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verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

neben andern Wunden auch eine Kugel durch die Nase erhalten. – Die Patronen waren verschossen; die Sonne neigte sich dem Untergange, und unser Domicil, die Barke, war noch weit entfernt. So sahen wir uns denn genöthigt, „Endschaft zu machen des grausigen Spiels“ und den Schlußact auf den folgenden Tag zu verschieben. Als wir aber des andern Morgens an den Richtplatz zurückgekehrt, fanden wir ihn vom Vater und allen seinen Sprößlingen verlassen. Nur die mächtigen Leichname der Mütter lagen noch im Wasser und hatten sich, wie gestrandete Schiffe, an Bänke festgefahren.

Für diesen Tag war also die Aussicht auf Fang vorbei, und um nun nicht mit leeren Händen zur Barke zurückkehren zu müssen, beschlossen wir, aus zweien der Thiere Skelete zu präpariren, eines für Hagenbeck, das andere für mich. Es war übrigens durchaus keine feine anatomische Operation, sondern vielmehr die höhere Schlächterei; auch mußten wir statt des chirurgischen Bestecks ganz respectable Messer anwenden, um die zwei Zoll dicke Haut und die gewaltigen Muskelmassen loszutrennen; unsere und des Dieners vereinte Kraft reichte kaum aus, um den inhaltschweren Magen aus seiner Höhlung herauszuheben. Das mir zugefallene Skelet befindet sich jetzt im Berliner zoologischen Cabinet.

Das Fleisch konnten wir nicht benutzen, denn, da in der Nacht die Cadaver vom Mond beschienen gewesen, so hatten sie zu sehr haut goût bekommen. Der Tropenmond hat nämlich neben allerlei andern noch wenig untersuchten und noch weniger erkannten Kräften, mit denen er z. B. „Mondstich“ verursacht, auch die Eigenschaft, schnelle Verwesung herbeizuführen. Das Fleisch, besonders jüngerer Thiere, ist übrigens gut zu essen und man gewöhnt sich bald an den anfangs anwidernden leichten Moschusgeschmack desselben. Hippopotamuszunge kam fast täglich auf unsern Tisch. Die Mohammedaner sind im Zweifel, ob das Thier unrein ist oder gegessen werden darf; da es Borsten trägt, so ist es allerdings nicht recht koscher, in dem Grasfressen jedoch läßt sich schon ein Grund für seine unschuldige Natur finden. Dieses Fleisch kam übrigens dennoch nicht um, denn es hatte sich eine große, gar „gemischte Gesellschaft“ zur Tafel geladen. Auf allen Bäumen der Nachbarschaft saßen zu Hunderten Aasgeier, weißbrüstige Raben und andere beschwingte Unholde, die mit vorgestreckten Hälsen allen unseren Bewegungen folgten und kaum erwarten konnten, bis wir die Wahlstatt verlassen. Dicht bei uns im Wasser – es war nämlich unmöglich gewesen, die kolossalen Leiber auf’s Trockene zu ziehen – krochen scheußliche Krokodile, gierig mit ihrer furchtbar bewehrten spitzen Schnauze nach den Fleischfetzen schnappend, die ihnen Hagenbeck, als wären sie alte Bekannte aus einem zoologischen Garten, ab und zu hinwarf. Zwei unserer Schwarzen schlugen übrigens, um die Bestien im Zaume zu halten, mit großen Zweigen in’s Wasser, sattsam dazu schreiend, während wir und die andern abfleischten. Nachmittags waren die beiden Knochengerüste vom Fleische entblößt und zum Trocknen an ein galgenähnliches Gestell aufgehißt. Als es gedunkelt, brachten uns Hyänen und Schakale eine liebliche Dankserenade. Uebrigens hatte die ganze „Aasbande“ viele Tage und Nächte lang zu fressen, denn die acht Cadaver repräsentirten doch mindestens ein Gewicht von fünfzigtausend Pfund. Meilenweit trieb der Wind den Geruch über Berg und Thal.

Nachdem also unsere Versuche, im Netze ein junges Flußpferd zu fangen, mißlungen, griffen wir zur Harpune, ließen uns im Boote zwischen die schwimmenden Heerden treiben, die uns dann gewöhnlich nicht sehr freundschaftlich willkommen hießen, und warfen nach den sich Zeigenden. Die mitgebrachten Eisen erwiesen sich jedoch als unpraktisch, indem sich entweder ihre Spitzen an dem derben Hautpanzer umbogen, durch dessen Elasticität abbrachen oder, wenn sie selbst an weicheren Körperstellen eingedrungen, bald wieder ausrissen.

Es würde zu weit führen, wollte ich alle die ferneren Begegnungen, die wir mit den Hippopotamen gehabt, und die andern vielartigen Versuche, junger Thiere habhaft zu werden, erzählen. Alles blieb ohne Erfolg. Nur einmal hatten wir das „glückliche Malheur“ – wie sich Hagenbeck in einem Briefe an den Bruder (vergleiche Gartenlaube 1873, Seite 754) ausdrückte – ein Kiboko zu fangen, welches aber, wie dort zu lesen, bald darauf starb. Wir begaben uns später zum Wami-Flusse; es wollte uns aber dort ebenfalls nicht gelingen, und so sahen wir uns denn endlich gezwungen, zur Stadt Sansibar zurückzukehren; Hagenbeck, um sich zur Abreise in andere Jagdgebiete vorzubereiten, ich, um meinen Arbeiten nachzugehen. Da erfaßte das Fieber, dieser furchtbare Wütherich, meinen Freund und raffte ihn hinweg. Acht Tage lang und bis eine halbe Stunde vor seinem Tode saß ich an seinem Schmerzenslager; da brach auch ich zusammen. Lange dauerte es, bis ich soweit genesen, daß ich wieder reisen konnte.

