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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


„Was muß ich hören, Erlaucht!“ rief er dann. „Wie ist es möglich, eine Parallele zwischen meinem erlauchten Herrn und einem frechen Wilderer aus den niedrigsten Ständen zu ziehen? Gerade darin, daß jener Verbrecher aus gemeiner Habgier handelt, liegt ein so handgreiflicher und höchst wesentlicher Unterschied, daß ich nicht begreife, wie unsere erlauchte Comtesse denselben übersehen konnte. Erlaucht denken doch wahrlich nicht an Gewinn, wenn wir einmal einen unserer lustigen Streiche ausführen. Das geschieht, um etwas Würze in das stille Leben zu bringen, und vielleicht noch ein wenig, um diesem überreichen Hamster in Brandenfels ein Schnippchen zu schlagen. Wahrlich, Hartmann verdient diese milde Züchtigung schon für die Dreistigkeit, mit welcher er einst seine Hand nach unserer erlauchten Comtesse –“

„Still, um des Himmels willen!“ mahnte der Graf. „Wenn meine Schwester von solchen Motiven wüßte, so ginge es mir und Ihnen übel. Auch denke ich in Wahrheit um so weniger an eine kleinliche Rache, als ich selbst in dieser schlimmen Affaire, wenn auch als Kind, auf der Seite meiner Schwester gestanden habe. Warum überhaupt diese glücklich überwundenen und verjährten Dinge wieder auffrischen? Von etwas Anderem also, wenn’s beliebt!“

Der Präsident verbeugte sich ehrerbietig. „Gestatte mir Erlaucht, jetzt wieder an meine Arbeit zu gehen!“ bat er dann. „Ich werde immerhin etwas eilen müssen, um zur bestimmten Zeit unterthänigst berichten zu können.“

„So gehen Sie mit Gott! Was mich betrifft, so werde ich, um den Nachmittag hinzubringen, meinen Kaffee bei der Comtesse nehmen. Wie wird Lottchen überrascht sein, wenn ich plötzlich im Garten bei ihr erscheine!“

Der Präsident mußte sich abwenden, um seine Freude über diesen Entschluß des Grafen zu verbergen. Gerade diese Ueberraschung der Comtesse und ihrer heutigen Gäste hatte er durch seine Mittheilungen bezweckt. Der Graf wurde leicht gereizt und jähzornig, sobald er sich irgendwie hintergangen glaubte. Wenn er nun heute nichts von den ergangenen Einladungen wußte und wenn er dann den Junker von Holderbusch und dessen Geliebte unerwartet im Garten der Comtesse fand, so faßte der in diesem Punkte höchst empfindliche Herr die Sachlage wahrscheinlich in ungünstigem Sinne auf.

Aber der alte Herr war listig und vorsichtig und sicherte sich, wo er irgend konnte, eine gute Rückzugslinie. Deshalb entschied er sich nach einer kurzen Ueberlegung dafür, dem Grafen zum Scheine von dem Besuche bei der Comtesse abzureden.

„Ich wüßte noch einen anderen Vorschlag, Erlaucht, den ich ganz unterthänigst den höchsten Erwägungen unterbreiten möchte,“ sagte er deshalb. „Die Gewächshäuser für die Ananaszucht sind jetzt wegen der Menge der schönen Früchte wirklich sehenswerth. Wie wäre es, wenn Erlaucht dieselben heute besichtigten?“

Der Graf lachte hell auf.

„Ein vortrefflicher Vorschlag!“ rief er. „Sind Sie denn des Kukuks, Präsident, mich an einem heiße Tage, wie heute, noch in diese Bratöfen stecken zu wollen?“

„Erlaucht haben Recht,“ gestand der Präsident ein. „Wie habe ich nur daran denken können! So möchte ich also einen Gang durch den Marstall oder – –“

„Was birgt sich hinter allen diesen Vorschlägen?“ unterbrach ihn der Graf mit zusammengezogenen Augenbrauen. „Warum soll ich nicht dahin gehen, wohin mich mein Verlangen zieht? Haben Sie einen besonderen Grund, Straff, dann reden Sie offen! Ich verstehe mich nicht auf diplomatische Kniffe und Winkelzüge, wie Sie wissen.“

„Hier handelt es sich durchaus nicht um solche Künste, Erlaucht. Ich glaube nur die Erfahrung gemacht zu haben, daß Ueberraschungen nicht unter allen Umständen erwünscht sein können.“

„Bah, das mag bei anderen Leuten wohl zutreffen. Charlotte und ich aber haben einander Nichts zu verbergen, Herr Präsident. Gerade Ihre Abmahnungen reizen mich, einmal zu sehen, wie dort eine Ueberraschung wirken mag. Ich gehe in den Garten zur Comtesse.“



4.

