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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

durch strenge Ordnung und kluge Eintheilung zu erhalten, was des Vaters Fleiß erworben, widmete dieser selbst jeden Augenblick der Vermehrung seines kargen Einkommens; in seinen Mußestunden verfertigte er mit anerkannter Accuratesse Thermometer und Barometer und betrieb abwechselnd Baum-, Seidenraupen- und Bienenzucht. Wir erwähnen dies absichtlich als ein nicht unwesentliches pädagogisches Moment im Leben des jungen Thumann. So wurde ihm schon frühzeitig der für den Künstler so wichtige Sinn für die praktische Seite des Lebens geweckt und ihm dadurch ein Schutzmittel gegen so mancherlei idealistische Verirrungen eingeimpft, welchen künstlerische Naturen nur allzu oft ausgesetzt sind.

Aber bei Weitem maßgebender als dieses Moment war für des Knaben spätere Lebensrichtung eine andere Lieblingsbeschäftigung des Vaters: die Portraitmalerei, welche er mit Glück und Geschick in seinen beschränkten dörflichen Kreisen betrieb. „Wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen“. Bleistift und Farbenkasten waren des jungen Paul liebste Gesellschafter. Wenn er in diesen Tagen der frühesten Jugend, wo die Künstlerseele in ihm zuerst die Schwingen regte, in der kleinen Bildersammlung zu Pförten saß – sie enthält eine Reihe guter Copien von Gemälden der Dresdener Galerie, die von einem Maler Lindner herrühren – dann mochte wohl vor seinem inneren Auge ein Bild dessen stehen, was er erreichen und werden sollte, dann mochte wohl eine erste Vorahnung seines künftigen Berufes sein Gemüth durchziehen. „Diese kleine Bildersammlung,“ schreibt er uns, „war mir ein Heiligthum.“

Schnell tauchte in ihm der Wunsch auf, Künstler, Maler zu werden, und dieser Gedanke bemächtigte sich immer mehr und mehr seines Innern. Seine Eltern wollten ihm eine tüchtige Vorbildung, wenn möglich auf einem Gymnasium, geben lassen – aber woher die Mittel nehmen? Da fügte das Schicksal, daß um jene Zeit ein trefflicher Mann, der Rector Schneider (jetzt Pastor zu Gr.-Kreuz bei Potsdam), in die zweite Predigerstelle zu Pförten eintrat und damit dem jungen Thumann ein stets bereiter Rather und vorzüglicher Lehrer in allen Gegenständen des Schulunterrichts gegeben wurde.

Die Idee, sich der Malerei zu widmen, erhielt in dieser Zeit in dem nunmehr etwa zehnjährigen Knaben eine mächtige Anregung, als er einmal bei seinem Lehrer und Beschützer Ludwig Richter’s herrliche Illustrationen zu den deutschen Studenten- und Volksliedern zu Gesicht bekam. Dieser Eindruck ist für das ganze spätere Schaffen unseres Künstlers bestimmend geblieben. Thumann ist einer der hervorragendsten und glücklichsten Schüler und Nacheiferer jenes genialen Volkszeichners geworden.

„Noch heute,“ sagte uns Thumann einmal, „ist meine Verehrung jenes trefflichen Meisters ebenso groß, wie das freudige Staunen des zehnjährigen Knaben war.

Jahre hindurch nährte das lebhafte Knabengemüth den feurigen Wunsch, ein zweiter Richter zu werden. Als aber in seinem fünfzehnten Jahre die Pflicht, einen Beruf zu wählen, an ihn herantrat, da war es wieder, wie so oft im Leben, die eiserne Nothwendigkeit, welche seine flammenden Herzensträume mit ihrem kalten Nein! durchkreuzte. Der sanguinische Jüngling, der sich schon in die Hörsäle der Akademie geträumt hatte, mußte sich entschließen, in das kartographische Geschäft von C. Flemming in Glogan einzutreten, wo er bis zu seinem neunzehnten Jahre angestrengt thätig war. Dann aber, der ihm widerstrebenden nüchternen Thätigkeit müde, ging er doch noch nach Berlin, trat als Schüler in die dortige Akademie ein und hatte das Glück, an Professor Holbein einen vorzüglichen und wohlwollenden Lehrer zu finden. Dem Muthigen gehört die Welt, und redliches Streben verfehlt niemals das Ziel. So waren denn auch die Studien Thumann’s in Berlin und Dresden, wohin er sich später wandte, mit Erfolg gekrönt. In Dresden arbeitete er im Atelier des Professor J. Hübner und malte sein erstes selbstständiges Werk, ein Altarbild für die Pfarrkirche in Liegnitz, die heilige Hedwig darstellend.

