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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

trägt jede, auch die ärmste und sogar die ekelhafteste Negerin. Nur die armen Araberbeduinen- und Kabylenweiber müssen dieses Schmuckes entbehren. Letztere tragen sich noch fast so, wie’s in der Bibel beschrieben wird, auf die einfachste Weise.

Auf dem Kopfe haben die Jüdinnen einen eigenthümlich nationalen Putz – es ist ein Wirbel, von Gold gestickt und von einem Haik (Schleiermantel) bedeckt, wie ein Kamm. Um diesen sind seidene Binden und Tücher gewickelt, welche, unter dem Kinn zusammengenommen, das Gesicht umrahmen und den übrigen Kopf, sowie den Hals und mitunter den halben Oberkörper verhüllen. Ein weißer oder buntseidener Schleier fällt rückwärts herab.

Ueberdies ist allen Orientalinnen eigen, sich so viel wie möglich mit Schmuck und Juwelen zu überladen, und dies repräsentirt ihren Reichthum. Manche tunesische Jüdin stellt auf diese Weise ihr ganzes Vermögen zur Schau, während es daheim recht elend ausschaut.

Ich habe hier geschildert, wie beide, Jüdin und Maurin, in der häuslichen Tracht ziemlich übereinstimmen. Ganz anders ist das auf der Gasse, im öffentlichen Verkehre.

Die Maurin verbirgt alle diese Herrlichkeit vor fremden Blicken. Wenn sie auf der Straße erscheint, sieht sie aus wie ein Räthsel. Man weiß nicht, ob sie alt oder jung, schön oder häßlich ist. Mit Ausnahme der Beine bis zum Knie sieht man gar nichts, was einer weiblichen Form gleichkommt. Sie trägt über ihrer Kleidung einen weißen seidenen Mantel, der, malerisch gefaltet, vom Kopfe bis über’s Knie alles verbirgt. Sogar die Hände hat sie sorgfältig darein gewickelt. Das Gesicht ist mit einem äußerlich undurchsichtigen schwarzen Seidentuche so eng umwickelt, daß, von der Seite gesehen, die Contouren des Profils mitunter sich ganz scharf abheben. Will sie ein Uebriges thun, so trägt sie über dieser Hülle noch einen langen schwarzen Seidenschleier, den sie mit den Händen schief abhält, um den Weg vor sich zu erkennen. Die Araberweiber und Armen tragen mitunter blos ein loses, grellfarbiges Seidentuch über dem Kopfe, das über das Gesicht lang herabfällt.

Die Jüdinnen dagegen erscheinen unverschleiert, nur ein weißes Linnen über Kopf und Schulter, so daß man ihre Kleidung darunter erkennen kann. Gesittete jüdische Mädchen leben zurückgezogen, kommen nur selten auf die Straße und bewundern die Welt blos von ihren Fenstern oder dem Plateau des Hauses aus.

Eine solche Scene habe ich dargestellt. Die neugierigen Schönen sind im eifrigsten Gespräche – am Schabbes, mit ihrem schönsten Putze angethan, hat eine Freundin die anderen zwei besucht, damit sie von deren günstig gelegener Wohnung einmal einen ungenirten Blick in die Menge thun kann. Dabei wird gelacht und gescherzt. Ich hatte von einem benachbarten italienischen Hause aus die Scene mit angesehen und skizzirte sie flüchtig; da kam der alte Jude; die Mädchen bemerkten mich, und – husch, waren sie weg.

Es mag noch hervorgehoben werden, daß diese Mädchen sich nicht am Fenster zeigen, um gesehen zu werden, denn das thun dort nur Leichtsinnige und Freudenmädchen, sondern um selbst zu sehen und ihren Spaß zu haben. Trotz der Aehnlichkeit der arabischen und jüdischen Lebensweise genießen die Jüdinnen in Tunis, wie schon gesagt, einer gewissen Freiheit, wenn auch nicht in dem Maße, wie unsere Frauen. – Da nach dem Begriffe eines Orientalen kein Mann sich nach einem Frauenzimmer umsieht, ohne „Absichten“ zu haben (denn bloße Bewunderung versteht er nicht), in es auch höchst verpönt, ein weibliches Wesen zu beachten oder gar deswegen still zu stehen, und es wird dies immer übel genommen. Daher wandeln auch die Frauen und Mädchen jedes Volkes und Stammes unbeachtet durch die Straßen, und Jude und Mohammedaner würden es sehr übel nehmen, wollte man die Schönheit ihrer Töchter bemerkt haben, oder gar es wagen, ihnen etwas Schmeichelhaftes darüber zu sagen.

Robert Leinweber.




Die Wittwe eines Freiheitskämpfers.


Zum 9. November.


