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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

war. Es war darüber Frühling geworden, und eines Abends – o, wie genau erinnere ich mich seiner! – ging ich in meinem Garten auf und nieder; der Flieder duftete, und die Nachtigall sang so sehnsüchtig, wie noch nie – da kam meine Liebe mit überwältigender Macht über mich; ich übersprang leicht den Zaun und stand im Garten des Nachbars. Dort, hinter jenem Fliederbusche, in dem die Nachtigall immer ihr Nest baute, stand eine kleine Bank, die unser Lieblingssitz war; dort hoffte ich jetzt Sabinen zu finden.

Ja, dort saß sie, aber nicht allein – der Vetter saß neben ihr und hatte den Arm um sie gelegt; eben jetzt beugte er sich herab, ihren Mund zu küssen. – – –

Ich habe sie nicht wiedergesehen.

Unser Hausarzt bestand auf einer Luftveränderung, einer Zerstreuung für mich, um meine durch die Krankenpflege angegriffene Gesundheit zu stärken, und so erfaßte ich die Gelegenheit, mich von meiner Vaterstadt und allen ihren Banden für längere Zeit loszureißen.

Sabine heirathete im Spätherbste, und kurze Zeit darauf kehrte ich nach Hause zurück, in die Heimath, die mir nun kaum noch wie eine solche erschien. Jetzt hätte ich all’ die schönen Pläne von Reisen nach Nord und Süd wohl ausführen können; nichts hinderte mich daran, aber ich hatte die Lust dazu verloren. Ich lebte einsam in meinem leeren Hause und wurde bald, wozu man mich dem Namen nach schon lange gemacht hatte: der alte Hartlieb.

Als der Nachbar Dreßler gestorben war, kaufte ich sein Haus und seinen Garten – ich hätte es nicht ertragen können, fremde Leute darin zu sehen, aber ich betrete es nie. Das Haus habe ich verschlossen, so wie ich es fand; noch steht Sabinens einfacher alter Nähtisch an dem Fenster, an dem ich sie so oft im Vorübergehen begrüßte, und im Garten haben die Fliedersträuche wohl schon die Bank und den Weg überwuchert.

So ist es gekommen, daß ich ein einsamer alter Mann geworden bin. Ich habe keine Familie und bekleide kein Amt, und es mögen wohl Viele mein Leben für ein recht nutzloses halten, aber wenn ich so manches ‚Gott vergelte es Euch, Nachbar!‘ höre, so tröstet mich der Gedanke, daß mein Dasein doch wohl kein ganz verlorenes sein mag.

Und nun geht es wohl auch bald mit mir zu Ende. Nur noch kurze Zeit und ich darf die müden Augen schließen und ausruhen unter den alten Linden unseres Kirchhofes, und dort bin ich nicht mehr einsam.

In meinem Hause, das ich meinem Pathen vererbe, wird es dann wohl auch wieder lebendig werden, und junge Füße werden durch Haus und Garten eilen. Aber sie werden mir auch eindringen in das Stübchen, das ich so ängstlich verschlossen hielt, und werden die Spinnweben von Sabinens Fenster fegen und den Staub von ihrem Arbeitstischchen. Doch mir thut das nicht mehr weh.

Vielleicht hält unter dem alten Fliedergesträuche einmal der junge Franz sein Lieb im Arm, und dann schlägt wohl die Nachtigall so süß wie ehedem.“ – – – –

„Und Sabine Dreßler war der Mädchenname meiner Großmutter,“ sagte meine Frau, als ich ihr die Blätter wieder zurückgab, „sie hat von ihrem Geburtsorte nie gesprochen, aber ich weiß nun, weshalb sie in ihrer letzten Stunde, in der Stunde, in welcher Du mir von dem alten Franz Hartlieb erzähltest, unsere Hände ineinander legte.“

Jahre sind vergangen seit jenem Tage; mein kleiner Franz hat gestern seine ersten Höschen bekommen, die ihm sein Oheim Karl gemacht hat; für den Andern, noch Namenlosen, der in der Wiege liegt, habe ich sie schon vorläufig bei Bruder Gottlieb bestellt, und die runden Händchen der kleinen dicken Sabine haben heut’ die ersten Fliederblüthen auf des alten Hartlieb Grab niedergelegt.

Das ehemalige Dreßler’sche Haus habe ich niederreißen lassen und dadurch noch unsern Garten vergrößert, und an jener Stelle, wo Sabinens Arbeitstischchen am Fenster stand, nicken jetzt blaue und weiße Fliederzweige über den Zaun nach der Straße hinaus.




Vor dem Schlosse meiner Ahnen.

 (Mit Abbildung.)

Das ist das Schloß im Buchenhain,
Das meiner Kindheit Wiege war.
O Weihnachtszeit, wie zogst du ein
So märchenschön, so wunderbar!
Wie war so lieb die Mutter mein –
     Nun schläft sie längst im Grabe.
Das ist das Schloß im Buchenhain,
     Wo süß geträumt der Knabe.

Das ist im Schloß der Ahnensaal,
Wo unter’m Christbaum weihevoll
„Gelobt sei Gott!“ im Festchoral
Wie himmlischer Gesang erscholl.
Nun jubeln Fremde dort beim Mahl –
     Mein Ohr vernimmt’s mit Schmerzen.
Das ist im Schloß der Ahnensaal,
     Wo mir gestrahlt die Kerzen.

Das ist im Hain der Laubengang,
So weihnachtshell im Lichterschein.
Einst war ich Herr im Schloß – wie klang
Mein Wort so stolz in Haus und Hain!
Ach! Glück und Glanz, wie lang’, wie lang’
     Verloren und verdorben!
Ein Bettler steht im Laubengang,
     Dem Lieb’ und Lust gestorben.

 Ernst vom Strande.




Epische Briefe.
Von Wilhelm Jordan.
V. Das indische Epos. (Schluß.)


Das zweite indische Epos, Ramajana, wird einem Brahmanen, Valmiki, zugeschrieben. Auch machen es Inhalt und Tendenz unzweifelhaft, daß berechnende Priesterarbeit ihm seine jetzige Gestalt gegeben hat.

König Daçaratha von Ajodhja hat von drei Frauen drei Söhne: Rama, Lakschmana und Bharata. Schon alt und schwach, will er den Erstgeborenen zum Könige weihen. Aber Keikeja, seine dritte Frau, hatte ihn einst nach schwerer Verwundung aus der Schlacht gerettet, geheilt und dafür von ihm das Versprechen empfangen, ihr eine Bitte zu erfüllen. Eine boshafte, weil buckelige Sclavin stiftet sie an, nunmehr den Thron zu fordern für ihren Sohn Bharata. Obgleich ihr der König flehend zu Füßen fällt, sie besteht auf ihrer Forderung und er muß sein Wort halten. Rama selbst ist voll edler Entsagung und zwingt ihn dazu. Aber Lakschmana, sein Bruder, ein Vertreter der alten kriegerischen Gesinnung und des Heldenstolzes des Mahabharata, lehnt sich dagegen auf, daß er das Heil des Reichs der Tücke einer Sclavin opfern wolle, und erklärt diese weichliche Ergebenheit für unwürdig eines hochgeborenen Kschatrija. Ihn zu widerlegen ist die Hauptaufgabe der Dichtung. Rama schlägt ihn denn auch mit siegreichen Gründen. Was wiegt das Wohl eines Reiches gegen die Heiligkeit eines Fürstenwortes, und sei es auch noch so thöricht! Entsagung und leidender Gehorsam seien die obersten Pflichten. Er und seine Gattin Sita schenken

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 836. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_836.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)