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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


weiß verputzt, besponnen mit Reben, die sich zur rechten Seite des Hauses über einen kleinen von weiß angestrichenen Holzständern gehaltenen Laubgang legten, und mit hellen Fenstern hinableuchtend auf das grüne Thal und die häßlichen chaotischen Industrieflecken mit seinen rauchgeschwärzten Dächern und schwarzen Schlackenfeldern darin. Weiter unten schlug der Fluß einen Bogen um eine Ecke des Bergwaldes, die ihm von links her in den Weg trat; hier lag zu seiner rechten Seite ein größeres Gebäude, im schmucken modernen Villenstil mit Terrasse und Veranda, mit hübschen englischen Gartenanlagen rings umher, durch welches sich zwischen den Rasenstücken breite, mit schwarzem Schlackenstaub bedeckte Wege zogen; es war das offenbar der Sitz des das rastlose Treiben und Wirken weiter aufwärts belebenden Princips, des schaffenden und lenkenden Genius des Orts, des „Eins und Alles“ dieses industriellen Mikrokosmos, des „Capitals“.

Was weiter in diesem enger umschlossenen Stück der Landschaft das Auge fesselte, war links, jenseits der mit Fruchtfeldern bedeckten Halde, die nach dem Fluße hinab in grüne Wiesen verlief, der scharfabgeschnittene Saum eines schönen alten Hochwaldes. Er zog in gerader Linie zum Ufer des Gewässers hinab und auf der mittleren Höhe etwa lehnte sich an ihn ein malerischer alter Edelhof mit Zackengiebeln, mit Thürmen und Fahnen; es war als habe die hochmüthige Feudalität sich vor dem Fabrikenlärm, Schmutz, Rauch und Getriebe auf die Flucht begeben und sei von ihm fortgerückt, so weit nur irgend möglich, bis hart an den Hochwald, der die Flucht gehemmt und an den sie nun, wie in seinem Schatten Schutz suchend, sich voll „patriotischer Beängstigungen“ drücke.

Aber das Capital, oder vielmehr sein Vertreter und Besitzer, war in diesem Augenblicke weit entfernt, sich mit der Feudalität, ihren Neigungen und Gefahren zu beschäftigen; der Fabrikherr Gottfried Escher, ein Mann, den Fünfzigern nahe, eine große kräftige Gestalt, mit gewinnenden, sehr festen und große Entschlossenheit andeutenden Zügen – dafür sprach das breite Kinn und die tiefe nie schwindende Furche zwischen den dunklen Brauen – saß eben jetzt in sehr nachdenklicher Haltung unter einer erhöht liegenden Laube seines Gartens. Herr Escher schien mehr mit eigenen Angelegenheiten beschäftigt; er saß ein wenig zusammengesunken auf der Bank, hatte seine Cigarre ausgehen lassen und blickte sinnend auf den Boden; neben ihm saß ein sehr hübsches schlankes Mädchen, seine älteste Tochter, und hielt, während ihre Hände im Schooße ruhten, ihr feines, regelmäßiges Profil von ihm abgewandt, so daß ihre klugen braunen Augen mit einem wehmüthig ernsten Ausdruck auf dem kleinen weißverputzten Hause ruhen konnten, das jenseits des Flusses auf der Höhe lag.

Nach einer langen Pause blickte Herr Escher auf und beobachtete eine Weile still die Blicke seiner Tochter.

„Elisabeth!“ sagte er endlich leise.

Sie erschrak leicht und wandte erröthend dem Vater ihr Gesicht zu, um ihm doch nun offen und gerade in’s Auge zu blicken.

„Wo sind Deine Gedanken, Kind? Drüben unter Deines Oheims Gotthard Dache?“

Sie nickte leise mit dem Kopfe, um dann ihr Haupt wieder zu wenden und in dieselbe Richtung zu schauen.

„Es ist traurig,“ fuhr Herr Escher nach einer Pause fort, „daß wir Alle zu einem so hartnäckigen zähen Geschlechte gehören – wir Alle, ausgenommen freilich Malwine, die wieder gar zu wenig von dieser Festigkeit besitzt und sich vom Leben schaukeln und tragen läßt, wie eben des Lebens Wellen sie werfen. Für sie aber bin ich Gott sei Dank nicht mehr verantwortlich, und ob die nächste Welle, die sich ihrer bemächtigt, Herr von Maiwand heißt oder einen andern Junkernamen führt, ist mir völlig gleichgültig. „Was mich kümmert“ – Herr Escher sagte das mit leiser Stimme –, „das ist, daß Dein Herz noch immer an Rudolph zu hängen scheint, so energisch ich Dir erklärt habe …“

„O ja,“ fiel hier Elisabeth ein wenig bitter ein, „Deine Energie ließ nichts zu wünschen übrig; wohl aber die Erklärung.“

„War sie nicht deutlich genug? Daß ich nicht zugeben kann, nicht zugeben werde …“

„Das habe ich freilich verstanden,“ unterbrach ihn das junge Mädchen, „nicht aber das Warum.“

„Wende Dich doch an Malwine!“ versetzte heftig Herr Escher, „sie wird’s Dir erklären können – ich will es nicht, weil ich mir das gelobt habe um meines Bruders Gotthard willen. Deshalb kommt das Warum nie über meine Lippen.“

Elisabeth sah ihn groß an.

