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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


„Schönen Dank, Herr Blümchen!“ erwiderte der Begrüßte höflich, indem er den Hut bis zur Erde herabriß.

„Na, woher kommt Ihr schon so früh?“ knüpfte der Alte weiter an.

„Iche? Wu ich här kumme? Nu, vun Brannfäls kumm ich.“

„Und wohin wollt Ihr, Hannehendrich?“

„Iche? Wu ich hen well? Nu, nach Schwalbenstein well ich.“

„I sieh da, nach Schwalbenstein also,“ rief Christian verwundert aus, als hätte er von dieser so naheliegenden Absicht des Hannehendrich bisher nicht die entfernteste Ahnung gehabt. „Und mit Verlaub, was führt Euch nach Schwalbenstein?“

„Wos ich do well, mein’n Se? Bi den Harrn Bedienten des Kammerpräsidenten well ich. Gucken Se, Härr Blümchen, Unsereins hat immer nur müß’ge Wäge und Stäge vun allen Dingen. Da ha’ ich neilich bi den Walde von Brannfäls en olles Mässer gefunden, das gehert dem nämlichen Härrn Bedienten, un nu muß ich dieserwägen den weiten Wäg vor nischt mache.“

„Ein Messer? Im Walde von Brandenfels?“ fragte Christian, der bei dieser Erklärung hoch aufhorchte. „Aber Hannehendrich, wißt Ihr denn auch gewiß, daß es dem Johann gehört?“

„Ob ich’s weiß? Nu, natürlich weiß ich’s. Ich un mi Schwoger Kaspar, mi honn’s ja sälbst gesinn, wie he’s verlur. ’s war neulich, wie unser Härr Graf nach Brannfäls kam. Ich wullte mit mi Schwoger in den Wald gih’ –“

„Um ein Bissel Holz zu mausen?“ ergänzte Christian lachend. „Nicht wahr?“

„Nee, nee, jo nich, bei Leib un Läben nich!“ wehrte der Alte eifrig ab. „Sagen Se so was nich, Härr Blümchen! Ich ging minner Seele mant zum Pläsire dorthen. Uf einmal kamb der Härr Graf. Heren Se, ich denke mich rihrt der Schlog vor Schräcken. Unn so kroch ich mit mi Schwoger hinger’n grußen Durnbusch. Do ho’ ich’s sälbst gesinn, wie der Härr Bediente mit dem Mässer an den Hunne sine Stricke rüm arbeit’te, weil wos nich in Ordnung wor, heren Se. Un nf einmol thot der Hund en Ruck, un do riß der Strick, un do log das Mässer in’n Wäge.“

„Zeigt mir’s doch einmal, Hannehendrich!“

Der Alte zog das Verlangte aus der Tasche und reichte es unserm Christian hin. Dann fuhr er fort:

„Der Härr Bediente ist deshalb schunt zweimal in Brannfäls gewäst, ich wor aber immer nich derheime; unn do hat he mich fer heite hiehär beställt. Gucken Se, do is he inn Gartenhause vun den Präsidenten. Nun winkt he schunt met den Tuche. Gäben Se mich das Mässer nu wedder, Herr Blümchen!“

„Das Messer? Nicht für eine Million!“ erklärte Christian sehr entschieden. „Laßt mir’s nur immerhin, Hannehendrich! Ich selbst will es dahin besorgen, wo es hingehört.“

Dann wendete sich der Alte nach dem Gartenhause zurück, und indem er mit der einen Hand das Messer, mit der andern die hervorgezogene Hundeleine hoch emporhielt, rief er mit Stentorstimme hinüber:

„Spazieren Sie doch näher, Herr Johann Schnabel! Hier steht ein prächtiger Baum zum Aufhängen, und da ist auch ein Strick dazu. Wenn Sie ihn auch ein Bissel durchgefeilt haben, einen Windbeutel trägt er immer noch. Unbesorgt, ich schneide Sie nicht etwa mit Ihrem Messer ab.“

Dann machte der Alte rasch kehrt und schritt, ohne sich um die Verblüfftheit Hannehendrich’s und das Winken und Händeringen des unglücklichen Johann im Mindesten zu kümmern, rüstig auf dem Wege nach Brandenfels weiter.

So sah er auch nicht, wie hinter Johann am Fenster des Gartenhauses die breitschulterige Figur des Präsidenten auftauchte und wie sich dann dessen schwere Hand auf die Schulter des tödtlich erschrockenen Dieners legte.

„Was bedeutet die Komödie dort?“ fragte Herr von Straff mit dem ehernsten Tone seiner harten Stimme. „Was sollte der Strick?“

„Der Strick? Welcher Strick, gnädiger Herr?“ stotterte Johann, dem augenblicklich selbst nicht die ärmste Nothlüge einfallen wollte.

