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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Kerzen, mit denen „auf höheren Befehl“ alle Einwohner des Dorfes ihre kleinen Fenster illuminirt hatten. Die Leute von Spinetta mochten gleichfalls schon auf Kosten ihres berühmten Mitbürgers mehr als ein Glas geleert haben. Wenigstens waren sie Alle in hochzeitlichster Stimmung und empfingen den Pfarrer und das Brautpaar beim Heraustreten aus dem Hause mit schallenden Hochrufen, in welche sich Freudenschüsse mischten, die jetzt ordentlich schadenfroh klangen, da die Feinde dieser harmlosen Festmusik sie von fern in ihrem finstern Kerker vernehmen mußten. An anderen Tonwerkzeugen fehlte es auch nicht. Zwei Guitarren und eine Clarinette waren im Dorfe vorhanden, die ihre Künste jedoch für das Hochzeitsbankett in der Schenke aufsparten.

Als nun der Pfarrer und die Brautleute vor den Altar traten, gab es noch eine kleine Zögerung. Der Bräutigam bestand darauf, daß außer den beiden schon angezündeten Kerzen sämmtliche Candelaber mit Wachslichtern besteckt und die Kirche wie bei den allerhöchsten Festen rundum erleuchtet werden sollte. Das Geld für diesen Aufwand legte er, ohne lange zu zählen, mit der vollen Faust auf das Taufbecken und befahl, inzwischen die Orgel zu spielen, und zwar seine Leibstücke, die damals in Schwang gehenden kriegerischen Volkshymnen und eine Tenorarie aus einer beliebten Oper. Inzwischen war die armselige Kirche in einen märchenhaften Glanz getaucht worden, und wie nun Alles bereit war und der schlanke, stattliche Bursch im vollen Waffenschmuck seine schöne Braut vor den Altar führte, ging ein „Ah!“ der Bewunderung durch die Kopf an Kopf gedrängte Menge, und Jeder von den Burschen hätte trotz Bann und Acht gern mit dem Bräutigam getauscht, so wie jedes Mädchen mit der glücklichen Braut.

Der Pfarrer aber, dem es allein von Allen bei der Sache nicht geheuer war, sputete sich, mit seinem Spruch und Segen zu Ende zu kommen, und wollte, da nun das Paar seinen Willen erreicht und sich untrennbar verbunden hatte, mit einem eilfertigen Lebewohl sich in die Sacristei zurückziehen. Maino indessen trat ihm höflich in den Weg und sagte, immer mit einem seltsamen Ton der Stimme, wie ein Mensch, aus dem der Wein redet:

„Hochwürdigster Herr Pfarrer, getraut wären wir nun, dem Herrn Barbone und dem hochlöblichen Governo in den Bart; aber nun müßt Ihr noch ein Uebriges thun.“

„Ich verstehe dich nicht, mein Sohn,“ versetzte der Pfarrer, der seine Bestürzung über die neue Zumuthung nur mühsam verhehlte.

„Ich habe nämlich einen heiligen Eid geschworen, bei den sieben Wunden unseres Erlösers, daß ich diese Kirche nicht verlassen will, bis ich und meine geliebte Gattin, Signora Pia Maino, zum Kaiser und zur Kaiserin von Spinetta gekrönt worden sind. Ihr müßt nämlich wissen, Hochwürden, dieses mein Weib ist die Krone und Perle unter allen Weibern, als solche schon in ihrer Kindheit anerkannt durch den größten Mann des Jahrhunderts und aller Zeiten, der sie auf die Stirn geküßt hat, weil er sie für ebenbürtig und ihre Stirn für würdig erklären wollte, auch dermaleinst eine Krone zu tragen. Und darum bitte und ersuche ich Euch, Herr Pfarrer, da Ihr noch zugegen seid, die Krönung und Salbung an uns zu vollziehen. Es geht in Einem hin, und was die Gebühren betrifft –“

Er griff wieder in seine Tasche, um die Börse hervorzuholen.

„Du scherzest, mein Sohn,“ sagte der Geistliche, indem er zu lächeln versuchte. „Wer bin ich, daß ich weltliche Ehren zu verleihen hätte, auch wenn du und deine junge Frau ihrer noch so würdig wäret? und überdies, womit sollte ich euch krönen und salben? In unserem armen Gotteshause –“

„Das sind Possen und Winkelzüge – mit gütiger Erlaubniß, Hochwürden. Ihr habt keine Lust zu dieser heiligen Handlung und haltet uns der Krönung nicht würdig. Ich aber weiß, was ich sage, und will nicht mehr werth sein als ein Haar im Bart des Barbone, wenn ich ungekrönt aus dieser Kirche weggehe. Macht also keine Umstände! Salböl findet sich genug dort in der ewigen Lampe vor dem Bild der Madonna. Und was die Kronen betrifft –“

Er ließ seinen Blick an den Wänden neben dem Altar herumschweifen, dann schritt er ganz gelassen auf ein Paar lebensgroße Heiligenfiguren zu, die auf kleinen Säulen standen und uralte, verstäubte Kronen von Goldblech trugen. Zwei von diesen nahm er ab, blies den Staub aus dem durchbrochenen Zierath und polirte die Vergoldung mit dem Aermel seiner sammtenen Jacke blank; dann trug er die beiden Kronen sorgsam nach dem Altar zurück und legte sie auf die Decke vor dem Tabernakel nieder.

