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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

In der That hat man bei diesen wie bei anderen zur Gruppe der Sinnpflanzen gerechneten Gewächsen allerlei andere auf Nerventhätigkeiten hindeutende Erscheinungen wahrgenommen. So vermochte Darwin durch Nadelstiche die Bewegungsfähigkeit des Sonnenthau-Blattes zu lähmen, und Heckel in Montpellier, wie schon andere Botaniker vor ihm, hat gezeigt, daß Aether und Chloroform-Dampf die Sinnpflanze ebenso betäuben und unempfindlich gegen Berührung machen, wie große und kleine Thiere, z. B. auch Fliegen. Natürlich darf man daraus nicht auf ein centralisirtes Nervensystem wie bei den höheren Thieren schließen: die Reizbewegungen der Pflanzen würden vielmehr den Reflexbewegungen entsprechen, die z. B. ein enthaupteter Frosch ausführt, welchen man in’s Bein kneipt. Wirklich hat auch der Botaniker Nuttall frisch abgerissene Blätter der Dionäa im Sonnenscheine ähnliche Bewegungen, wie die der ungetheilten Pflanze, ausführen sehen, obgleich die Reizbarkeit schnell abnahm.

Jedenfalls ergiebt sich, daß die Pflanze nicht ein so völlig empfindungsloses und indifferentes Wesen zu sein braucht, wie man in der Regel annimmt, und der Spott des heiligen Augustin über die Manichäer, welche die Pflanzen als beseelt ansahen und die Ernten des Ackerbauers als einen Massenmord bezeichneten, verliert an treffender Schärfe. Auch die frommen, keine Thiere tödtenden Hindus und die Gemüseheiligen der alten Welt müssen einen sonderbaren Eindruck von diesen Pflanzen empfangen, welche mit Ausdauer Thiere tödten und verzehren.

Denn um ein Verzehren scheint es sich in der That zu handeln. Der Engländer Bennett stellte fest, daß sich bei den Drüsen des Sonnenthaues die Abscheidung des schleimigen Saftes vermehrt, sobald ein Insect gefangen ist, gerade wie die Magendrüsen zu träufeln beginnen, sobald ein Bissen im thierischen Magen anlangt. Fleisch erscheint durch diesen Saft in kurzer Zeit sehr verändert. Schon seit alten Zeiten kannte man die Schärfe des Saftes der Drosera und schrieb der mit Salz zerquetschten Pflanze blasenziehende Eigenschaften zu. Schon immer hat man die Blätter der Pflanzen im Allgemeinen wegen ihrer ernährenden Thätigkeit dem Magen der Thiere verglichen, aber man ahnte nicht, das es solche Blätter gebe, deren Oberfläche wie die Magenwand mit Verdauungssaft aussondernden und Nährstoff einfangenden Drüsen versehen wären. Nunmehr aber ist man aufmerksam geworden auf eine Gruppe von Pflanzen, deren Blätter stets einen mit Flüssigkeit gefüllten Hohlraum darstellen, auf die sogenannten Schlauch- und Kannenpflanzen. Man hat von diesen sonderbaren Sumpfgewächsen, die namentlich zu den drei Geschlechtern Nepenthes, Sarracenia und Darlingtonia gehören, viele poetische Schilderungen entworfen, nach denen sie dem Wanderer, der in weitem Sumpflande dem Verschmachten nahe sei, einen erfrischenden Trunk reserviren sollten, und selbst Linné berichtete von den Sarraceniaarten, daß ihre Flüssigkeit dürstende Vögel erquicke. Allein in Wirklichkeit findet man die von der Pflanze ausgesonderte Flüssigkeit in den oft künstlerisch schön geformten Krügen, deren Inhalt zuweilen durch einen besonderen Deckel gegen die Verdunstung und das Hineinregnen geschützt ist, stets mit zahlreichen Insectenleichen gefüllt, denen dann zuweilen insectenfressende Vögel nachgehen mögen. Die lebhafte Farbe und honigartige Ausschwitzungen am Eingange dieser Schläuche (die bei der californischen Gattung Darlingtonia oft einem aufgesperrten Reptilienrachen gleichen) locken diese Insecten an, die in Masse dort ertrinken.

Schon im Jahre 1791 hatte William Bartram vermuthet, daß diese Flüssigkeit in den Blattschläuchen einer nordamerikanischen Damensattelblume (Sarracenia variolaris) auflösende und verdauende Eigenschaften äußern möge, und im Jahre 1829 hat Burnett diese Muthmaßung bestätigt, während Dr. Mellichamp, ein Arzt in Südcarolina, diese Vermuthung durch neuere Versuche fast zur Gewißheit erhoben hat. Er beschreibt den abgesonderten Saft dieser Pflanze als von Geschmack schleimig zusammenziehend, und als giftig oder wenigstens betäubend für die Insecten. Die hineingefallenen Thiere werden nämlich schon nach einer halben Minute bewegungslos, erholen sich aber, wenn man sie bald rettet, allmählich wieder. Die Verdauung sei mehr einer beschleunigten Zersetzung zu vergleichen.

