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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


und Elisabeth widersetzest! Finde Dich darein, Deine Tochter an – einen einfachen Werkmeister zu geben!“

Escher trat, während seine verschränkten Arme auseinander glitten, einen Schritt zurück. Er blickte fest in die groß auf ihn gerichteten Augen seines Bruders, und mit einem Ausdrucke von großer Bitterkeit, der sich um seine Lippen legte, antwortete er:

„Ach, also auch Du willst meine Lage ausbeuten und mir Bedingungen abtrotzen, Gotthard?“

„Abtrotzen, oder nicht – magst Du’s so nennen, wenn ich komme und wie ein Bruder zu Dir spreche! Rudolph liebt Elisabeth. Der Junge geht mir zu Grunde an dieser Leidenschaft; zu Grunde an Deinem Hochmuthe, der sich nicht darein finden kann, daß Deine Tochter nur eines ehrlichen Arbeiters Weib werden soll. Nun, mein Gott, es ist nicht meine Schuld, daß nicht mehr aus ihm geworden ist. Du weißt ja selbst, daß ich nichts an ihm gespart habe, daß ich ihn auf eine Handelsschule gegeben und dann in einem guten Hause in der Hauptstadt untergebracht habe, damit ein tüchtiger Kaufmann aus ihm werde. Aber er wollte ja nicht aushalten da. Er sei nicht zum Geldmenschen geboren, sagte er. Die Menschen, unter denen er da leben müsse, seien ihm zu windig. Ein Arbeiter wollte er werden. Ein Maschinenschlosser. Und er ist es geworden, aber ein tüchtiger, ein Mann, der schon seinen Weg noch machen wird. Franz Bartels und Söhne …“

„Ich habe nichts gegen seine Tüchtigkeit, Gotthard. Aber ich werde ihm meine Tochter nicht geben. Nie!“

„Ist das Dein letztes Wort? Auch jetzt noch, wo ich Dir sage, besinne Dich, was Du thust? Wo es in meiner Hand liegt, Dich in’s Elend zu bringen?

Wenn Du das über Dich vermagst, gegen Deinen Bruder, so thu’s!“

„Bruder! Handelst Du wie ein Bruder – Du mit Deinem miserablen Hochmuthe? Jämmerliche Menschen seid Ihr, Ihr Bourgeois alle zusammen. Wahrhaftig, sie haben Recht, die da sagen, daß es eine verrückte Weltordnung ist, worin Ihr, denen der Zufall das Capital gegeben, herabschauen dürft auf uns, denen der Zufall kein Capital, sondern nur die Arbeitskraft gab, worin Ihr, die Ihr es habt, diejenigen ausbeuten dürft, die es nicht haben, worin Ihr, die Ihr Geld aus Euren Händen rollen lassen könnt, die Herren Derer seid, welche aus ihren Händen nur ihre ehrlich wirkende Kraft hervorgehen lassen können. Und nun gar Du,“ fuhr Gotthard Escher mit einem Tone unsäglicher bitterer Verachtung fort, „Du mit Deinem Capital …“

„Gotthard,“ rief hier der Fabrikant zornig aus – „ich warne Dich, davon wieder zu beginnen. Ich warne Dich.“

„Warne so viel Du willst – was verschlägt’s mir? Ich sage Dir’s dennoch in’s Gesicht, der Unterschied zwischen uns Beiden ist der, daß ich kein Capital hatte und deshalb ein armer Quäler bleiben mußte mein Leben lang, ein Arbeiter, dessen Sohn Dir für Deine Tochter nicht gut genug ist, und daß Du Dir so hübsch zu Nutzen zu machen wußtest, daß unser Bruder Gottlieb Dich zum Vormunde Malwinens machte. Du bekamst dadurch sein erspartes Capital in die Hände und, statt es treu für Deine Mündel zu verwalten, benutztest Du es, um damit zu speculiren, um Dir eine Fabrik zu gründen – eigentlich war’s eine Schufterei – aber was thut’s – es ist Dir ja so ziemlich geglückt. Malwine hat zwar, so viel ich weiß, bis heute noch keinen Pfennig von dem Ihren erhalten, wird’s auch wohl, wenn der Strike Dich ruinirt, ihr Leben nicht. Aber sie bedarf’s ja nicht, und bis heute bist Du ein großer angesehener Mann damit geworden.“

Gottfried Escher’s Gesicht war völlig blaß geworden. Seine Brust hob und senkte sich wie unter dem Drucke von etwas, das er mit dem Aufgebote seiner ganzen Selbstbeherrschung niederkämpfen mußte; seine Lippen öffneten sich und schlossen sich dann wieder; während in seine Züge dann ein voller Strom von Blut schoß, der sie dunkelroth färbte, trat er rasch einen Schritt vor, und seinen Bruder zur Seite schiebend, setzte er mit raschem zornigem Gange seinen Weg heimwärts fort.

Sein Bruder schaute ihm mit gerunzelten Brauen und düsteren Blicken nach.

„Wenn unser Vater hätte erleben müssen, was aus dem da geworden ist!“ murmelte er ingrimmig vor sich hin.

