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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


machen, allein mehrere Bänke trennten ihn von demselben, und als die Vorstellung beendet war, verließ Märker schnell das Haus. Meitzen begab sich mit seinem Neffen in einen Weinkeller, um dort mit ihm zu Abend zu essen, und neckte ihn auf dem Wege mit seiner thörichten Vermuthung. „Ich gebe für Deinen Scharfblick nicht einen Thaler,“ fügte er lachend hinzu.

In dem Keller befanden sich einzelne Zimmer oder Abtheilungen für kleine Gesellschaften oder auch einzelne Paare, welche allein zu sein wünschten. Aus einer derselben schallte wiederholt das laute, lustige Lachen einer Frauenstimme. Meitzen, welcher den Dampf der Cigarre gedankenlos vor sich hinblies, schien nicht darauf zu achten, dem Doctor aber fiel es auf. Der Kellner hatte bereits mehrere Male Speisen und Wein in die Abtheilung gebracht. Als er wieder heraustrat, neigte der Doctor sich vor, um einen Blick durch die halbgeöffnete Thür zu werfen.

„Onkel, dort drinnen sitzt Deine Wittwe,“ rief er leise.

„Laß' endlich die Thorheit!“ entgegnete Meitzen unwillig.

„Ueberzeuge Dich doch selbst davon!“

Der Kellner kam zurück und brachte auf einem Präsentirteller eine Flasche Champagner im Eiskühler und zwei Gläser. Er trat auf die Abtheilung zu, aus welcher das lustige Lachen tönte. Als er die Thür öffnete, blickte Meitzen durch die Spalte hinein und fuhr bestürzt zurück – er hatte in dem kleinen Zimmer Märker und die arme Schullehrerwittwe in elegantester Kleidung bemerkt. Er sprang auf und wollte in das Zimmer dringen, der Neffe aber hielt ihn zurück.

„Sei vorsichtig!“ mahnte er. „Hier würde es vielleicht eine sehr heftige Scene geben. Laß’ uns ruhig warten, bis sie das Zimmer verlassen! Dann können wir sie sehr deutlich sehen. Sie müssen dann auch Dich erblicken, und ich bin neugierig, ob sie dies nicht etwas aus ihrer Fassung bringen wird.“

Meitzen antwortete nicht. Mit fest aufeinander gepreßten Lippen stand er da.

„Nein, komm’, komm’!“ rief er und eilte aus dem Weinkeller fort, der Neffe folgte ihm. Hastig begab er sich zum nächsten Polizeibureau und theilte dem Polizeilieutenant, welchen er dort antraf, Alles mit.

Aufmerksam hörte der Lieutenant ihm zu.

„Ich bin Ihnen sehr dankbar für diese Mittheilung,“ sprach er dann. „Ich habe auf den Herrn Märker, sowie auf seine Frau, längst ein wachsames Auge, denn es ist mir Verschiedenes bei ihnen aufgefallen.“

„Ich spreche nicht von seiner Frau, sondern von der Lehrerwittwe, welche bei ihm wohnt,“ warf Meitzen ein.

„Ich kenne keine Wittwe, welche bei ihm wohnt. Die Beschreibung, welche Sie mir von der angeblichen Lehrerwittwe gemacht haben, stimmt jedoch auf Märker’s Frau. Sie wird die Wittwe gespielt haben, um unter dieser Maske zu betteln.“

„Nein, nein, die Wittwe wohnt bei ihm,“ versicherte Meitzen.

„Ich werde morgen früh sogleich nachforschen. So viel ich weiß, ist die Existenz des Herrn Märker eine etwas dunkle. Er lebt, als ob er Vermögen besäße, und doch sind verschiedene Anzeichen da, daß er keins besitzt. Am Tage geht er nie mit seiner Frau aus, während er des Abends oft mit ihr in Weinkeller geht und dort sehr gut lebt.“

„Die Frau hat mir die Zeugnisse ihres verstorbenen Mannes gezeigt.“

„Es ist ja möglich, daß sie mit einem Lehrer verheiratet gewesen ist.“

„Sie war so einfach; es kann doch unmöglich ein Mensch aus Verstellung weinen,“ rief Meitzen.

„Weshalb nicht? Die Fälle sind nicht so selten,“ bemerkte der Lieutenant. „Derartige Leute leisten in der Verstellungskunst oft Außerordentliches.“

„Wollen Sie mich von dem Resultate Ihrer Nachforschung in Kenntniß setzen?“ fragte Meitzen.

„Sehr gern. Ihr Zeugniß wird ohnehin erforderlich sein,“ gab der Lieutenant zur Antwort.

Meitzen entfernte sich, und der Doctor geleitete ihn heim.

Der Gedanke, betrogen zu sein, ließ Herrn Meitzen nicht schlafen. Mit Ungeduld erwartete er am folgenden Tage den Polizeilieutenant, der versprochen hatte, ihm Nachricht zu geben. Derselbe kam nicht und schon faßte Meitzen neue Hoffnung. Am zweiten Tage gegen Abend erschien der Polizeilieutenant endlich. Meitzen eilte ihm entgegen.