„Da!“ sagte er. „Die mögen's für diesmal thun. Und nun ans Werk!“

„Maino!“ rief seine junge Frau mit dem Ausdrucke des höchsten Grauens und Entsetzens. „Was hast du gethan? Die Heiligen im Himmel –“

Sie vollendete nicht. Ein Blick ihres Gatten hatte sie verstummen gemacht.

Aber der Pfarrer ließ sich von diesen gebieterischen Augen nicht einschüchtern. „Ich verwahre mich feierlich gegen solchen Frevel,“ rief er mit so lauter Stimme, daß selbst Maino's wilde Gefährten zusammenfuhren. „Weißt du, Verblendeter, daß du den Zorn Gottes herausforderst, wenn du dich am Kirchenschmucke, an den Kronen der Heiligen, vergreifst, um deiner weltlichen Hoffahrt damit zu dienen? Hebe dich von hinnen und bete zur allerseligsten Jungfrau, daß sie dir diese tempelschänderische That vergebe und Fürbitte einlege bei dem Herrn des Himmels! Ich aber wasche meine Hände in Unschuld; ich habe keinen Theil an dieser Entweihung des Heiligsten.“

Mit diesen Worten wandte er sich hastig ab und war sammt dem Knaben, der ihm bei der Trauung ministrirt hatte, ehe ihn Jemand aufzuhalten dachte, in der Sacristei verschwunden.

Einen Augenblick schien es, als ob dieser muthige Protest auch auf Maino's verwilderte Seele Eindruck gemacht hätte. Dann aber loderte der alte phantastische Uebermuth wieder in ihm auf, und er rief mit lachendem Munde: „Gehe hin, kleinmüthiger Knecht des Herkommens, armseliger Bauernpfaff, der du nicht weißt, wie man mit hohen Herren umzugehen hat. Was ich geschworen, will ich trotz deiner und ohne dich halten. Hat nicht der große Kaiser die eiserne Krone in Mailand sich selbst aufs Haupt gesetzt, da er wohl wußte, daß die Hände eines messesingenden Hasenfußes zittern würden, wenn er dies Geschäft ihnen anvertraute? Nun denn, meine Freunde, so will auch ich thun und mich und mein geliebtes Weib mit eigenen Händen krönen und dazu sprechen, wie Jener in Mailand sprach: ‚Gott hat mir diese Krone gegeben; wehe Dem, der daran rührt!‘“

Indem er dies sagte, ergriff er mit beiden Händen zugleich die beiden Kronen und setzte sie sich selbst und seiner Neuvermählten auf, ohne die abwehrende Geberde der Pia zu beachten, die wieder auf ihre Kniee gesunken war und, wie von einer Schlange gebissen, zusammenschauderte, als das leichte metallene Geschmeide ihre Stirn berührte. Auch haftete das Krönchen nicht in ihrem Haare, sondern fiel auf die Stufen des Altars herab; ein Knabe vom Dorf hob es auf. Maino dagegen trug sein kaiserliches Diadem, wie wenn es auf seinem Haupte festgeschmiedet wäre, und als auf einen herrischen Wink seine Gefährten in jubelnden Zuruf ausbrachen und Kaiser und Kaiserin von Spinetta glückwünschend umdrängten, hob er die knieende junge Frau von dem Teppich auf, sprach ihr ernst, aber zärtlich zu, daß sie sich zusammennehmen und ihrer Würde eingedenk sein sollte, und führte sie dann durch die Reihen des Volkes hinaus, der Schenke zu, wohin alle Zeugen dieser seltsamen heiligen Handlung in dichtem Schwarme nachfolgten.

Wieder erschallten Freudenschüsse, und jetzt mischten sich auch die bescheidenen Klänge der Clarinette und der Guitarren mit ein, aber die Hochzeitsgäste waren sonderbar still geworden, und erst der Wein, der auf Kosten des Bräutigams in Strömen floß, vermochte die erstarrten Zungen zu lösen. Dazwischen aber blickten die Leute immer wieder mit heimlichem Grauen auf die blanke Krone, die der Festgeber auf seinen krausen Locken trug, und raunten sich scheu und halblaut zu, wie bleich und stumm die junge Frau neben dem Maino sitze, völlig abwesenden Geistes, und habe noch nicht die Lippen mit dem rothen Weine genetzt, und auch kein einziges Mal gelacht über die anzüglichen Späße, die der lahme Beppe, der officielle Buffone des Dorfes, bei dieser wie bei jeder Hochzeit zum Besten gab. „Alles wäre

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_174.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)