Die Säfte der vielfach in unseren Gewächshäusern wegen ihrer der zierlichsten getriebenen Goldschmiedsarbeit gleichenden Deckelkannen gezogenen Nepenthesarten hat Dr. Hooker in Kew auf ihre verdauenden Fähigkeiten geprüft und die lösende Einwirkung auf gekochtes Eiweiß, rohes Fleisch, Knorpelsubstanz etc. ganz erstaunlich gefunden. Mitunter waren die Stücke in Zeit von zwei bis drei Tagen völlig aufgelöst und zwar viel schneller im Schlauche selber, als wenn die Flüssigkeit in ein Glas abgefüllt worden war. Dr. Hooker schließt daraus, daß die innere Schlauchfläche entsprechend der Menge vorhandener Eiweißsubstanzen beständig einen dem Pepsin des Thiermagens vergleichbaren Stoff absondern möge.

Dieser räuberische Trieb scheint im Uebrigen ganz besonders der kleinen Familie der Sonnenthaugewächse, zu denen die Venusfliegenfalle ebenfalls gehört, eingeboren zu sein, denn im Hochsommer des vorigen Jahres beobachtete der Obergärtner B. Stein aus Berlin dieselbe Gewohnheit in einem besonders ausgeprägten Grade bei einer in Südeuropa wahrscheinlich mit dem Reiß aus Ostindien eingewanderten Droseracee, der Aldrovanda vesiculosa. Er fand dieses Wassergewächs auf einer Excursion in Schlesien massenhaft blühend in einem Teiche unweit Rybnik und überzeugte sich, daß jedes der in der Mittagssonne geschlossenen Blätter ein gefangenes Insect einschloß. Ja, dieses Gewächs zeigte sich bei warmer Wassertemperatnr (30° R.) als das empfindlichste aller seiner Verwandten, denn der Beobachter brauchte die Fläche eines geöffneten Blattes nur ein wenig mit einem Platindraht zu kitzeln, um es sofort energisch längst der Mittelrippe zusammenklappen zu sehen. Eine darauf geworfene Stecknadel wurde alsbald geschickt gefangen und erst nach achtzehn bis vierundzwanzig Stunden wieder fallen gelassen. Doch zeigte sich diese hochgradige Reizbarkeit eben nur bei sehr warmer Luft, wie schon der älteste Beobachter einer Sonnenthau-Art Aehnliches bemerkte. Bei niederer Temperatur bleiben sämmtliche Blätter der Aldrovanda zusammengelegt, und ebenso wenn man die Pflanze aus dem Wasser nimmt.

Seitdem hat Professor Cohn in Breslau noch bei einer anderen in unseren Wiesengräben nicht seltenen Pflanze, dem sogenannten Helm- oder Blasenkraut (Utricularia vulgaris) eine äußerst räuberische Einrichtung kleiner Schläuche entdeckt, die an den untergetauchten fadenartigen Blättern sitzen. Diese Schläuche haben nämlich eine ventilartige Thür, die sich nur von außen öffnen läßt, den hineinspazierten Thieren aber den Ausweg verweigert. Sie sind darum stets mit den Leichen und Hautskeleten von Wasserflöhen, Würmchen, Krebs-Thieren kleinster Art und Wasser-Käferchen gefüllt, deren Körper von der Pflanze ausgesogen worden sind. Wir können uns einer ausführlicheren Beschreibung dieser Pflanzen enthalten, da die Meisterhand Emil Schmidt’s uns das ganze Räubergeschlecht in einem wohlgetroffenen Bilde vorgeführt hat. Die obere Hälfte zeigt Vertreter der drei hauptsächlichsten Gattungen der vorerwähnten Schlauchpflanzen (Nepenthes, Darlingtonia und Sarracenia), die untere Hälfte, in derselben Reihenfolge von links nach rechts aufgezählt, die Venusfliegenfalle, das letzterwähnte Blasenkraut, die Aldrovanda, den rundblättrigen und den langblättrigen Sonnenthau.

Zum Schlusse will ich nicht unterlassen, Leser und Leserinnen auf das Vergnügen aufmerksam zu machen, welches ihnen das Selbstbeobachten der Jagd und Wegelagerei des in den meisten Torfsümpfen zu findenden Sonnenthaus bereiten würde. Wenn man eine handbreite Fläche Torfmoos aushebt, kann man mit Leichtigkeit mehrere dieser reizenden Ziergewächse damit nach Hause tragen und in eine mit Torfgrus gefüllte Schale verpflanzen. Ich habe mich des reizenden Gewächses mit seinem immerwährenden Thau und seinen Bewegungen wochenlang erfreut. Für unsere Terrarien kann es schon an sich keinen größeren Schmuck geben, als den Sonnenthau, den ich trotzdem noch nie in einem Terrarium gesehen habe. Welches Vergnügen, am Morgen nach den Goldfischen auch dem Sonnenthau unter der Glasglocke ein Stückchen Fleisch zu Erquickung zu reichen und zu sehen, wie es ihm wohlschmeckt! Gewappnet gegen die Fastenpredigten der Vegetarianer, kehren wir wohl dann zu unserem Mittagstische zurück, denkend, daß eine gebratene Gans auch am Freitage so gar sündhaft nicht sein könne, da selbst die unschuldigen Blumen ein kleines Beefsteak nicht verschmähen.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_169.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)