Seite:Die Gartenlaube (1874) 708.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

einbilden, was das sein sollt’, das mir helfen könnt’; aber was’s auch ist – nit wahr, Clarl, das mußt mir versprechen, daß Du keinem Menschen was davon sagst.“

„Versteht sich,“ sagte Clarl; „das versprech’ ich Dir mit Mund und Hand. Wenn er auch ein Wildling und nichts ist als ein armer Steinklopfer, ist er Dir doch redlich beigestanden, und das ist schön von ihm; – das druck’ ich ihm gewiß in ein Wachsl.“

Während dessen hatte Corona das Blatt entfaltet, das in schweren unbehülflichen Zügen einige geschriebene Zeilen enthielt; sie las und hatte kaum gelesen, als sie schluchzend aufsprang und an das kleine Fenster eilte, um in die Nacht hinauszusehen und ihre Erregung vor Clarl’s verwunderten Augen zu verbergen. Kopfschüttelnd griff diese den Zettel vom Boden auf und buchstabirte mühselig und langsam daran herum. Er lautete:

„Weil der König Demselbigen hundert Ducaten versprochen hat, wer ’s herausbringt, so bezeug’ ich hiermit von freien Stücken, daß ich der Wildschütz, der Gamstod, bin. Der König soll die hundert Ducaten an die Corona Rohnberger auszahlen und soll ihr sagen, daß ich sie noch recht schön grüßen lass’. Quirin Grabner.“

Clarl schwieg, als sie geendet; schweigend löschte sie die Kerze, legte sich nieder und störte Corona nicht, die noch lange ebenfalls stumm und regungslos am Fenster verweilte. Draußen war dunkle, mondlose Nacht, durchwebt mit Sternenschein von wunderbarem Reichthum und Glanz; nur ganz in der Ferne brannte in irgend einem Hüttenfenster ein schwaches Licht. Corona’s Gedanken schwebten fragend und suchend in das Dunkel hinaus; die Erinnerung leitete den Schwung ihrer Flügel. … Bald kam es ihr vor, als höre sie Waldessausen und Wasserrauschen und das ferne Licht käme aus dem kleinen Fenster einer einsamen Sägemühle im Walde. … Die Erde schloß sich mit Wald und Flur und Berg so schwarz an den schwarzen Himmel an, daß sie in einander unterzugehen schienen; das Licht war, als wäre ein Glückssternlein vom Himmel gefallen, um nun auf der Erde zu verglühen.


(Fortsetzung folgt.)




Die Aachener Reliquien.
Von Carus Sterne.
I.

In dem neuentbrannten Kampfe zwischen Staat und Kirche, zwischen Aufklärung und Verdummung – für Europa hoffentlich ein letzter Versuch! – greift der abgewirthschaftete Clerus in glücklichster Verblendung zu den Waffen des Mittelalters zurück. Unsinnige Dogmen, die man vor Jahrhunderten bereits zurückgewiesen, werden halb mit List, halb mit Gewalt der Christenheit aufgedrungen, an allen Ecken und Enden Wunder gethan, Wallfahrten und Reliquien-Ausstellungen mit möglichstem Pompe in Scene gesetzt. Jeder Entdeckung der Wissenschaft antwortet im andern Lager ein Rücksprung in die Zeiten der Finsterniß und Unwissenheit, jedem Fortschritte der bürgerlichen Freiheit ein Act geistiger Knechtung. So entsprach, um nur von den neuesten Ereignissen zu reden, dem St. Galler Schützenfeste, auf welchem die neue geistige Erhebung der Schweiz gefeiert wurde, als Gegendemonstration die Wallfahrt der Schwarzen nach dem Grabe des heiligen Nicolas von der Flüe, der es im Hungern noch der Louise Lateau zuvorgethan haben soll. So sollten als Antwort auf den Brief der englischen Liberalen an den Kaiser von Deutschland die Wallfahrten dienen, welche ein Häuflein Schotten und Engländer nach dem Jesuitenneste Paray le Monial und nach dem Schreine des heiligen Edmund in Frankreich in glücklicher Selbstvergessenheit der Geschichte anstellten, denn dieser Edmund hatte sich gerade im Gegentheile durch Bekämpfung päpstlicher Uebergriffe in England ausgezeichnet. So wurden endlich die diesjährigen Reliquien-Ausstellungen in Aachen, München-Gladbach etc. mit besonderem Glanze in’s Werk gesetzt, um den deutschen Regierungen zu zeigen, wie sehr des Volkes Herz noch an den Gnadenschätzen der Kirche hängt.