„Ich will Ihm auf die Sprünge helfen. War das etwa ein Stück Hundeleine?“

„Gnädiger Herr –“

„Ich habe neulich wohl gesehen, daß Tyras ein Stück seiner Leine nachschleifte. Ich sah daraus schon, daß Er seine Sache ungeschickt angefangen, daß er, statt die Koppel zu lösen, den Strick auf irgend eine Weise zerrissen oder zerschnitten hat.“

„Es war mir allerdings nicht möglich, in der Eile den Verschluß zum Oeffnen zu bringen,“ erklärte Johann endlich. „Christian hatte den Tyras auf eine ganz eigenthümliche Weise gefesselt.“

„Wenn man ein Tölpel ist, so drängt man sich nicht zu solchen Dingen,“ fuhr der Präsident unbarmherzig fort. „Seinen albernen Rath habe ich ohnehin schon tausendmal verwünscht?“

„Aber es gab doch augenblicklich keinen andern Ausweg, gnädiger Herr,“ wendete Johann ein. „Wie sonst hätten wir die Zusammenkunft des erlauchten Herrn mit dem Domänenrath verhindern sollen?“

„Bah, statt dessen hätten sich wohl nachträglich Mittel gefunden, um das Unvermeidliche auf listige Weise wenigstens unschädlich zu machen. Es war ein allzu roher Gewaltstreich, der mir nur Schaden gebracht hat. Denn nun sitzt der Graf seit diesen acht Tagen zu Hause, mag ohne den vermaledeiten Hund nicht mehr ausreiten und beschäftigt sich dafür mit tausend anderen Dingen. Aus Langeweile hat er schon die Rechnungen unserer Kammer einsehen und die Acten über die Hainröder Erbschaft durchstudiren wollen. Doch das Alles kommt jetzt nicht einmal in Frage. Ich will nur wissen, ob Er auch zu allem Ueberflusse noch so entsetzlich albern und ungeschickt gewesen ist, den Rest der Leine in die Hände unserer Feinde fallen zu lassen. He? Wie steht es in dem Punkte?“

Die Augen des Dieners hatten ängstlich die unheimlichen Bewegungen verfolgt, welche der Präsident während dieser letzten Worte mit seinem starken Rohrstocke ausführte. Erst als der alte Herr sich wieder, scheinbar etwas beruhigt, auf das Rohr stützte, fand Johann den Muth zu einer Antwort.

„Ich bitte unterthänigst um Verzeihung, aber ich dachte –“

„Was dachte Er?“

„Daß das Fehlen der Leine Verdacht erregen könne. Ich hatte das Ding so geschickt angefangen, daß –“

„Die verdammte Leine bleibt stets ein Corpus delicti, an dem sich wohl dies oder jenes Verdachtsmoment wird entdecken lassen, zumal der Graf bis jetzt nicht völlig an das Zerreißen glauben mag.“

„Ich konnte mich aber doch unmöglich dem Christian widersetzen, als er die Leine von mir forderte? Er ist weit stärker als ich und hätte mich zwischen seinen groben Fäusten zermalmt.“

„Bah, ein guter Diener fürchtet sich auch vor solchen Dingen nicht, und ich wäre Ihm wohl zu rechter Zeit zu Hülfe gekommen. Ich an Seiner Stelle hätte den Strick lieber verschluckt als ihn ausgeliefert. Er ist ein alberner und feiger Mensch, den ich nächstens ohne Lohn zum Teufel jagen werde.“

„Das werden Sie wohl vorher noch überlegen, gnädiger Herr,“ entgegnete Johann, nun auch gereizt.

Die Augen des Präsidenten öffneten sich weit. Auf den Rohrstock gestützt, starrte er den frechen Burschen an, als ob derselbe zu seinem Staunen plötzlich kalmückisch oder chinesisch gesprochen hätte.

„Was sagt Er da? Ich verstehe Ihn nicht.“

Johann wurde durch die scheinbare Ruhe des Präsidenten diesmal völlig getäuscht und fuhr deshalb, um die Wirkung zu verstärken, in gleichem Tone fort.

„Ich meine, daß sich der gnädige Herr manches besonderen Dienstes erinnern wird, für den mir der Dank noch aussteht.“

„In der That. dessen entsinne ich mich jetzt,“ rief der Präsident, vor kochender Wuth kirschbraun im Gesicht. „Aber ich will Ihm diesen Dank gleich abstatten.“

Und ehe Johann sich dessen versah, hatte ihn die breite Hand des Herrn am Kragen gefaßt und zu Boden gedrückt, und nun sausten die Schläge des gefürchteten Rohrs hageldicht auf seinen Rücken nieder.

„Da hat Er meinen Dank!“ stöhnte der Präsident endlich athemlos, indem er den Gezüchtigten mit einem letzten Stoße gegen die Wand des Gartenhauses schleuderte. „Wenn Er noch mehr verlangt, so melde Er sich bei mir!“

„Hund! Hund! Das sollst Du büßen,“ zischte Johann,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 412. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_412.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)