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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


No. 21.   1875.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.



Zwei Diener.[1]
Eine Hofgeschichte aus der Patriarchalzeit.
1.


Das Morgengewitter, das sich über der souveränen Reichsgrafschaft Schwalbenstein in wenigen dumpfen Schlägen und mit einem sanften, aber ausgiebigen Regen entladen hatte, war vorübergegangen, ohne die von aller Welt gewünschte erquickliche Abkühlung zu bringen. Im Gegentheile, es war danach erst eine rechte drückende Schwüle eingetreten. Zwischen der gräflichen Residenz und dem nahen Waldgebirge hing trotz des matten Sonnenscheins, der namentlich das hochragende alte Schloß in gelbrothe Farbentöne tauchte, ein heißer, nebeliger Dunstschleier. Er war wohl die Ursache, daß die gerundeten Kuppen der blau-grünen Berge da drüben sich in welligen Schwingungen zu bewegen und selbst die geraden Linien der Dächer und Schornsteine in der Stadt vor innerer Gluth zu zittern schienen.

Diese dunstig brütende Hitze drang in die bestverwahrten Räume und lastete auf Menschen und Thieren mit gleicher Wucht. Der alte schläfrige Schloßportier, der sonst zu allen Jahreszeiten über den grimmigen Zug in der Thorwölbung klagte, seufzte heute nur deshalb, weil jeder Windhauch erstorben schien. Und doch ging es ihm noch besser als den armen Schreiberlein der gräflichen Kammer in ihren hoch oben unter dem glühenden Schieferdache des Schlosses gelegenen Kanzleizimmern. In der geräumigen Hofküche vollends, auf deren breiten Herden die lodernden gelbrothen Flammen zur rauchigen Decke emporzüngelten, herrschte heute eine so wahrhaft höllische Gluth, daß der beleibte Küchenmeister darin schier zerfloß. Diesmal hatte er keinen zärtlichen Blick für alle die drallen Dienstmädchen aus der Stadt, die, dem patriarchalen Herkommen gemäß, die Häringe für ihre Herrschaften unentgeltlich aus der gräflichen Hofküche holten. In blinder Verzweiflung stach er mit der Riesengabel in die Tonne hinein und reichte dann der garstigen Magd des Kanzlisten drei gewaltige Fische, während dem schmucken Dienstmädchen des Herrn Justizamtmanns zu ihrer äußersten Entrüstung nur ein einziger Häring und gewiß der windigste und magerste im ganzen Fasse zu Theil wurde.

Selbst die bärtigen Grenadiere der gräflichen Garde, so sehr sie sonst gewöhnt waren, sich die müßige Zeit zu jeder Tagesstunde durch süßen Schlummer zu vertreiben, vermochten heute auf ihren Pritschen weder gründlich zu schlafen, noch sich recht munter zu erhalten, und der Wachtposten unter den Fenstern des Grafen Max Theodor hatte sogar ganz ordonnanzwidrig die hohe Bärenmütze abgelegt und sich in eine Ecke des Schilderhauses in bedenklich bequemer Stellung zurückgelehnt. Warum auch nicht? Der Hauptmann von Felsewitz kam jetzt sicher nicht, um die Wachen zu revidiren. Er ruhte noch wie die übrigen Cavaliere des kleinen Hofes von den Mühen des heutigen Morgenrittes aus, nach welchem die Herren todmüde und gründlich durchweicht nach Hause zurückgekehrt waren. Am besten wußte sich noch Tyras, der stärkste Hund der ganzen Grafschaft und des regierenden Herrn besonderer Liebling, zu helfen. Er hatte sich dicht unter der moosigen Fontaine des Schloßhofes das schattigste Plätzchen ausgesucht, dasselbe durch Aufgraben des Rasens noch etwas kühler gemacht und schnarchte nun so tief, daß man die Athemzüge des gewaltigen Thieres weithin deutlich vernahm.

Nur wenige belebte Wesen machten Ausnahmen von der allgemeinen Regel der Ermattung und des Schlafs, und zu ihnen gehörte vor Allen der arme Wilddieb, den die gräflichen Forstwärter am vorhergehenden Tage beim Ausweiden eines Wildes betroffen und gefangen hatten. Der Unglückliche wurde soeben von dem Herrn Kammerpräsidenten selbst über seine unerhörten Frevelthaten vernommen, da in der souveränen Grafschaft alle Attentate gegen Hirsche, Rehe, Wildschweine und sonstige jagdbare Thiere als schwerste Verbrechen nach dem Hochverrathe galten und deshalb ihre Aburtheilung dem ordentlichen Richter entzogen und der gräflichen Kammer überwiesen war. Wehe, dreimal Wehe jedoch dem Unglücklichen, bei dem der Kammerpräsident von Straff selbst aus besonderen Gründen das Amt eines Inquisitors zu übernehmen für gut befand!

Auch jetzt sorgte der Gestrenge gewissenhaft dafür, daß den argen Verbrecher nicht etwa eine schläfrige Stimmung überkam. Dicht neben dem Wilderer und wohlbedächtig an seiner linken Seite stand der breitschulterige Büttel und ertheilte ihm, sobald er nur die mindeste Neigung zu Umschweifen oder gar zum Leugnen verrieth, auf einen leisen Wink des Präsidenten mittelst eines fingerstarken Haselstockes so schmerzhaft fühlbare Mahnungen zur Wahrheit und Wachsamkeit, daß man sein Jammergeschrei bis zum Markte hinab hören mußte.

Ebenso munter war Frau Nachtigall in den buschigen Umgebungen des Schlosses. Bald hüben, bald drüben, bald von

  1. Leser, die mit den Thüringischen Hofgeschichten der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts vertraut sind, werden mit Leichtigkeit das Fürstenschloß herausfinden, welches den Schauplatz unserer Erzählung abgiebt. Wir können selbstverständlich nicht verrathen, welcher fürstliche Herr sich hinter dem Reichsgrafen Max Theodor verbirgt.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 345. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_345.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)