Seite:Die Gartenlaube (1875) 176.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

sein. Rasch entschlossen stürzte Maino in das größere Gemach nebenan, das Küche und Wohnraum zugleich war und ein Fenster nach der Straße hatte. Durch den Spalt des Ladens konnte er ins Dorf hinaus spähen. Da sah er einen Trupp Soldaten vorsichtig herannahen. Unfern des Hauses machten sie Halt. Er erkannte seinen alten Feind, den Barbone, der mit dem Sergeanten Rath zu halten schien. Eine furchtbare Klarheit durchzuckte sein Gehirn: die beiden Gefesselten hatten sich ihrer Bande zu entledigen gewußt, durch List oder Verrath die Riegel ihres Kerkers gesprengt und von Alessandria Hülfe herbeigeholt. Wo waren nun seine armen Gefährten? Sicherlich hatte es wenig Mühe gemacht, die vom Hochzeitswein Taumelnden zu überwältigen. Aber der Hauptstreich sollte nun erst geschehen: der Anführer und Häuptling der Geächteten sollte in der Brautkammer überfallen und wie Simson von den Philistern in Ketten und Banden davongeführt werden.

Mit einem wilden Fluch fuhr der doppelt Unglückselige zurück. Er hatte im Nu begriffen, daß Alles verloren war, wenn nicht in den nächsten Minuten noch die Flucht gelang.

„Pia!“ rief er, in die Kammer zurückstürzend, „man will uns fangen und fortschleppen. Die Verfolger sind schon ganz nah, aber wir können uns noch retten; hier zu diesem Fenster hinaus, durch das Maisfeld, hinten an den Scheuern vorbei – mich holt so leicht Niemand ein, und wenn du dich nur sputen willst –“

„Es ist gut,“ hörte er sie erwidern; „ganz gut, daß wir hier fortkommen. In der That, ich bin neugierig, unsern Palast zu sehen. Aber zu Fuß gehe ich nicht – das ist nicht kaiserlich; sie sollen mir die Karrosse schicken mit sechs milchweißen Pferden – schön – schön – die Heiligen haben es nicht besser –“

„Wenn dir dein und mein Leben lieb ist, süßes, geliebtes Kind, so komm’!“ drängte er sie in verzweifelter Hast, indem er versuchte, ihr ein Tuch um den entblößten Nacken zu werfen. „Noch drei Secunden – so ist es zu spät – und wir – hörst du mich nicht? Kennst du mich nicht mehr?“

„Rühre mich nicht an, Verwegener!“ rief sie mit flammendem Blicke. „Ich kenne dich wohl – du bist mit unseren Feinden im Bunde; du willst unserer Majestät nicht huldigen, wie sich’s gebührt – aber bei der Krone auf meinem Haupte schwör’ ich es –“

„Nun, so sei Gott deiner armen Seele gnädig!“ rief er und drängte sie vom Fenster weg; „so flieh’ ich allein und komme dich zu holen, wenn dein armer Kopf wieder in den Fugen ist. Gute Nacht, mein Weib!“

Er hatte seine Waffen vom Schemel aufgerafft, drückte das arme blasse Geschöpf noch einmal an sein Herz und schwang sich dann über das niedrige Fenstersims in den dunklen Hof hinaus. In demselben Augenblick pochten die Gewehrkolben der Soldaten an die vordere Thür; Stimmen wurden laut, die Maino riefen, das Hündchen bellte heftig dazwischen, und das Haus erdröhnte von den wuchtigen Stößen, mit denen man die Thür zu sprengen suchte. Plötzlich fiel von der anderen Seite ein Schuß; schreiende Stimmen, Stöhnen und der Ruf: „Mord! Mord! fangt den Mörder!“ wurden rings um das Haus her laut; darauf gab die Thür nach, und die bewaffnete Schaar drang in das todtenstille Gemach. Als sie hier Niemand fanden, betraten sie, eine Fackel vorantragend, die Kammer. Da sahen sie das bleiche junge Weib am Fußende des Bettes sitzend, die Krone noch immer auf dem Haupt, die nackten Arme über der Brust gekreuzt, mit einem stillen, feierlichen Lächeln ihnen zunickend, als danke sie ihnen, daß sie gekommen, ihr zu huldigen.

