Seite:Die Gartenlaube (1875) 011.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Journale und Archivschlüssel dreht, Dinge, welche Aufschluß über die Rechtsfrage oder die Spuren einer politischen Intrigue geben sollen.

Eine hervorragende Bedeutung wird den Aussagen des Grafen von Wesdehlen beigelegt, welchem der Angeklagte gesagt haben soll, er nehme die betreffenden Papiere zu seiner Vertheidigung mit. Der Botschaftsrat gleicht in der äußern Erscheinung einem niederländischen Edelmanne aus der Umgebung Wilhelm's von Oranien. Seine Aussagen sind leise, fast unverständlich. Graf Arnim, der sich wiederholt mit dem Taschentuche über die hohe Stirn fährt, unterbricht den Zeugen, wobei er gegen den Präsidenten gewendet die Bemerkung hinwirft: „Sie entschuldigen, wenn ich so geradezu mit dem Herrn Grafen rede.“ – Der Vorsitzende, welcher unter all' den Diplomaten fast diplomatisch höflich ist, gestattet die Freiheit mit einem oft angewendeten: „Ich bitt' schön.“ Der Angeklagte kommt der etwas dunklen Erinnerung des Botschaftsraths zu Hülfe, worauf dieser seine Aussagen wesentlich modificirt.

Ungleich fester und bestimmter tritt ein anderer Zeuge, der Botschaftsrath Baron von Holstein, auf. Dieser Mann, den das auswärtige Amt eines so großen Vertrauens würdigt, hat chevalereske Manieren, und man empfängt den Eindruck, als werde derselbe Carrière machen. Der Baron deponirt seine Aussagen frank und frei, welche sich in den Augen der Juristen als in moralischer Beziehung sehr gravirend für den Angeklagten gestalten.

Zu den interessantesten Episoden des ganzen Processes gehörte die Confrontirung der Zeugen Reichstagsabgeordneter Braun, Dr. Zehlicke und Bossart. Diese Excollegen von der „Spener'schen Zeitung“ wurden eidlich vernommen, und was der krank und matt auf seinem Stuhle sitzende Zeuge Zehlicke deponirt, daß der Zeuge Braun die Absicht geäußert habe, mit dem Angeklagten in Verbindung zu treten, bezeichnet Dr. Braun mit dem Gesichte eines gut aufgelegten Satyrs als unwahr und zeiht in ziemlich starken Ausdrücken seinen Excollegen der Indiscretion. Bei den widersprechenden Aussagen dieser drei Zeugen fliegt ein sardonisches Lächeln über das Gesicht des Grafen Arnim; bald darauf geräth er jedoch in große Aufregung, als der Unterstaatssecretär Bülow, ein behäbiger Mann mit schwarzem Haare und Bart, hinkend auf dem Zeugenplatze erscheint und erklärt, der Bericht des Angeklagten sei ironisch gehalten gewesen. Zum ersten Male wird der Graf Arnim heftig; er unterbricht in großer Erregtheit den Zeugen und ruft: „Sie haben nicht das Recht, mir eine Arglist unterzuschieben.“

Eine elegische Stimmung herrschte nur einmal im Saale: es war in jener Minute, als der Angeklagte das Schlußwort ergriff, um zu bemerken, daß für ihn die sogenannten Conflictsacten nicht ein Actenbündel im gewöhnlichen Sinne des Wortes seien, sondern ein Grab, in welchem seine von frühester Jugendzeit an bestandenen Freundschaftsverhältnisse ein Ende gefunden. Wenn man sich vergegenwärtige, was alles darin enthalten wäre, so müsse man wohl glauben, daß er sich habe für berechtigt halten können, diese Schriftstücke als sein Eigenthum anzusehen.

Durch diese mit bebender Stimme gesprochenen Worte trat für jeden Hörer der überraschende Umstand zu Tage, daß ein im Staatsdienst grau gewordener Diplomat sich über den Charakter des Reichskanzlers, den er als Jugendfreund bezeichnete, so gründlich täuschen konnte.