Am 18. März dieses Jahres ging gegen Abend ein Leichenzug durch die Straßen Leipzigs. Der Sarg war reich geschmückt mit Blumen und Palmen, der letzten Liebesgabe aus Freundeshand; der Regen fiel klatschend nieder auf die Steinplatten der Trottoirs; der Sturm fegte darüber hin, und in Regen und Sturm blieb manch’ ein alter Mann stehen; mit der Hand winkend wie zum Gruß, blickte er dem Trauerzuge nach – die Lippe nannte leise einen Namen.

Mit der, die hier zur letzten Ruhestatt fuhr, hatte einst ein ganzes Volk getrauert, und ein ganzes Volk hatte tröstend ihr die Sorge tragen helfen, als mehr denn fünfundzwanzig Jahre früher der Gewaltstreich in Wien sie zur Wittwe, ihre Kinder zu vaterlosen Waisen gemacht. Jene stille Fahrt unter duftender Blumenspende, durch Regen und Sturm, war der Schlußstein eines Menschenlebens, das reich gewesen war an Glück und Stolz, noch reicher an Leid und nimmer endender Trauer. Man begrub an jenem Nachmittage die Wittwe Robert Blum’s.

Wie selten in ein Frauenleben, so hatten in ihres die geschichtlichen Ereignisse unseres Jahrhunderts eingegriffen. Die Kanonendonner der Schlacht bei Leipzig klangen in ihre erste Kindheit; die darauf folgenden Staats- und Kriegswirren trieben sie mit ihrer Familie aus dem Vaterhause, dem Vaterlande. Dann, auf der Höhe von Glück und Leben, entriß ihr die Revolution des Jahres 1848 den Gatten, und als der letzte deutsch-französische Krieg die deutsche Einheit erstehen ließ, für die einst Robert Blum gekämpft und gelitten, da durfte wohl seine Wittwe mit einstimmen in den stolzen Siegesjubel, und doch mußte zu gleicher Zeit bei jeder neuen Nachricht vom Kriegsschauplatz ihr Herz sich zusammenziehen in Angst und Sorge: Stand doch ihr jüngster Sohn mit in der Reihe der Kämpfer, und in dem beständigen Bangen um sein Leben achtete sie nicht die Erkältung, die der harte Winter ihr zuzog und deren Folgen sie nach mehr als dreijährigen Leiden am 15. März 1874 erlegen ist.

Nicht eine Wiederholung der Geschichte unseres Jahrhunderts will diese Lebensskizze geben, sie will nur darlegen, wie die große Zeit einen Frauencharakter herangezogen, so mild, daß er sein Schicksal tragen konnte ohne hart und bitter zu werden, so fest, daß die edle Frau den letzten Willen des Gatten vollführen und ihren Kindern den Vater ersetzen konnte.

Eugenie verw. Blum wurde am 13. Febr. 1810 als die Tochter des Fabrikbesitzers Johann Georg Günther in dem an der Mulde freundlich gelegenen Städtchen Penig geboren. Drei ältere Schwestern und ein Bruder freuten sich des jüngsten Schwesterleins in der Wiege. Unter ihnen erwuchs sie zum fröhlichen Kinde, das, als die Kriegsunruhen ihnen das Haus voll Einquartierung legten, keine größere Sorge kannte, als die schönen Puppen vor den wilden Gästen in’s Nachbarhaus zu retten. Ihre Zweifel an der Zuverlässigkeit der bärtigen Soldaten wurden nicht gemindert, als durch die Kinderstube die dunkle Sage von lichter- und seifeverzehrenden Barbaren ging, und sie wußte sich bis an ihr Lebensende zu erinnern, wie von da an die Mutter bei jeder großen Serviettenrevue erzählte: „Zwei haben die Kosaken mitgenommen!“ Die Familie Günther wurde von dem Kriege schwer heimgesucht. Das Geschäft des Vaters ging rückwärts und stand endlich ganz still. Es war ein besonderer Glücksfall, daß ihm von Prag aus das Anerbieten gemacht wurde, in eine dortige Kattunfabrik einzutreten; der schwer geprüfte Mann nahm dieses Anerbieten freudig an, und am 18. October 1820 fuhr die Familie in das vielthorige Prag ein. Kanonendonner und Militärmusik empfingen die neuen Ankömmlinge, denn man feierte den siebenten Jahrestag der Schlacht bei Leipzig. Die nunmehr zehnjährige Eugenie, die schon in der Heimath eine reiche geistige Begabung an den Tag gelegt hatte, wurde in Prag zu den Ursulinerinnen in die Klosterschule geschickt. Allein der dort herrschende streng katholische Geist veranlaßte die freidenkenden Eltern sehr bald, das Kind aus dieser Schule zu entfernen, und nun genoß Eugenie mit ihrem um zwei Jahre älteren Bruder

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 726. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_726.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)