Eine äußerst rege Thätigkeit aber entwickelte unser Künstler erst von dem Momente an, wo er seinen Wohnsitz – er hatte sich inzwischen verheirathet – noch dem gewerkthätigen, alles Tüchtige fördernden Leipzig verlegte. Hier war es besonders die „Gartenlaube“, welche ihm durch Anregung zu illustrativen Arbeiten ein ihm bisher ganz fremdes Gebiet erschloß. Er trat nun mit Vorliebe als Illustrator auf. Die Holzzeichnungen zu „Berthold Auerbachs Kalender 1862“ wurden ihm übertragen und damit die lange Reihe seiner Illustrationswerke eröffnet, unter denen besonders seine vom Dufte echter Poesie durchwehten vortrefflichen Zeichnungen zu Marlitt’s „Goldelse“ hervorgehoben werden müssen. Leipzig konnte den Künstler auf die Dauer nicht fesseln. Mit seiner Uebersiedelung nach Weimar, im Sommer 1863, wohin ihn besonders Professor Pauwell zog, beginnt in Thumann’s Schaffen ein neuer Abschnitt. Er wandte sich jetzt vorwiegend der Malerei zu und zeichnete fast nur noch in seinen Mußestunden. Daß der Meister während der Jahre 1866 bis 1872 als Lehrer an der Weimarischen Kunstschule wirkte und dann wieder dauernd nach Dresden übersiedelte, wo er noch heute in der Vollkraft seines Schaffens lebt, ist allbekannt.

Die Zahl der Thumann’schen Bilder ist keine große. Seine Thätigkeit als Illustrator und mehrere längere Reisen ließen ihn in früheren Jahren nur selten die Muße zu Schöpfungen großen Styls finden. Eine kritische Würdigung der Thumann’schen Werke vom Standpunkte der Kunst aus, wenn auch nur in kurzen Zügen, wäre hier nicht an ihrem Platze. Zu seinen hervorragendsten Leistungen – soviel sei nur bemerkt – gehören ohne Frage seine Lutherbilder, nämlich das 1871 für die Verbindung für historische Kunst vollendete und den Lesern der „Gartenlaube“ bekannte herrliche Bild „Die Trauung Luther’s“ und die in den beiden nächsten Jahren entstandenen großartig gedachten und meisterhaft ausgeführten fünf Lutherbilder auf der Wartburg. Eines derselben führt die heutige Nummer dieses Blattes den Lesern vor.

Der Gegenstand dieses Bildes ist ein überaus anziehender und bedeutender. Der große Reformator hat zu Worms auf dem Reichstage die schwerste Schlacht seines Lebens siegreich geschlagen. Auf der Rückreise von dort wird er, wie bekannt, bei dem Schlosse Altenstein, unweit Liebenstein, mit seinem Bruder Jakob und Nicolaus von Amsdorf von fünf gewappneten Reitern überfallen und, nachdem sein Bruder sich durch schnelle Flucht gerettet, aus dem Wagen gerissen und über den Rönnsteig nach der Wartburg geführt. Es waren Johann von Berlepsch, der Schloßhauptmann zu Wartburg, und Burkhard Hund von Wangenheim mit drei Knappen, Anhänger der Reformation, welche im Auftrage des fürsorglichen Kurfürsten von Sachsen den gefährdeten Luther auf diese sichere Burg brachten. Da tritt er denn nun ein, der streitbare Ritter vom Geiste, ganz ein Mann der Kraft, der Geduld und der Frömmigkeit, in die altertümlichen Hallen der Wartburg. Noch lebt in leisem Anfluge die Anstrengung des Kampfes in seinen Zügen, des Kampfes, der, heilig und trotzig zugleich, mit den Worten endete. „Hier steh’ ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir, Amen!“ Aber die gute Sache hat triumphirt. Aus den Augen des Mönches von Wittenberg strahlt beendigend das stolze und doch so fromme Bewußtsein des Sieges. Der Maler hat diesen Moment trefflich erfaßt und mit Meisterschaft wiedergegeben, namentlich aber auch das Locale der alten Burg, wie es auch noch heute jedem Besucher derselben darstellt, äußerst glücklich getroffen. Ist es nicht, als ob wir die klirrenden Schritte der Männer in den hallenden Gewölben der alten Burg wiedertönen hörten, gleich dem Gewaltschritte der ehernen Zeit, der sie angehörten? Ist es nicht, als ob wir das Licht ihrer Fackeln von diesen weißen Wänden zurückstrahlen sähen, leuchtend und klärend, wie das Licht der Wahrheit, das der gewaltige Streiter da vor uns sich rüstet von diesen Räumen auszugießen durch seine deutsche Bibel? Fast gemahnt es uns, als müßte der Athem des lebenzeugenden Frühlings, der da draußen in den Thälern und Schluchten des stolzen Thüringerwaldes just sich zu regen beginnt, in dieser Maiennacht durch die Fenster der Burg hereinwehen, allen Staub und Schutt auskehrend, gleich dem Helden von Worms, der, ein unerschrockener Herold, mit eiserner Faust und einem Haupte voll weltbezwingender Gedanken seiner Zeit voranschritt.

Paul Thumann hat durch dieses charakteristische Lutherbild, welches in der Farbenpracht des Originals natürlich einen doppelten Reiz ausübt, seinem Kranze ein frisches Blatt beigefügt – und wahrlich nicht das schlechteste.

E. Z.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_222.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)