Als Bismark in den dunklen Hades deutscher Kleinstaaterei, hinabstieg, um die Eurydike-Germania heraufzuholen, that er das nicht als ein lyrisch gestimmter Orpheus, der in zärtlicher Besorgniß seine Blicke rückwärts schweifen läßt, sondern er packte die Abhandengekommene mit eiserner Faust, schleifte sie gewaltsam durch die stygischen Gewässer der Olmützer Verträge und den unsaubern Kocytos der napoleonischen Politik. Der wenig scharfsinnige Diplomat hätte doch wohl einsehen können, daß einen solchen Mann von Eisen weder die Sirenenstimmen der Jugend, noch das Toben der Unterwelt zum Rückwärtsblicken bringen konnten. Wer es versuchte, seinen Weg zu kreuzen oder ihm Steinchen unter die Füße zu werfen, der gerieth einfach unter die Absätze seiner hohen Kürassierstiefel. Wie sich aus den Verhandlungen erkennen läßt, stand Graf Arnim zwei Jahre lang hindernd in des Reichskanzlers Bahnen. Dieser hatte, als die Enthüllungen Lamarmora's im vorigen Jahre im Landtag zur Sprache kamen, dem Himmel gedankt, daß solche Dinge in Deutschland unmöglich seien, darüber durfte sich also der Angeklagte keiner Täuschung hingeben, daß ihn der ehemalige Jugendfreund mit oder ohne Vertheidigungswaffen beseitigen würde, sobald auch nur der Schatten eines Beweises auf ihm haften bliebe, als wolle er eine ähnliche Rolle in Deutschland übernehmen, wie sie Lamarmora in Italien spielte. Und jeder Staatsmann, der seinen großen Zielen energisch entgegenstrebt, würde in gleicher Weise vorgehen.

Der Rechtsanwalt Dockhorn versuchte es, am Schlusse seines Plaidoyers eine Analogie zwischen seinem Clienten und dem vor fünfundzwanzig Jahren in demselben Sitzungssaale, auf derselben Anklagebank befindlichen Waldeck nachzuweisen, und stellte dem ersteren eine gleiche Genugthuung in Aussicht, wie sie dieser Volksmann erfahren habe. Nicht mit Unrecht bemerkte hierauf der Staatsanwalt mit kaum verhehlter Ironie, daß ein Anknüpfungspunkt an den Proceß Waldeck nur insofern vorhanden sei, als derselbe in den gleichen Räumen stattgefunden habe, und setzte mit der Bestimmtheit eines erfahrenen Auguren hinzu, daß er an die Freisprechung des Angeklagten nicht glaube.




Heute ist bereits das Urtheil gefällt; es verurtheilte den Grafen Arnim zu drei Monaten Gefängniß. Bleich und tief ermüdet hörte der Angeklagte seine Verurtheilung an, doch athmete er sichtlich auf, als ihn der Schluß des Erkenntnisses von der Urkunden-Unterschlagung und dem Amtsvergehen freisprach und nur des Vergehens wider die öffentliche Ordnung schuldig erklärte. Dem Staatsanwalt schien das milde Urtheil fast etwas unerwartet zu kommen; er sah bei der Verlesung weder auf den Verleser des Erkenntnisses, Stadtgerichtsdirector Reich, noch auf den Angeklagten und hörte wohl nur mit halbem Ohre hin. Bei dieser Gelegenheit zeigte es sich übrigens, daß ein gewaltiger Unterschied zwischen dem Fall Waldeck und dem Fall Arnim waltet. Als Waldeck sein Urtheil erwartete, befand sich das preußische Volk in fieberhafter Erregung; ein Sturm ging durch das ganze Land und wühlte alle Schichten der Bevölkerung in gleichem Maße auf. Die Spitzel der Reaction hatten mit dem „Bubenstück“ an das Herz des Volkes gerührt; Waldeck's Sache war seine Sache, und als der einfache Volkstribun in Freiheit gesetzt war und auf dem Molkenmarkt erschien, jauchzte ihm halb Berlin entgegen und das preußische Volk athmete erleichtert auf.

Der Proceß Arnim erregte die Neugierde der weitesten Kreise, setzte ganz Frankreich in Bewegung, aber eine große Theilnahme sucht der Unterliegende vergebens unter den Spitzen der Gesellschaft, während bei dem Volke der Proceß fast vergessen war, noch bevor das Urtheil verkündet wurde. – Im Interesse unseres durchaus noch nicht gefesteten deutschen Reiches muß man aber wünschen, daß derartige „Vergehen wider die öffentliche Ordnung“ nicht wieder vorkommen mögen, da sie bei weniger aufmerksamer Beaufsichtigung leicht nach innen und nach außen Verwirrung und Verderben im Gefolge haben könnten.

R. E.




Ein Herz auf dem Thron.


Wer in unseren Tagen des erneuten Kampfes zwischen „Reich“ und „Kirche“, „Kaiser“ und „Papst“ vergleichende Blicke in die deutsche Vergangenheit wirft, dem wird vor allen Anderen Kaiser Joseph's Bild entgegen treten: er war der edelste Märtyrer auf dem Throne für das Bestreben, durch jene alleinrettenden Güter des Geistes und Herzens seine Völker zu beglücken, nach denen sie, nach seinem Tode abermals von den Netzen des schlimmsten politischen Systems umstrickt und umnachtet, noch heute, aber nicht mehr hoffnungslos, ringen. Wir halten es daher für unsere Pflicht, heute wieder den theuren Namen zu nennen. Die Gelegenheit dazu lassen wir uns von einem trefflichen Gemälde „Der Kaiser auf dem Sterbebette“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_011.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)