Und dann wandte auch er sich und ging den Fabrikgebäuden zu, wo eine Brücke über den Fluß lief, über die er an’s andere Ufer und auf den Weg kam, der zu seinem einsam liegenden Hause auf der Halde führte. Er ging langsam, wie ein Mann, den eine schwere Sorge niederdrückt und der weiß, daß ihn in seinen vier Wänden kein Trost seiner Sorge erwartet. So trat er durch das kleine Gitterthor in den vor dem Hause liegenden wohl gepflegten Garten. Auf der Bank neben der Hausthür saß ein hoch und kräftig gebauter junger Mann mit dunklem Vollbarte, der, als er ihn erblickte, ihm rasch entgegenging.

„Was ist in Eurem Ausschusse beschlossen, Vater? – Welche Nachrichten habt Ihr?“ fragte er hastig.

„Für heute noch nichts, Rudolph. Wir erwarten noch zwei Telegramme aus Dresden und aus Berlin. Aber ich habe Deinen Oheim Gottfried gesprochen. Ich habe zum letzten Male in Frieden zu ihm zu reden versucht. Ich habe ihm angeboten, ihn zu schützen, zu retten …“

„Nun?“ rief der junge Mann hochathmend aus.

„Es ist Alles vergeblich bei dem da, Rudolph.“

Rudolph schwieg. Der Alte starrte auf den Kies des Gartenpfades nieder. Rudolph wandte sich seufzend und ging langsam wieder hinauf zu der eben verlassenen Bank. Sein Vater kam und setzte sich neben ihn.

„Daß sich Elisabeth so geduldig in die Tyrannei dieses harten Mannes schmiegt!“ sagte Gotthard Escher.

„O Elisabeth!“ rief Rudolph aus, „sie ist hart, wie er. Sie zürnt mir, weil ich nicht ganz von Malwinen lasse; sie ist in thörichtster Weise eifersüchtig auf Malwine. Und ich kann doch nicht mit Malwine brechen, ich kann es nicht. Sie ist meine Verwandte. Sie hat mir niemals etwas zu Leide gethan. Im Gegentheil, wie viel Gutes hat sie mir nicht damals erwiesen, als ich noch in der Hauptstadt Kaufmannsgehülfe und sie die berühmte Sängerin war! Wie viel verdanke ich ihr nicht!“ Rudolph sprach das mit einem Tone von Innigkeit, als ob es sich um irgend einen wesentlichsten Dienst handelte, den ein Mensch einem Anderen leisten kann. „Und dann,“ fuhr er fort, „hab’ ich andere Gründe, die mich an Malwinens Haus fesseln, Gründe, über die ich einst werde reden können … nur heute nicht – weder zu Dir noch zu ihr.

„Ich,“ fiel ihm sein Vater in’s Wort, „forsche nicht nach Deinen Gründen – ich verlange nicht, daß Du Malwinen aufgiebst, weil Elisabeth eifersüchtig auf sie ist. Es sind das Eure Sachen, die mich nichts angehen. Ich liebe Malwine nicht, wie Du ja weißt. Vielleicht, weil sie mir zu fremd und weil sie zu hochfliegend ist. Ein Mann, der sein Leben lang die rauhe Pflicht that, die ihm das Leben aufgab, und solch ein Wesen, das immer wie auf leichten Flügeln hoch über die Erdennoth wegflattert, das versteht sich nicht zusammen. Dein Onkel Gottfried,“ setzte der alte Mann in bitterem Tone hinzu, „versteht es vielleicht besser. Wenigstens hat er es auf’s Beste auszubeuten gewußt … Er! –“

„Auszubeuten? Der Onkel Gottfried? Und wieso?“

Rudolph’s Vater zuckte die Achseln.

„Er hat es gethan,“ sagte er in einem Tone von Zorn und Ingrimm. „Hast Du Dich denn nie gefragt, woher er, der früher war, was ich, ein Maschinenbauer wie ich, das Capital genommen hat, um sich zu etabliren, um eine Fabrik zu bauen? – glaubst Du, es sei ihm über Nacht vom heiligen Nicolaus gebracht worden?“

„Woher er es genommen? Nun, er hat ja ganz klein begonnen; was er an Capital bedurfte, hatte er sich erspart, von seinem früheren Principal als Vorschuß erhalten – was weiß ich – und dann hat er unter den glücklichsten Zeitverhältnissen begonnen, wie sie damals bei dem hohen Schutz, den unser Eisen hatte, noch bestanden; die Kohlen bekam man ja halb geschenkt …“

„Larifari,“ fiel Gotthard Escher ein, „mit all dem baut man ein Kartenhaus, aber keine Fabrik. Willst Du wissen, wie er’s gemacht hat? Er hat einfach das Vermögen Malwinens, das ihm als ihrem Vormunde anvertraut war, an sich genommen und es für sich verbraucht: es waren, denk’ ich, nahe an zwölftausend Thaler. Frag’ Malwine, falls sie Dir die Wahrheit sagen will!“

„Vater,“ fuhr Rudolph hastig, wie tief erschrocken auf – „das ist nicht wahr, bei Gott es ist nicht wahr – das ist ein erbärmlicher, ein ganz abscheulicher Argwohn …“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_060.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)