Von dem widerlichen Schauspiele der Aachener Heiligthumsfahrt haben unsere Leser eine lebendige Schilderung in Nr. 33 dieses Jahrganges der „Gartenlaube“ erhalten, sowie auch ein Inventarium der Hauptschätze des Aachener Stifts, gegen welche alle Perlen und Edelsteine der Welt, nach dem gewöhnlichen Ausdrucke der Hüter dieser berühmten Curiositäten, werthlos erscheinen müssen. Dennoch ermangeln sie nicht, die Kästen und Schreine derselben mit Gold und Edelsteinen – sei es auch oft nur buntes Glas – förmlich zu bedecken, weil der funkelnde Glanz doch anders auf die Masse wirkt, als das nackte „Heiligenklein“. Nichts Abstoßenderes giebt es wohl als dergleichen unmittelbar mit Perlen und funkelndem Gesteine bedeckte, vollständige Menschengerippe, wie z. B. der heilige Alexander in Freiburg oder die Skelete in Baden-Baden. Man glaubt ein zum Balle und Todtentanze geschmücktes Menschengerippe zu sehen und verwundert sich, wie heilige Männer so eitel sein können, daß sie solchen Tand nicht sofort abwerfen, denn die Knochen der wunderwirkenden Heiligen sind immerfort lebendig und begeistet, wie Nihusius lehrte. Der Aachener Dom ist besonders unermeßlich reich durch den Besitz der meisten abgelegten Kleidungsstücke der heiligsten Personen, denn er besitzt nicht nur das Unterkleid der Maria, sondern auch ihren Gürtel und Schleier, nicht nur die Windeln und das Lendentuch, sondern auch den Gürtel und das Schweißtuch des Erlösers, und hat darum stets einen besonderen Stolz darein gesetzt, die „Kleiderkammer“ des Herrn genannt zu werden. In dem Aachener Domhymnus begegnet man darum auch der mehr als curiosen Strophe:

Kleiderkammer sei gegrüßet,
Die des Heilands Blöß’ umschließet,
Wo der Mutter Schooß ihn trägt,
Wo die Kripp’ ihn bergend hegt,
Wo das Kreuz ihn sterbend hebt!

Die pietätvolle Betrachtung und sogar die Verehrung echter (!) Reliquien ist vielleicht eine unschuldige, natürliche Handlung und wohl kaum sündhaft, wenn sich damit weiter kein Mißbrauch verknüpft. Denn es geht ein allgemeiner Zug der Ehrfurcht vor den Ueberbleibseln und der Hinterlassenschaft theurer Verstorbener durch die Menschheit; im Grunde sind wir ja Alle, die wir eine Haarlocke, eine Schleife, einen getrockneten Strauß oder einen vergilbten Brief mit antheilvollem Auge betrachten, vielleicht gar in Stunden lebhafter Erregung küssen, Reliquiennarren. Aber – und das ist der Hauptpunkt – nicht die Sache an sich, sondern das Geschenktbekommen von einer Person, die individuelle Erinnerung giebt solchen Dingen ihren Werth, der sich nicht auf eine zweite Person vererbt. Es ist ähnlich mit den Reliquien großer Männer und Frauen. Sie können für die gesammte Menschheit nur dann Anziehungskraft gewinnen, wenn ihre Echtheit durch zweifellose Documente verbürgt ist.

Fragen wir aber, wie es in dieser Beziehung mit den Aachener Reliquien steht, so lautet die Antwort: weder die Herkunft eines der sogenannten großen Heiligthümer, noch der zahllosen kleinen, vielleicht mit Ausnahme der Gebeintheile Karl’s des Großen, ist durch irgend ein Document verbürgt; man kann von den meisten selbst nicht einmal mit Sicherheit angeben, wo sie sich aufgehalten haben, bevor sie nach Aachen kamen. Ein dumpfes Gerede, die sogenannte Stiftstradition, behauptet, sie seien größtentheils von Karl dem Großen zusammengebracht worden, der in Jerusalem, Constantinopel und Rom – seiner Zeit den Hauptstapelplätzen des Reliquienschachers – die zuverlässigsten Verbindungen schon vermöge seines Ansehens gehabt, um nur die besten, preiswürdigsten Waaren zu erhalten. Wir werden den Werth dieser Ueberlieferung nachher genauer betrachten, um uns in den Augen befangener Leser wegen unserer strengen Beurtheilung des Reliquienhandels zu rechtfertigen. Zunächst sei nur erwähnt, daß auch die Erwerbung durch Karl den Großen bei keinem Stücke durch ein Document oder nur durch die Erwähnung eines zeitgenössischen Schriftstellers verbürgt ist. Ganz wesenlose Sagen, wie z. B. die keine Kritik vertragende

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 708. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_708.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)