“ sagte Corona ernsthaft; er aber ließ sich dadurch nicht irre machen, sondern fuhr, indem er sich zum Gehen anschickte, in voller Zuversicht fort, daß er das besser verstehe und sie beim Wiedersehen an seine Vorhersagung erinnern wolle. „Lebe wohl!“ rief er noch aus der Ferne. „Lebe wohl, Du wildes Spötterl! Auf Wiedersehen als zahme Nachtigall!“

Es war wieder still und einsam geworden auf der einsamen und stillen Gindelalm. Die Sennerinnen gingen der Arbeit nach, die vollauf ihrer harrte; sie hatten nicht Zeit, über das Erlebte sich zu unterhalten. Corona fehlte auch die Lust dazu: zu viel des Neuen und Bedeutsamen war in den wenigen Stunden an sie herangekommen, daß sie erst darüber nachsinnen und Alles in Kopf und Herz ordnen und sichten mußte, ehe sie es in Worten auszudrücken vermochte. Darüber kam der Abend vollends heran. Hütte und Stall war beschickt, und als der Mond über den hohem Grat emporsah, traf er Corona nachdenklich wie zuvor auf der Bank vor dem Almträt sitzen, so vertieft, daß sie das Herannnahen Quirin’s gar nicht gewahrte, bis er langsam und geräuschlos näher gekommen war und beinahe hart vor ihr stand. Ueberrascht sprang sie auf und wollte in einer ersten Regung der Furcht der Hütte zueilen, besann sich aber und blieb auf der Schwelle stehen, indem sie ruhig zurückblickte, gleich als frage sie, was ihn noch einmal zu ihr führe.

„Fürcht’ Dich nit!“ sagte er in so sanftem Tone, wie er ihn nur aus der Kehle bringen konnte. „Ich bin schon wieder bei mir selber. Die Wildheit ist halt so über mich gekommen, wie ich den Russen geseh’n hab’. … Du weißt nit, Madl, wie so was thut; aber Du hast Recht g’habt: es war eine Schand’, daß ich mich so vergessen hab’.“

„Gut für dich, wenn Du das einsiehst,“ sagte Corona kalt. – Der Ton hätte vielleicht doch etwas anders geklungen, wäre nicht von rückwärts Clarl aus dem Stalle in die Hütte getreten und Zeugin des Gesprächs geworden, das sogleich ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.

„Und hernach,“ fuhr Quirin, über den kühlen Empfang beklommen, fort, „nachher hab’ ich doch nit so ohne ‚B’hüt Gott!‘ fortgeh’n und mir erst Antwort holen wollen auf meine Frag’ von vorhin. Wie ist’s, Spötterl – oder, wenn Du das lieber hörst, Corona Rohnbergerin – weißt keine Sägemüllerin für mich?“

„Nein,“ antwortete sie, „ich weiß keine, die mir so zuwider wär’, daß ich ihr das anthun und sie einem solchen Wildling zubringen möcht’. Such’ Dir die nur selber aus, die mit Dir unglücklich werden soll!“

„Unglücklich!“ sagte Quirin betrübt. „Also meinst wirklich, mit mir könnt’ man nit anders als unglücklich sein? Ich wollt’ mich schon zusamm’nehmen und wollt’s hinunterschlucken, wenn’s mir so heiß wird unter der Stirn.“

„Was da!“ unterbrach ihn Clarl. „Das ist lauter Gered’, das keine Heimath hat. Die Corona hat jetzt was Anderes zu thun, als sich mit Dir und Deiner Säg’müllerin abzugeben. Sie hätt’ auch keine Zeit; denn daß Du’s nur weißt, mit dem Sennerin sein und Dienen ist’s aus bei ihr – die Corona geht in die Stadt und wird Sängerin.“

„Aber Clarl!“ rief Corona abmahnend; sie wollte nicht, daß jetzt schon so sicher von der Sache gesprochen würde, aber der Funken war schon bereits auf brennbaren Zunder gefallen und brannte lichterloh.

„In die Stadt? Sängerin?“ würgte Quirin zum Tode erschrocken hervor und ließ den Bergstock zu Boden fallen. „Wird ja doch das nit sein.“

„Warum etwa nit?“ rief Clarl entgegen. „Der Stadtherr, der dagewesen ist, ist ein Musikant, und der hat gesagt, die Corona hat eine Stimm’, wie’s keine zweit’ in der Welt giebt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 688. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_688.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)