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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Im Vendidad, einem erhaltenen Abschnitte des Zend Avesta, zeichnet eine der ältesten Sagen das Muster eines solchen Paradieses. Ich setze sie abgekürzt hierher, weil sie ähnlich wiederkehrt in unserer germanischen Göttersage vom „Garten der Mitte“, den die Himmelsgötter für das Menschengeschlecht den Frostriesen und dem Gefolge Surtur's, des mit Gluth versengenden, entrissen haben und vertheidigen halfen; vom letzten Kampfe mit den Unheilmächten unter Loki’s Führung, dem Wolfe und der Mittgartschlange, vom Untergange der Welt in der Götterdämmerung und von ihrer verklärten Erneuerung. Zugleich bin ich sicher, daß der Leser keines Fingerzeiges bedürfen werde, um zu erkennen, was auch sonst noch Alles in dieser Sage schon deutlich vorgebildet liegt.

Während Jima Khsaëta herrschte, gab es weder Kälte noch übermäßige Hitze, weder Alter noch Tod, weder Haß noch Neid. Väter und Söhne hatten gleichmäßig das Aussehen fünfzehnjähriger Jünglinge. Zu einer Versammlung der besten Menschen kam auch Ahuramazda und sprach zu Jima: „Du sollst die belebte Schöpfung schützen vor den Uebeln des Winters, vor dem Schnee in zu großer Fülle. Mache eine Umfriedigung mit vier Winkeln zur Wohnung für die größesten, besten und schönsten Männer und Frauen. Ebendahin bringe den Samen aller Arten von Vieh, welches auf Erden das beste, größeste und schönste ist. Da lasse nisten die besten der Vögel; da sammele das Wasser in einem Becken von zehntausend Schritt in’s Geviert. Dahin bringe den Samen aller Arten von Bäumen, Speisefrüchten und Gewächsen, welche die schönsten, süßesten und wohlriechendsten sind. Alles dies mache paarweise und unversiechbar.“ Und Jima machte den Umkreis, richtete Wohnungen ein und brachte zusammen die besten und schönsten Männer und Frauen, Thiere und Pflanzen. Nicht war dort Zank und Verdruß, nicht Abneigung und Feindschaft, keine Bettler, keine Klage, keine Armuth noch Krankheit, keine unschön übermäßige Gestalt, kein zu lang gewachsener Zahn, kein Mal des Agramainyus am Körper der Menschen noch an dem immerdar goldfarbenen Orte, dessen Speise niemals versiechte. Diese Menschen führten das schönste Leben und hielten für einen Tag, was ein Jahr ist.

Aber Jima ward übermüthig, sandte sein Bildniß umher zu den Völkern und verlangte göttliche Verehrung. Da wich von ihm der Glanz Gottes. Die Großen empörten sich; Agramainyus brach in Schlangengestalt in sein Paradies ein und drohte schon zu triumphiren. Doch Ahuramazda erbarmte sich und offenbarte durch Zarathustra das „Wort des Lebens“, Zend Avesta, nach dessen Lehren die Menschen das Paradies nun allmählich herstellen können. Aber auch der Böse verdoppelt seine Anstrengungen, und so wird das Menschengeschlecht noch unendliche Plagen und Schrecknisse zu überstehen haben. Verheert von Hungersnoth und Pest wird die Erde zittern, wie das Schaf vor dem Wolfe. Aber endlich ersteht aus dem Geschlechte Zarathustra’s ein Siegesheld, der Sosiosch. Er tritt auf die „Brücke der Vergeltung“ Tshimavat, die vom höchsten Berge Hara berezaiti in die Wohnungen der guten Götter führt, und hält da Gericht über die auferstehenden Todten. Die Gerechten dürfen sogleich trinken vom Safte des Lebensbaumes und in’s Reich der Seligen eingehen, die Ungerechten aber müssen erst geläutert werden in einem Feuerstrome. Dann wird die Erde frei von allem Unreinen, und fortan ist auf Erden nur Eine Lebensweise, Ein Staat und Eine Sprache der glücklichen Menschen.

Bis dahin waltet nun das Böse fort als Winterfrost und versengende Sonnengluth, Mißwachs, Krankheit und schädliches Gethier, im Menschen als Trägheit, Lüge, Laster und schwächende Sünde, die das Leben erst nachträglich mit dem Keime des Todes behaftet hat. Aber Ormuzd hält es in Schranken, und in diesem Kampfe ist der Mensch der Mitstreiter der guten Götter.

Zwar haben die Priester auch aus Zaroaster’s einfachen Grundlehren ein unendliches Ceremoniell von Reinigungsvorschriften herausgeklügelt; aber den Kern der Sittenlehre bilden die gesundesten Forderungen, und mit aller unserer Wissenschaft würde es uns schwer fallen, bessere Ideale aufzustellen.

