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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


oder Deviationen auf die Spur gekommen. Noch mehr. Man hat erkannt, daß jedes Schiff schon gleich bei seinem Baue, auf seinem Gerüste in der Werft, ein individuelles, ganz eigenthümliches magnetisches Leben erhält, von, man möchte sagen, nervöser, physiologischer Art, je nachdem die Richtung seines Kiels beim Baue gewesen, je nach der verticalen oder horizontalen Neigung des Schiffes nach der einen oder anderen Seite.

Erinnern wir uns einer Thatsache. Es ist längst bekannt, daß ein in der Richtung des Erdmagnetismus gehaltener weicher Eisenstab zwar nur leicht, aber doch immer meßbar magnetisch wird. Genau dieselbe Erscheinung findet statt, wenn das Schiff in der Richtung des Erdmagnetismus gebaut wird. Diese Magnetisirung, diese Uebertragung oder Induction der magnetischen Kraft wird aber noch erhöht durch das Einhämmern der Nägel und Eisenstücke. Dem Schiffe wird ein Baumagnetismus, gewissermaßen sein magnetischer Charakter eingekeilt, den es zeitlebens behält und der sehr wesentlich zu den Deviationen des Compasses beiträgt. Und außer diesem Baumagnetismus wirken auch noch andere Kräfte auf den Compaß, z. B. je nachdem der Kessel geheizt ist oder nicht, je nachdem die Maschine arbeitet oder nicht.

Dank den eifrigen scharfsinnigen Forschungen ist es gelungen, die Complication dieser Einflüsse mathematisch klar zu legen, zu messen und in Zahlenwerthen, in Formeln auszudrücken. Der Gebrauch des Compasses ist nunmehr vollständig geordnet. Die Theorie der räthselhaften Deviationen, ihre Ursachen und ihre Gesetze werden vollkommen verstanden und in Formeln ausgedrückt, so daß sie auf jedem einzelnen Schiffe ermittelt werden können und festgestellt werden müssen. Diese Deviationen gehören zur Charakteristik des Schiffes, sie sind sein Signalement, sein National, das amtlich festgestellt und registrirt werden muß.

Gleich strenger Prüfung müssen auch die Uhren, die Chronometer vor der Reise unterworfen werden. Die Beobachtung und das Signalement ihres Ganges ist in England, den Vereinigten Staaten, in Frankreich eines der wichtigsten nautischen Erfordernisse. Selbst für die Handelsschiffe werden die Chronometer auf den Sternwarten des Staates amtlich einer mehrmonatlichen Beobachtung in den verschiedensten Bewegungen und Temperaturen unterworfen. Jeder einzelne Chronometer erhält seine Charakteristik und zu seiner Verwendung ein Abgangs-, ein Abiturientenzeugniß seiner Eigenart, um bei Berechnungen die etwa nöthigen Correcturen zu berücksichtigen.

Nach dem bereits Gesagten braucht die Wichtigkeit vielseitiger meteorologischer, physikalischer Beobachtungen und ihrer amtlichen einheitlichen Bearbeitung hier nicht mehr erörtert zu werden. Ebenso erkannte man, daß es die Aufgabe der deutschen Kriegsmarine ist, in Friedenszeiten das Gedeihen der Handelsmarine zu fördern. Sie soll nicht nur als starke Waffe der Reichspolitik dem deutschen Handel in der Fremde Schutz gewähren, sie soll auch der Handelsmarine auf See und an den heimischen Küsten schnelle und sichere Fahrten vermitteln, alle wissenschaftlichen und technischen Erfahrungen zugänglich machen, die Bildung der Seefahrer überwachen.

Endlich wurde in Folge von Verhandlungen auf verschiedenen meteorologischen Congressen, von Petitionen, Berichten, Gutachten vom kaiserlichen Reichskanzleramte ein Gesetz, betreffend die Gründung der deutschen Seewarte in Hamburg, bei dem Reichstage eingebracht und von demselben in der Sitzung vom 14. December des vorigen Jahres angenommen.

Nach diesem Gesetze hat die Seewarte umfassende Aufgaben die hier nur in Kürze angedeutet werden können.

1) Förderung der Seefahrten im Allgemeinen. Dieselbe erstreckt sich auf:

Sammlung von Beobachtungen über die physikalischen Verhältnisse des Meeres, die meteorologischen Erscheinungen auf hoher See mit regelmäßiger Bearbeitung und Berücksichtigung auch der Publicationen anderer Nationen und stetiger Verbindung mit den gleichartigen Institutionen und den tüchtigsten Seemännern des In- und Auslandes;

Prüfung und Regulirung der auf Schiffen gebräuchlichen Instrumente, Chronometer, Barometer, Thermometer, Sextanten, des Compasses etc. – Sammlung einer umfassenden nautischen Bibliothek und der entsprechenden Karten;

Bearbeitung von Segelbüchern für die verschiedenen Seewege;

Ertheilung von erbetenen Informationen und Belehrungen.

