Seite:Die Gartenlaube (1875) 057.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


No. 4.   1875.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.


Das Capital.
Erzählung von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


6.

Als Frau von Haldenwang heim kam, fand sie Herrn von Maiwand auf der Terrasse sitzend, eine Cigarre rauchend und in die Zeitung vertieft, in der er die vierte Seite, welche die Course von allen möglichen Bank-, Eisenbahn-, Industrie- und Schwindelactien brachte, studirte. Er erhob sich, als Frau von Haldenwang an ihm vorübergehen wollte, und zog ihr einen Stuhl herbei.

„Wollen Sie sich nicht von Ihrer langen Promenade mit diesem liebenswürdigen Herrn Landeck ausruhen, Malwine?“ fragte er. „Er sucht seine blonde deutsche Schwärmerei für Sie übrigens unter sehr grober Bärenhaftigkeit zu verbergen und wird dabei oft sehr täppisch. Ich denke, Sie müssen müde sein nach so langer Unterhaltung mit ihm.“

„Die Unterhaltung währte nicht so gar lange,“ versetzte sie, sich niederlassend. „Ich bin auf einem weiten Umwege durch den Wald zurückgekehrt. Ich habe dabei gesehen, daß schöne große Eichen mit dem Forsthammer gezeichnet sind. Sollen sie im nächsten Winter geschlagen werden? Ich will das nicht. Es sind die schönsten im Walde.“

„Auch die schönsten Eichen sind dazu da, um geschlagen zu werden. Unsere Zechen- und Industriebauten haben die Holzpreise bis zu einer Höhe getrieben, daß es lächerlich ist; wir werden im nächsten Winter sehr viel schlagen lassen.“

„Ohne meine Einwilligung nicht, Maiwand. Ich mache Sie verantwortlich dafür.“

„Ah, das ist ja ein ganz neuer Ton, den Sie gegen mich anschlagen, Malwine. Hat Sie dieser Landeck so geärgert, daß Sie an mir geduldigem Hammel den Aerger auslassen wollen?“

„Sie kommen ja gewaltig zähe auf Landeck zurück. Ich wüßte nicht, was er irgend mit meinen Eichen zu schaffen hätte.“

„Das sicherlich nicht,“ versetzte Maiwand, „ich habe aber guten Grund auf ihn zurückzukommen, weil ich Ihnen gestehen muß, daß ich den Ton, den sich dieser junge Mann, auf Ihren früheren Verkehr in Athen gestützt, gegen Sie erlaubt, durchaus unpassend finde. Ob er dort, in Gegenwart meines verstorbenen Vetters, sich bereits so gehen lassen, weiß ich nicht und bezweifle es, weil mein Vetter es schwerlich geduldet hätte. Hier aber, wo Sie, Malwine, in Ihrer jetzigen Stellung zehn Mal behutsamer sein und sich bewachen müssen, ist er unleidlich, und es wäre gut, Sie deuteten dem Onkel Escher an …“

Malwine hatte ihr Gesicht erhoben und sah mit einem so unnachahmlichen Ausdruck von Stolz und Verachtung in die Züge Maiwand’s, daß dieser plötzlich stockte und zögernd hinzusetzte:

„Ich mußte Ihnen das sagen Malwine, und Sie brauchen mich deshalb nicht so entrüstet anzusehen. Ich denke, Sie zu warnen und vor Verdrießlichkeiten zu hüten, hätt’ ich doch ein Recht; das wenigstens hatten Sie mir eingeräumt.“

Sie wandte schweigend das Gesicht ab.

„Ich hüte mich schon selber und habe Niemand ein Recht, mich zu bewachen, gegeben. Erinnern Sie sich daran, wenn Sie wollen, daß ich Ihnen dankbar für die Sorge, meine Interessen zu bewachen, bleibe. Und lassen Sie es sich daran genügen zu wissen, daß ich in der Beziehung ja allen Ihren Rathschlägen blindlings folge.“

„Sie sind heute sehr hart gegen mich, Malwine. Sie wissen recht wohl, daß nicht meine ganze Seele in der Sorge für Ihre Interessen aufgeht.“

„Was doch für Sie und mich das Beste wäre, Herr von Maiwand.“

„Unsere Ansichten sind darüber durchaus verschieden,“ entgegnete er lebhaft, „und die meinen haben das vor den Ihren voraus, daß sie beständiger und sich gleichbleibender sind. Die Ihrigen sind ein wenig wetterwendisch. Sie haben mich, wenigstens vor Kurzem noch glauben lassen, daß Sie anders dächten.“

„Wann hätt’ ich je – doch kommen wir nicht darauf zurück! Was hilft der Streit darüber …“

„Doch, kommen wir darauf zurück! Ich kann unmöglich etwas, von dem mein ganzes Glück und mein Leben abhängt, unerörtert und in Schweigen begraben lassen, wenn ich es durch eine ganz neue Gedanken- und Gefühlsströmung in Ihnen bedroht sehe.“

Auf Malwinens Zügen war sehr deutlich zu lesen, wie drückend und lästig ihr dieses ganze Gespräch war. Doch hatte sie offenbar nicht den Muth, oder fühlte sich Maiwand gegenüber nicht frei genug, um dieses Thema rasch abzubrechen.

„Es ist Ihre Schuld,“ sagte sie, „wenn eine ‚neue Gedankenströmung‘ in mir ist. Sie haben mich zu etwas verführt, was mich jetzt beängstigt, was ich unbedachtsam und gedankenlos auf Ihren Rath hin gethan habe und was, wie ich jetzt einsehe, eine Unredlichkeit war.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_057.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)