Nicht seine ganze Natur soll der Mensch vernichten durch finstere Bußübungen, sondern nur ihre Verunreinigung abthun. Es ist heilige Pflicht, gut zu essen und zu trinken, den Leib durch Uebung zu stärken und sich seiner Kraft und Gesundheit zu freuen. Nicht mit feigen Opfern bestechen, sondern offen bekriegen soll man die bösen Geister, in sich selbst durch Sauberkeit, Andacht und gute Handlungen, in der Natur durch schaffende Thätigkeit. Die Arbeit selbst wird Gottesdienst. Mit dem Fruchtbaume, mit dem wogenden Saatfelde wächst das Gesetz Ahuramazda’s. Wann das Getreide aufkeimt, dann bekommen die bösen Daëwa vor Aerger den Husten; wann es in Halme schießt, dann weinen sie, und wann sich die Aehre füllt, dann ergreifen sie die Flucht. Die Erde ist nicht, wie den Indiern, das Exil der sich selbst quälenden Gottheit, sondern die schöne Tochter Ahuramazda’s. In Liebe soll der Mensch ihr dienen, indem er sie bepflanzt, wo sie öde liegt, tränkt, wo sie dürstet, entwässert, wo sie zu feucht ist. Dafür dankt sie mit Reichthum und zahlreich blühender Nachkommenschaft. Sie ist traurig, wo sie unangebaut bleibt, und fühlt sich beglückt, wo ein reiner Mann sein Haus errichtet, ein lauteres Herdfeuer lodern läßt, schmuckes Vieh weidet und mit seiner Frau viele schöne Kinder heranzieht.

Solche Sprüche voll tiefster Innigkeit zwischen Mensch und Natur sind Denkmale eines tüchtigen und glücklichen Volkslebens. Auf der wenig trostvollen Wanderung durch die unendliche Trümmerwüste der Geschichte mit ihren Zeugnissen ewigen Vernichtungskampfes und eifriger Selbstverbitterung des Daseins thut es wohl, einen Augenblick auszuruhen auf einer dieser so seltenen als erquicklichen Oasen.

So stellte den Iraniern die Religion ein praktisches Ideal auf und in diesem das höchste Gebot, das der Zucht, der Veredelung des Menschen im Laufe der Geschlechter. Die Prüfung „nach ihren Früchten“ besteht keine Religion glänzender. Denn die Geschichte lehrt, wie dieser Glaube zu Thaten geworden ist. Selbst jenes ferne Zukunftsideal der Vereinigung aller Völker zu einem Volke hat er in beträchtlicher Annäherung verwirklicht in einem Weltreiche von ungeheurer Ausdehnung und straffer Einheit. Ja, er hat die unverwüstliche Kraft erzeugt, vermöge deren dieses Weltreich, während es in Trümmern lag, der Mutterboden wurde für die bisher gewaltigste Begebenheit der Menschengeschichte und vermöge deren es dann nach zweimaliger Vernichtung zum zweiten und dritten Male wieder auferstanden ist.

Davon, und von der Dichtung, welche das dritte persische Reich als unverwelkliche Blüthe getrieben, soll die zweite Hälfte dieses Briefes handeln.

(Schluß folgt.)




Die tanzenden Heiligen von Watervliet.
Von Moritz Busch.
I.
Nach der Shakerstadt. – Nüchternheit und Stille. – Eine unheimliche Begegnung. – Bei einem deutschen Shaker. – Ein ungelöstes Geheimniß. – Elder Pelham. – Geschichte der Secte. – Christus als Frau wiedergekommen. – Dogmatik und Moral der Shaker. – Ihre Verfassung.


Seit länger als einem Jahre schon spukt in den englischen, und seit einigen Monaten erscheint gelegentlich auch in den deutschen Zeitungen eine wunderliche Secte, die man die Shaker nennt, und die, da ihr Hauptglaubenssatz darin besteht, daß Christus vor etwa hundertdreißig Jahren in Gestalt einer Frau wiedergekommen ist, um die Erlösung der Menschheit zu vollenden, wohl interessant genug ist, um auch in der „Gartenlaube“ für ein Stündchen Zutritt zu finden. Die Shaker sind zwar Communisten, duften aber nicht im Mindesten nach Petroleum. Sie halten die Ehe für Sünde, aber unsere jungen Damen sowie deren Mütter werden, wenn sie diese Meinung selbstverständlich nicht billigen, wenigstens die Art und Weise, auf die man dieselbe rechtfertigt, ziemlich ergötzlich finden. Sie verehren Gott endlich durch Tanz, und ich irre kaum, wenn ich von der schöneren Hälfte der Leser annehme, daß dieser Zug sie ihr weniger unangenehm als sympathisch machen wird, und da sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_112.jpg&oldid=- (Version vom 25.11.2019)