2) Sturmwarnung zur Sicherung der Küstenfahrten. Dieselben erstrecken sich auf:

regelmäßige Einsammlung von Beobachtungen über den meteorologischen Zustand der Atmosphäre von bestimmten Plätzen an der Küste im Innern des In- und Auslandes;

regelmäßige telegraphische Verbreitung dieser Beobachtungen und sofortige Warnung bei gefahrdrohenden Erscheinungen an fast fünfzig Signalstellen an der Küste und in den Häfen;

Bearbeitung und periodische Veröffentlichung des für Praxis und Wissenschaft gewonnenen Materials.

Die Zweckmäßigkeit aller dieser Arbeiten ist wohl auch dem Laien einleuchtend. Sie fallen in vieler Hinsicht mit den Arbeiten des „hydrogrophischen Bureaus“ der kaiserlichen Admiralität zusammen, und es ist daher die Seewarte als Centralstelle dem Ressort der kaiserlichen Admiralität unterstellt worden. Für die tüchtige Ausführung der Arbeiten bürgen die Männer, die an die Spitze des Instituts gestellt sind: Neumayer, Koldewey, Wagner, Börgen.

So sei denn die deutsche Seewarte ein Institut zur Wohlfahrt des neuerstandenen, vereinten Vaterlandes! Mit ihrer Gründung ist den Bedürfnissen der deutschen Kriegs- und Handelsmarine, wie den Forderungen der Wissenschaft entsprochen worden. Und welche Wünsche auch noch immerhin übrig bleiben mögen, für nautische Bildungsanstalten, für strengere Regulirung der Sanitätseinrichtungen auf Auswandererschiffen, für Leucht- und Signalfeuer, Betonnung etc.: die Interessen für die Förderung deutschen Seewesens sind einmal in agitatorischem, schöpferischem Fluß, und die stolze, kühne Devise „Vom Fels zum Meer“ heiße nunmehr noch stolzer und kühner:

„Vom Fels in's Meer!“




Franzosen und Französinnen.[1]
Von Ludwig Kalisch.
I.


Ich hege keine Nationalvorurtheile, und ich denke, man kann ein guter Deutscher sein, ohne die Franzosen zu hassen, sowie man den Franzosenhaß zur Schau tragen kann, ohne deshalb ein wahrer deutscher Patriot zu sein, ein Patriot nämlich, der seine Vaterlandsliebe nicht blos durch hohle Phrasen, sondern durch opferfreudige Thaten bekundet.

Seit dreiundzwanzig Jahren lebe ich in Frankreich. Während dieses langen Zeitraums habe ich dieses Land, das ich nach allen Richtungen durchreist, genau kennen gelernt. Ich bin mit allen Ständen, mit allen Schichten der Bevölkerung in Berührung gekommen, und es war mir vergönnt, das französische Familienleben ununterbrochen zu beobachten. Meine Theilnahme für Frankreich, die ich als ehrlicher, unabhängiger Mann frei und offen gestehe und von der ich mir auch vollkommen Rechenschaft zu geben weiß, hat mich gegen die Fehler der Franzosen nicht blind gemacht. Ich kenne diese Fehler recht gut; nur sind es

  1. In der festen Ueberzeugung, daß in der großen Mehrheit unseres deutschen Volkes ein Franzosenhaß, überhaupt ein Nationalhaß nirgends existirt, halten wir es für unsere Pflicht, die obige Schilderung unseres langjährigen Mitarbeiters, der seit mehreren Jahrzehnten in Frankreich lebt, dem unparteiischen Urtheile unserer Leser zu unterbreiten. Wenn wir auch nicht gewöhnt sind, von unseren überrheinischen Nachbarn gerechte und vorurtheilslose Aussprüche über Deutschland und den deutschen Charakter zu hören, so wollen wir doch das Unserige dazu beitragen, daß derartige häßliche und absprechende Verurtheilungen um jeden Preis nicht auch bei uns Platz greifen. Trügen übrigens nicht alle Anzeichen, so befestigen sich die friedlichen Beziehungen zwischen dem besonnenen Theile des französischen Volkes und Deutschland ohnedies jetzt mehr als bisher.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 197. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_197.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)