Grauen hemmte den Schritt der wild Hereingestürmten, und eine Weile wagte Niemand das Schweigen zu brechen. Erst als einige Soldaten den Barbone hereinschleppten, der den entfliehenden Maino hatte fassen wollen und mit einer tödtlichen Kugel von seinem alten Feinde abgewehrt worden war, kam Bewegung und Unruhe in die verschüchterte Schaar. Sie wollten den Verscheidenden auf das Bett heben, wo die Irre noch immer saß, die nicht von fern zu ahnen schien, was vorging. Aber der Mann des Todes, der mit einem halberloschenen Auge die weiße Gestalt auf dem Bett erkannte, machte eine heftige Geberde des Abscheues und sträubte sich davor, das Lager zu berühren. Man streckte ihn auf dem Steinboden zu den Füßen der Kronenträgerin aus, die huldvoll lächelnd auf ihn herabsah. Da gab er nach wenigen Minuten seinen Geist auf, ehe noch der Pfarrer herbeigeholt werden konnte. –

Von dem glücklich Entflohenen hat man nie wieder etwas gehört. Nur so viel ist durch eine alte Frau, die Nachts zur Bewachung der armen Irren in der Küche ihr Lager aufschlug, bekannt geworden, daß etwa eine Woche nach diesen Ereignissen im einer stürmischen Herbstnacht Maino mit einem Pferde, dessen Hufe mit Lappen umwickelt gewesen, sich ins Dorf gewagt habe, um seine Geliebte wiederzusehen und sie mit sich zu nehmen auf seine Irrfahrt in die weite Welt hinaus. Die Pia habe ihn auch zuerst wieder erkannt und Freude über sein Kommen bezeigt. Als er sie aber in seine Arme habe schließen wollen, sei sie vor ihm zurückgebebt, wie wenn der Tod sie an sich ziehen wollte, und habe so kläglich zu jammern und zu weinen angefangen, daß er wohl erkennen mußte, es sei Alles umsonst. Da habe er sich mit bitterem Schmerze von ihr losgerissen und in einem ledernen Beutel einen großen Haufen Gold ihr zurückgelassen, um sein Weib für alle Zeit vor Elend zu schützen. Dann sei er davongesprengt auf Nimmerwiedersehen.

Diesen Beutel fand am andern Morgen die Hüterin der Pia auf dem Fenstersimse und übergab ihn dem Pfarrer, der das Geld der Kirche zuwendete, um für die Seele der armen Wahnwitzigen und ihres sündigen Gatten Messen zu lesen. Welch ein Ende der Flüchtling gefunden, ist bis auf diesen Tag nicht bekannt geworden. Das aber steht fest, daß noch in den vierziger Jahren vor dem letzten Hause von Spinetta täglich ein armes Weib in der Sonne zu sitzen pflegte, einen leeren Spinnrocken in der Hand, den sie wie ein Scepter gegen die Vorübergehenden neigte, immer sanft und freundlich und die eisgrauen Haare, da man die Krone dem Heiligen wiedergegeben hatte, wie ein Diadem über der Stirn zusammengeflochten; die Kinder, die zur Schule an ihr vorbeimußten, nickten ihr zu und sagten jedesmal: „Gott segne dich, Kaiserin von Spinetta!“ – worauf die Frau erwiderte: „In Ewigkeit, Amen!“




Eine Gesundheitshalle.

Ein plötzlicher Schneesturm hatte mich auf meinem allabendlichen Gang zum Bade in die Thorhalle der Pleißenburg getrieben, wo sich bald eine Anzahl schutzsuchender Flüchtlinge zusammenfand. Unter diesen begrüßte mich ein Freund, der erst kurze Zeit aus dem bairischen Oberfranken nach Leipzig übergesiedelt war; er fragte mich:

„Ja, wohin wollten Sie denn bei dem sanften Wetter?“

„In’s Bad, um meine Lungen und Flossen durch Schwimmen zu stärken,“ antwortete ich.

Mein strammer Franke schrak vor dem kühnen Gedanken förmlich zusammen und rief: „Bei der Kälte in’s Flußwasser? Ich glaub’, Sie – (er sprach das Compliment nicht aus). Herrgott, da kriegt man ja den Gefrörer (fränkisch: Fieberschauer), wenn man nur daran denkt.“

„Kommen Sie nur getrost mit mir!“ erwiderte ich. „Ich weiß im voraus, daß Sie, ehe eine halbe Stunde vergeht, als der fröhlichste Mensch sich im Wasser tummeln und es so erfrischt und gestärkt an Leib und Seele verlassen, wie nur irgendje das schönste Sommerbad.“

Ich erklärte ihm nun, daß es sich nicht um ein offenes Flußbad handle, sondern um ein Vollbad in einem geschlossenen, angenehm durchwärmten Raume mit großem Bassin und immer frischem Zu- und Abfluß einer stets bis zu bestimmter Temperaturhöhe gebrachten Wassermenge. Hatte ich ihm auch damit den „Gefrörer“ vertrieben, sein Vorurtheil gegen Kaltbaden im Winter überhaupt hielt noch fest; aber er war doch sofort bereit, „die Gelegenheit sich einmal anzusehen“. Seltsamerweise mußte ich wahrnehmen, daß von den übrigen etwa anderthalb Dutzend Anwesenden die Wenigsten von einer solchen Badeanstalt in Leipzig etwas wußten und Alle, bis auf Einen, den ich als

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_176.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2022)