„An Malwine soll ich mich wenden? Was weiß Malwine von Deinen Beweggründen? Sie würde mir lachend antworten: ‚Ei, blinde Elisabeth, Dein Vater will eben seine einzige Tochter nicht an einen untergeordneten Techniker, der nicht viel mehr ist als ein armer Maschinenschlosser, geben – das ist eine einfache Sache.‘“

„Das würde sie nicht sagen; dazu kennt sie meine Denkungsart zu gut. Wir alle sind Leute, wir Escher, die ihr Leben auf die eigene Kraft gegründet haben, und wenn Hochmuth in uns ist, so richtet er sich nicht wider Die, welche im Kampfe mit dem Leben nach demselben Ehrenpreise ringen, sondern höchstens wider Die, die sich über uns erhaben dünken, weil sie nichts ihrem Verdienste verdanken, sondern Alles dem Glücke und dem Vorurtheile der Anderen, dem Knechtssinne der Welt. Nein, Elisabeth. Malwine würde das nicht zu Dir sagen; aber eine andere, bessere Auskunft über meine Motive würde sie Dir auch wohl nicht geben. Ich zweifle, daß sie es würde. Sie müßte dazu von ihren früheren Beziehungen zu Rudolph reden – damals, als sie noch Sängerin war und Rudolph in der Hauptstadt in einem Kaufmannsgeschäfte diente.“ – –

„Und was,“ fiel Elisabeth betroffen und heftig ein, „was für Beziehungen hatten sie denn zu einander? Welche anderen, als die zwischen einer berühmten und gefeierten Sängerin der Hofbühne und einem armen Commis, der ihr Vetter ist, bestehen konnten?“

„Danach frage mich nicht weiter! Ich will Dir nur, wenn Du mir heiliges Schweigen darüber gelobst, das Eine sagen, daß diese berühmte Sängerin dem Commis ihr ganzes Vermögen opferte, nachdem der Commis sich in die unehrenhafte, ja gründlich unehrenhafte Lage gebracht hatte, es annehmen zu müssen. Nun hast Du Alles gehört, was ich Dir sagen kann. Du wirst darüber schweigen – gegen Jedermann. Es muß darüber geschwiegen werden, und ich verlange das von Dir. Und im Uebrigen vertraue mir, meiner Liebe und Sorge für Dich! Thust Du es, Elisabeth? Gieb mir die Hand darauf, mein Kind!“

Elisabeth’s Augen waren feucht geworden; groß und betroffen blickte sie ihren Vater an und legte langsam ihre Hand in seine Rechte.

„So,“ sagte er, „und nun quäle mich nicht mehr! Ich kann Dir von diesen früheren Beziehungen Malwinens und Rudolph’s nicht mehr sagen, dem Gelöbniß, das ich mir selbst gegeben, nie darüber zu sprechen, nicht weiter untreu werden. Was ich Dir eben sagte, hat mir die Lage, in welcher ich mich befinde, entrissen; Du weißt, Elisabeth, welche Wolke über mir hängt und welche Sorge auf mir liegt. Wenn ein Mann dem Kampfe mit der Welt um ihn her entgegen geht, will er Frieden haben daheim, an seinem eigenen Herde. Ich konnte Dich nicht so in trübe Gedanken verloren und gegen mich empört, mir grollend, dasitzen sehen. Ich kann es nicht ertragen, jetzt nicht, daß Du mich verkennst.“

„Ich grolle Dir nicht, Vater; ich weiß, daß Du mich liebst,“ versetzte Elisabeth und neigte ihr Gesicht, über das jetzt Thränen quollen, auf seine Schulter, auf die sie ihre Stirn drückte.

Nach einer Weile hob er ihr leise das Gesicht, drückte einen flüchtigen Kuß auf ihren Scheitel und stand auf, um gesenkten Hauptes, die Hände auf den Rücken zusammengelegt, dem Hause zuzugehen. Er war offenbar mit den eigenen Sorgen viel zu beschäftigt, um noch lange bei dem Kummer seiner Tochter verweilen zu können … es war das eben nur ein Liebesgram, und – das wußte er ja – sein Kind war verständig, klar, entschlossen; sie war sein Blut. Das, was er ihr gesagt, mußte sie beruhigt haben.

Wie wenig ahnte er, welchen Stachel seine Worte für sie gehabt hatten! wie schmerzlich das Licht ihr in’s Herz brannte, das er ihr über die frühern Beziehungen des Mannes, den sie liebte, zu der Verwandten, welche diesem ihr Vermögen geopfert hatte, gegeben. O, es wäre tausendmal besser gewesen, er hätte sie weiter glauben lassen an seinen harten Hochmuth, als ihr solche halbe bittere Enthüllungen zu machen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_002.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)