Monate später, im April dieses Jahres, gelang es einem der katholischen Missionäre, ein junges Flußpferd zu erhaschen, und zwar ging dies so zu. Der Commandeur eines der englischen Kriegsschiffe – welche nun schon seit einigen Jahren die ostafrikanischen Gewässer heimsuchen, um Sclaven zu „befreien“, für welchen menschenfreundlichen Act die englische Regierung fünf Pfund Sterling per Kopf an die Mannschaft zahlt und die also beglückten Creaturen in die Zuckerplantagen Indiens und Natals versendet, damit sie dort bei den edlen britischen Pflanzern das „Arbeiten“ lernen – besuchte auf einer Razzia Bagamoojo und unternahm, um etwas „Sport“ zu haben, von einem der freundlichen Missionäre geführt und begleitet, einen Ausflug zum nahen Kingani-Delta. Er trug ein „Sniderrifle“; der Bruder war mit einem Militärstutzen, dem Geschenk eines österreichischen Kriegsschiffes, bewaffnet. Bald war der Uferwald erreicht. Herangezogen durch Flußpferdgebrüll schlichen sie dem Wasser zu. Sie gewahrten am gegenüberliegenden Ufer Mama Kiboko, die, ihr erst wenige Tage zählendes Junges auf Kopf und Hals tragend, eben den Fluthen zustieg. Der Missionär winkte dem Commandeur, er möge zuerst feuern – „mußte ich doch dem Gaste die Vorhand lassen,“ sagte er später zu mir – der Schuß krachte; die Kugel flog zu hoch und in den Schlamm. Aber Bruder Oskar hatte auch angelegt – hin sauste das Blei der Mutter durch’s Auge in’s Hirn; furchtbares Todeszucken rüttelte den gewaltigen Körper, das kläglich schreiende Junge in den zähen Schlamm schleudernd. (Hierzu das Bild!) Dann stürzte die Mutter zusammen. Der Commandeur, der keine – Zeit hatte, die Jagd fortzusetzen, trat den Rückzug nach Bagamoojo und zu seinem Schiffe an, während der Bruder verblieb, mitleidig zum kleinen, im Morast klebenden Flußpferdchen hinüber blickend, das er zur Waise gemacht, und welches er aufzufüttern beschloß. Den Fluß an dieser Stelle zu durchschwimmen, wäre der vielen Krokodile wegen eine Gottesversuchung gewesen; daher schritt und watete er über eine Stunde weit den Flußlauf aufwärts, wo eine ihm bekannte Fähre war. Aber der alte Baumkahn, der wohl schon manche Karawane Mann nach Mann übergesetzt, hatte seine Christophoro-Pflicht vollendet und lag bodenlos am Ufer. Unverzagt ging der Missionär zurück, überzeugte sich, daß der Kleine noch munter schreiend im Schlamme saß, und eilte dann stromabwärts in ein weitentferntes Negerdorf. Dort miethete er ein Boot, fuhr zu seinem Pflegling, „wickelte" ihn in sein Gewand, setzte zum Bogamoojo-Ufer über, ließ ihn dort zurück, bis er eine Negerbettstelle (Kitanda) und Träger geholt, legte die theure Last darauf und langte spät Abends auf der Missionsstation an.

Tommondo nahm zu an Alter, Fett und Vertrauen zu den Menschen. Es war ein gar possirliches Thier, und Keiner konnte sich des Lächelns erwehren, wenn es mit stets düster ernstem Gesichte, den schwarzen runden Bauch auf den kurzen „Paddenbeinchen“ schaukelnd, hinter seinem Pflegevater herwatschelte. Setzte sich dieser, so nahm es an seinen Füßen Platz und schlief, in Sicherheit gewiegt, sofort ein. Man hatte ihm ein Wasserbassin angewiesen, worin es häufig badete und spielte. Ein alter, tauber und zahnloser Newfoundländer, dem die Mission das Gnadenbrod gab, war sein steter Begleiter. Am komischsten nahm es sich jedoch aus, wenn Tommondo gefüttert wurde. Aus Allem, was zu einem guten Eierkuchenteig gehört, Mehl, Eier, Salz und Milch, wozu noch etwas Zucker und viel Wasser gesetzt, wurde eine dünne Suppe angerührt, diese in eine starke Champagnerflasche gefüllt und dem Thier in’s stets bereite Mäulchen gehalten. Es legte die breite Zunge dicht um den Flaschenhals und hinein lief die köstliche Brühe wie durch einen Trichter in den Schlund; eine zweite, dritte und oft noch vierte Flasche folgte; dann legte es sich hin und hielt, wohlgefällig schnarchend, eine lange Verdauungssiesta.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1874, Seite 700. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_700.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)