Der älteste Theil des Schwalbensteiner Schlosses war ehedem mit Wall und Graben und außerdem mit einer äußeren durch Thürme flankirten Mauer umgeben gewesen. Als aber im vorigen Jahrhundert der jetzt vom Grafen und seiner Schwester bewohnte neue Schloßflügel im magersten Rococostyle erbaut und hinter dem alten Schlosse ein weiter Garten in französischem Zopfgeschmacke hergestellt wurde, hatten die mittelalterlichen Befestigungen vor diesen Neubauten und Anlagen fallen müssen. Nur auf der Südseite des Schloßberges, wo er steil wie eine Wand zur Stadt hinabfällt, war ein Stück des Walles und Grabens um der herrliche Aussicht willen erhalten geblieben, und hier hatte sich später die Schwester des Grafen das kleine Gartenparadies geschaffen, in welchem sie ihre Nachmittage zu verbringen pflegte. Auf den gewaltigen Grundmauern eines im Uebrigen abgetragenen Thurmes war auch der Pavillon Charlottens errichtet, das einzige Asyl des sonst in diesem nüchternen Schlosse so streng verpönten Luxus.

In der Nähe dieses großen und geschmackvollen Gartenhauses stand eine Gruppe prächtiger Ulmen und Kastanien, durch deren dichte Laubmassen selbst am heißesten Sommertage kein Sonnenstrahl bis zum Boden herabdrang, und hier hatte die Comteß heute fürsorglich den Tisch aufstellen lassen, an welchem sie mit ihren beiden jungen Gästen den Kaffee zu nehmen gedachte.

Während aber Frau Weiß sich bald mit der Anordnung des kostbaren Geschirrs und des Zubehörs beschäftigte und dann wieder in die kleine am Pavillon angebaute Küche hinüber huschte, um mit ihren rundlichen, aber geschickten Händen den aromatischen Trunk bestmöglich zu bereiten, hatte Charlotte mit den jungen Leuten sich vorläufig im Pavillon niedergelassen.

„Ich habe Ihnen meine Dienste als Helferin in der Noth angeboten,“ sagte sie, sobald der Junker und Anna in ihrer Nähe Platz genommen hatten, „aber ich habe noch nicht gefragt, ob Ihnen auch an diesem Beistande gelegen ist. Wollen Sie mich zur Alliirten haben oder nicht?“

„Ich sage Eurer Erlaucht unseren wärmsten Dank,“ erwiderte der Junker, indem er sich verbeugte. „Mit solcher Hülfe müssen wir siegen.“

„Ich danke Ihnen für dieses Vertrauen, Herr von Holderbusch. Aber bevor ich helfen kann, muß ich die ganze Sachlage genau kennen. Ihr Vater, mein Fräulein, wie ich ihn kenne, ist der Verbindung schwerlich entgegen.“

„Gewiß nicht. Er schätzt den Herrn Jagdjunker sehr,“ entgegnete die junge Dame.

„Gut, das vereinfacht die Angelegenheit wesentlich. Wir haben also im Grunde nur den Widerstand zu besiegen, welchen etwa die Eltern unseres Herrn Jagdjunkers uns bereiten könnten.“

„Der Hauptsache nach, ja. Wenn aber Erlaucht nur diesen Widerstand in das Auge fassen wollen, so dürfte unsere Rechnung schließlich zu einem falschen Facit führen,“ warf der Junker freimüthig ein. „Ich wenigstens fürchte noch mehr den Haß des Herrn Präsidenten.“

„Des Präsidenten?“ wiederholte die Comtesse. „Von seiner Abneigung bin ich unterrichtet und ihre Ursache verstehe ich vollkommen, besonders nachdem ich Fräulein Hartmann selbst kennen gelernt habe. Aber was um des Himmels willen kann Herr von Straff bei dieser Familienangelegenheit zu thun und zu sagen haben? Um gleich Ihnen freimüthig zu sein, will ich bekennen, daß ich unserm Herrn Oberlandjägermeister allerdings nicht den Muth zutraue, der zu einem ernsten Widerstande gegen das Drängen und die Einflüsterungen des Präsidenten erforderlich wäre. Ihre Frau Mutter aber scheint mir dazu völlig genügende Willenskraft zu besitzen, sobald sie nur selbst will. Irre ich mich hierin, oder nicht?“

Der Junker blickte, da er nicht sofort eine passende Antwort finden konnte, in leichter Verlegenheit zu Boden.

„Sie können und müssen auch in diesem Punkte völlig offen gegen mich sein,“ fuhr die Comtesse fort. „Ich verlange die volle Wahrheit, selbst wenn sie irgendwie mit meinem Bruder im Zusammenhange stünde.“

„Erlaucht haben genau den Punkt getroffen, um den sich mein Bedenken drehte,“ gestand Kurt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 379. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_379.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)