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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


ergiebt sich ein Reingewinn von über vierhunderttausend Mark jährlich.

Wenn freilich, wie im vergangenen Jahre, welches ohnehin für die Vögelzucht im Harze ungünstig war, nicht nur, weil die im April und Mai vorherrschende kalte Witterung den in ungeheizten Räumen untergebrachten Hecken großen Schaden zufügte, sondern auch, weil aus einer nicht erklärlichen Ursache unverhältnißmäßig viel taube, das heißt unbefruchtete Eier gelegt wurden, der Preis der Vögel in Folge des „großen Krachs“, wohl auch in Folge von Ueberproduction, gegen den der Vorjahre plötzlich um fünfundzwanzig Procent zurückgeht, dann ist der Gewinn für den Einzelnen ein sehr bescheidener. Arbeit und Mühe ist in solchen Fällen umsonst gewesen; ja, mancher Züchter, der durch Krankheiten seiner Vögel noch besonders Unglück hatte, hat nicht nur Nichts verdient, sondern sein baares Geld zugesetzt.

Gezüchtet wird im Harze überall. Im ganzen, vierzig Quadratmeilen umfassenden Gebiete desselben dürfte schwerlich ein Ort zu finden sein, der nicht wenigstens einen oder mehrere Züchter des beliebten Stubensängers aufweisen kann. Besonders die auf dem Hochplateau des Unterharzes gelegenen Ortschaften Hasselfelde, Benneckenstein, Fanne, Hohegeiß. Elbingerode, sowie die durch ihren Bergbau bekannten Städte des Oberharzes Clausthal, Wildemann und Andreasberg betreiben die Züchtung in’s Großartige; auch in Nordhausen und Umgegend, in Lauterberg und Herzberg, in Wernigerode und Ilsenburg giebt es bedeutende Züchtereien. Es wurden beispielsweise trotz der vorstehend geschilderten ungünstigen Verhältnisse des Vorjahres gezüchtet: in Hasselfelde von zwanzig Familien ungefähr zweitausendvierhundert Vögel, in Benneckenstein von fünfzig Familien über viertausend Vögel. In Nordhausen, wo ungefähr achtzig Züchter größere Hecken unterhalten, erzielte ein einziger derselben, der Rentier Kuntze, zwölfhundert Vögel.

Die Größe der Hecken und die Zahl der von den Einzelnen producirten Vögel sind sehr verschieden. Der räumlich beschränkte, zur Miethe wohnende Handwerker, welcher zwanzig bis vierzig Vögel züchtet, begnügt sich damit, seinen Vögeln für die Dauer der Heckzeit die Hälfte seines Schlafgemachs einzuräumen, während Andere ganze Stockwerke geräumiger Häuser mit zahlreichen Zimmern zur Hecke einrichten und Hunderte, ja Tausende von Vögeln züchten. Den größten Ruf aber, nicht allein was die Stückzahl der dort gezüchteten Vögel anbelangt, sondern auch, was die Vortrefflichkeit ihres Gesanges betrifft, hat sich das hoch im Gebirge am Fuße des Brockens gelegene schon oben erwähnte Städtchen Andreasberg zu verschaffen gewußt. Von ungefähr dreihundert Familien werden dort im Jahre durchschnittlich fünfundsiebenzigtausend Stück Canarienvögel gezüchtet, welche einen Verkaufswerth von mindestens einer Viertel Million Mark repräsentiren.

Andreasberger „Glucker“, „Hohlschläger“, „Roller“, „Doppelroller“, „Flöter“ – das sind die keiner weiteren Erläuterung bedürftiger Kunstausdrücke für die im Gesange sehr verschiedenartigen Vögel – sind weit über die Grenzen Deutschlands, ja Europas hinaus bekannt und gesucht.

Ihre Berühmtheit verdanken die Andreasberger Vögel dem Umstande, daß die dortigen Züchter sich seit langen Jahren darauf befleißigt haben, ihren Vögeln einen möglichst vollkommenen Schlag beizubringen, was sie dadurch erreichen, daß sie zur Zucht und demnächst zum Anlernen der jungen Hähnchen immer nur die ausgesuchtesten Vögel verwenden. Das alte deutsche Sprüchwort: „Wie die Alten sungen, so zwitschern auch die Jungen“, trifft hier im eigentlichsten Sinne des Wortes zu. Außerdem kommt hinzu, daß nirgends so wie in Andreasberg die Vögelzucht in den Familien forterbt und sich deshalb sämmtliche Einwohner auf die sorgfältigste und nutzbringendste Behandlung der Vögel verstehen.

Nur einen Fehler tragen wohl alle Andreasberger Vögel mehr oder weniger an sich, den nämlich, daß sie schwächeren Körperbaues und mehr verweichlichter Natur sind, als die an anderen Orten des Harzes groß gewordenen Vögel, eine Erscheinung, die sich nur durch die zu ängstliche und sorgfältige Abwartung derselben erklären läßt.