„Nicht wahr, wir haben uns getäuscht?“ rief er.

„Leider nicht!“ erwiderte der Lieutenant. „Sie haben zwei sehr kecke Betrüger entlarvt. Ich habe beide heute Nachmittag verhaftet. Die Dame ist nicht die Wittwe eines Schullehrers, sondern die Frau des Mannes, bei dem sie wohnte, der nicht besser ist als sie. Märker war früher Buchhalter in einem großen Geschäfte. Er ist schon einmal wegen Betrugs und Unterschlagung verurtheilt worden und hat sich hierher nach B. begeben, weil er hier nicht bekannt war. Beide haben die Bettelei systematisch betrieben und luxuriös davon gelebt. Das einfache Zimmer, nach dem Hofe hinaus, war allein zu dem Zwecke eingerichtet, um es allen Denen, welche sich nach der ‚armen Wittwe‘ erkundigten, zu zeigen und ihr Mitleid dadurch zu erregen. Ich habe, als ich die Leute verhaftete, zugleich einen sehr interessanten Fund bei ihnen gemacht. Der Mann hat die Einnahmen, welche die Bettelei seiner Frau eingetragen, sehr pünktlich gebucht und die Namen der Geber dabei verzeichnet. Ich bin selbst erstaunt, wie einträglich dieses Geschäft gewesen ist, denn es hat im letzten Jahre gegen dreitausend Thaler eingebracht, davon konnten sie freilich gut soupiren und Champagner trinken.“

„Die Frau hat aber sehr fleißig gearbeitet,“ rief Meitzen. „Eine Anzahl mir bekannter Damen hat ihr auf meine Bitten Arbeit gegeben, und sie hat dieselbe stets sehr gut und schnell ausgeführt.“

„Die Frau hat nichts gethan. Auch hierüber giebt die Buchführung ihres Mannes sehr genauen Aufschluß. Sie hat die Arbeiten einigen armen Mädchen zur Ausführung übergeben und dieselben sehr spärlich dafür bezahlt, während sie von den Damen meist einen reichlichen Lohn empfing. Auch hierdurch haben die Leute ihre Einnahmen erhöht.“

„Es ist empörend!“ rief Meitzen. „Solche Betrüger müssen hart bestraft werden.“

„Dies Alles ist nach dem Gesetze wohl kaum strafbar,“ bemerkte der Lieutenant. „Ich habe indessen noch Anderes bei ihnen gefunden, was sie wohl in das Gefängniß bringen dürfte. Hat die Frau sich bei Ihnen nicht als die Wittwe eines Schullehrers vorgestellt?“

„Gewiß.“

„Hat sie Ihnen Zeugnisse ihres angeblich gestorbenen Mannes gezeigt?“

„Jawohl.“

„Sie würden dieselben wieder erkennen?“

„Mit Bestimmtheit.“

„Die Zeugnisse und gefälscht, und wegen dieser Fälschung habe ich Beide verhaftet. Märker hat Ihnen auch gesagt, daß die Frau eine Lehrerwittwe sei?“

„Jawohl.“

„Und Sie würden dies Alles beschwören können?“

„Gewiß, und ich werde es sogar mit Vergnügen thun, weil solche Frechheit bestraft werden muß. Wie benahmen diese nichtswürdigen Betrüger sich, als sie verhaftet wurden?“

„Ich hatte den gestrigen Tag benutzt, um sie zu beobachten und noch weitere Nachforschungen über sie einzuziehen. Als ich heute Nachmittag zu ihnen kam, traf ich sie bei einem sehr reichlich besetzten Tische. Sie waren anfangs erschrocken, faßten sich indessen schnell, weil sie fortwährend mit dem Gesetze auf gespanntem Fuße leben. Sowohl der Mann wie die Frau traten sehr dreist auf. Die Frau forderte ihren Mann sogar auf, mich aus dem Zimmer zu werfen.“ – –

Meitzen hatte Tage nöthig, um sich zu beruhigen.

Die beiden Verhafteten, die sich einer Menge ähnlicher Fälle schuldig gemacht hatten, wurden unter der Anklage des Betrugs und der Urkundenfälschung vor die Geschworenen gestellt. Märker trat sehr brüsk auf und leugnete die Zeugnisse über den Lehrer Schulz angefertigt zu haben; nach seiner Behauptung hatte er sie gefunden. Durch vereidete Sachverständige wurde jedoch nachgewiesen, daß die Zeugnisse von seiner Hand geschrieben waren. Die Frau spielte, um das Mitleid der Geschworenen zu erregen, eine ähnliche Rolle, wie Meitzen gegenüber. Sie trat sehr schüchtern und bescheiden auf, weinte, machte die Reuige und Unglückliche und behauptete, durch die Noth zu diesen Schwindeleien getrieben worden zu sein.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_154.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)