Die vollkommensten Schläger liefern gegenwärtig die Bergleute Trute, Schnell und Rosenbusch. Der größte Händler dagegen, der Züchterei, An- und Verkauf in einer Hand vereinigt, und der einzige, der dieses Geschäft kaufmännisch mit Hülfe von Zeitungsinseraten und Preiscouranten betreibt, ist Rudolph Maschke. Derselbe verschickt jährlich weit über tausend Hähnchen einzeln durch die Post. Seine Hauptabsatzgebiete sind die östlichen Provinzen Preußens, Oesterreich, Ungarn mit Siebenbürgen, Schweiz, Niederlande, Schweden und Norwegen. Je nach der Länge des Weges, den sie zurückzulegen haben, werden die kleinen Holzkäfige mit ihren gefiederten Insassen in gut verschlossene mit Glasfenstern versehene Papp- oder Holzkisten gestellt; das mitgegebene Futter besteht in Weichfutter, Ei und Semmel, und einem mit Wasser getränkten Schwämmchen; auf diese Weise verpackt, können die Vögel einen drei- bis siebentägigen Posttransport, selbst bei strenger Kälte ohne Nachtheile aushalten. Rudolph Maschke kann Allen, die sich einen guten Harzer Vogel anschaffen wollen, als zuverlässig und reell empfohlen werden.

Nirgends wird übrigens mehr Schwindel getrieben, als gerade beim Handel mit Canarienvögeln. Wie allerorts giebt es auch in Andreasberg gewissenlose Händler, welche ganz gewöhnliche Vögel für theures Geld verkaufen. Besonders muß vor herum ziehenden Händlern gewarnt werden, weil diese fast ohne Ausnahme betrügen. Tausende von Weibchen, besonders solche, die schon eine oder mehrere Hecken durchgemacht haben, werden von denselben für wenige Groschen das Stück aufgekauft, um demnächst in der Fremde als Hähnchen wieder verkauft zu werden. Um ihre Waare an den Mann zu bringen, bedienen sich diese Menschen der verschiedenartigsten Kunstgriffe. Sie erbieten sich z. B. dem Käufer einen Vogel gegen die Hälfte des Kaufpreises zur Probe zu überlassen und versprechen in einigen Tagen wiederzukommen, um den Rest der Kaufsumme oder den Vogel wieder in Empfang zu nehmen. Ein Käufer, der darauf eingeht, ist natürlich der Betrogene; er erhält für zwei bis drei Mark ein Weibchen, das im günstigsten Falle fünfzig Pfennige werth ist, der Händler aber verschwindet auf Nimmerwiedersehen.

Wer deshalb sicher gehen will, kaufe von unbekannten Händlern nie einen Vogel, wenn er nicht vorher den Gesang desselben gehört hat. Der Preis für Schläger ist sehr verschieden; im einzelnen wird für den geringsten Vogel sechs Mark bezahlt, bessere Vögel kosten bis dreißig Mark; ganz besonders ausgezeichnete Schläger erlangen noch höhere Preise. In Andreasberg wurde beispielsweise im letzten Sommer von einem Liebhaber für ein Hähnchen hundertfünf Mark bezahlt. Doch stehen solche Fälle vereinzelt da. Jedenfalls muß es als Luxus bezeichnet werden, in Deutschland für einen Canarienvogel mehr als zwanzig Mark auszugeben.

Die große Mehrzahl aller gezüchteten Vögel wird von Händlern aufgekauft; kein Harzer Züchter zieht mit seinen Vögeln, wie früher die Tiroler, selbst in die Welt. Die Händler bezahlen nach der Qualität der Vögel drei bis sechs Mark. Nach Beendigung der Mauserzeit, im October und November, ziehen sie von Ort zu Ort mit großen Reffen auf dem Rücken, welche bis zu fünfzig kleine Holzbauer enthalten, von denen je einer einen Vogel aufnimmt. Sie kaufen entweder für eigene Rechnung oder sind als Aufkäufer von größeren Vögelhandlungen ausgeschickt. Bis auf einen kleinen Bruchtheil werden alle der auf solche Weise eingekauften Vögel in’s Ausland ausgeführt.

Das bedeutendste Exportgeschäft für Canarienvögel ist gegenwärtig das der Firma C. Reiche zu Alfeld in Hannover, welcher fünf Aufkäufer oder Sortirer, von denen jeder seinen bestimmten Bezirk hat, beschäftigt. Dieselbe hat im Jahre 1874 neben vielen anderen deutschen Singvögeln achtundsechszigtausend Canarienhähnchen nach fremden Ländern ausgeführt. Davon gingen einundsechszigtausend nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika und nach Canada, dreitausend nach Brasilien und Peru, zweitausend nach Australien (Melbourne und Sidney), tausendfünfhundert nach Südafrika und fünfhundert nach England. Nach sämmtlichen Plätzen gingen nebenbei der zehnte Theil Weibchen.

Das besondere Verdienst der genannten Firma ist es, dem Handel mit deutschen Canarienvögeln ganz neue Absatzgebiete jenseits des Oceans eröffnet zu haben. Ihre im Jahre 1846 gegründete Zweigniederlassung, Chas. Reiche u. Brother in New-York, hat durch fortgesetzte Bemühungen und Anstrengungen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_183.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2019)