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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Quadratmeile große Grundstück, dessen Terrain gegenwärtig von den herrlichsten Parkanlagen bedeckt ist, gehörte nämlich früher jener Familie Cenci, die durch den tragischen Tod der von Guido Reni mit vollendeter Meisterschaft gemalten Beatrice eine so traurige Berühmtheit erlangt hat. Clemens der Achte war es gewesen, der die des Vatermordes fälschlich angeklagte Jungfrau zugleich mit ihrer Mutter enthaupten ließ; ihr Bruder ward mit einer Keule erschlagen. Ein Proceß aber, den die überlebenden Glieder der Familie einige Jahre später bei dem Papste Paul dem Fünften anstrengten, um eine nachträgliche Unschuldserklärung zu erlangen, wurde abgewiesen; denn Paul der Fünfte hatte die Besitzungen der Familie Cenci bereits in die Hände seines Nepoten, des Cardinals Scipio Borghese, gegeben und war nicht Willens, dieselben, wie er nach einer nachträglichen Unschuldserklärung der Cenci hätte thun müssen, wieder auszuliefern. Auf diese Weise blieb der Besitz thatsächlich bei den Borghese, wenngleich die Nachkommen der Familie Cenci auch späterhin die Rechtmäßigkeit desselben so wenig anerkennen wollten, daß, wie man erzählt, ein in Paris lebender Marchese Cenci noch bis in die letzten Jahre durch seinen Advocaten an jedem ersten Januar eine feierliche Protesterklärung gegen das Eigenthumsrecht des Fürsten Borghese bei diesem in Rom überreichen ließ.

Wie dem nun sei, die Regierung soll sich dieses Zusammenhanges der Dinge zur rechten Zeit erinnert und dem Fürsten Borghese angedeutet haben, daß sie bei der von ihm angedrohten Schließung der Galerie und der Gärten vielleicht Anlaß haben werde, auf denselben eingehender zurückzukommen. Der Fürst aber soll darauf seine feindliche Absicht sofort aufgegeben haben, wie denn die Thüren seines herrlichen Palastes und die Thore seines großartigen Parkes auch heute noch zum Nutzen und Frommen aller Derer weit offen stehen, denen Kunst und Natur immer neue Quellen höchsten Genusses und reichster Freude sind.

Zeigt der römische Adel sich dem neuen Könige gegenüber zurückhaltend und spröde, so jammert ein großer Theil des Volkes um die Fleischtöpfe der päpstlichen Regierung, die ihm verloren gegangen sind, und klagt über die Steuern, die sich dagegen um das Fünffache gesteigert haben. Zu dem idealen Troste, daß dafür Italia una hergestellt sei, vermag sich der Bettler in Lumpen nur schwer aufzuschwingen, und er denkt voll Sehnsucht an die vielen Klöster zurück, deren Thore sich um die Mittagszeit einst gastlich öffneten, ihn mit hundert Anderen für den Tag reichlich zu speisen und zu sättigen, und die nun geschlossen sind für immer. Wozu brauchte er damals zu arbeiten? Niemand verlangte das von ihm. Am Tage leuchtete ihm die Sonne, in der er sich so faul wie behaglich auf den Steinen der nächsten Treppe ausstreckte; für die Stillung des Hungers sorgten die freundlichen guten Mönche, für den Durst die paar Soldi, die er sich von den Vorübergehenden gelegentlich in seinen alten Hut hatte werfen lassen; ein Nachtquartier bot das Portal der benachbarten Kirche, und wenn er ja den unglücklichen Einfall gehabt haben sollte, sich in einer leichtsinnigen Stunde Familie anzuschaffen, so lag es noch immer im Bereiche der Möglichkeit, den einen oder den andern der überflüssigen, umherlungernden Rangen in eben demselben Kloster unterzubringen, das schon so oft in der Noth geholfen hatte und das demselben als Bruder oder gar als wirklichem Priester ein behagliches Dasein verhieß. Körperlich oder gar geistig brauchte er sich weder für den einen, noch für den andern Fall anzustrengen – o, die schönen, guten alten Zeiten!

Die Bettelei, schon von jeher für den Reisenden eine der größten Plagen in Italien, hat in den letzten Jahren bedeutend zugenommen: Männer, Frauen, Kinder, in einer Weise zerlumpt und zerfetzt, die man in Deutschland kaum für möglich hält, wenden sich unausgesetzt mit klagender Stimme und mit erhobenen Händen an die Mildthätigkeit der Vorübergehenden, und dabei deuten die elenden, erbärmlichen, ausgehungerten Gesichter auf einen wirklichen Nothstand hin. Man wird leicht beobachten können, daß der Fremde viel weniger giebt und viel schwieriger in die Tasche langt, als der Einheimische. Er freilich, in welchem der Bedürftige immer einen reichen Engländer vermuthet, ist der Zudringlichkeit des Bettelnden vor Allen ausgesetzt, und daß schon die kleinste Kupfermünze genüge, der lästigen, jammernden widrigen Begleitung sofort loszuwerden und dabei noch in der Regel ein sehr freundliches mille grazie zu erhalten, daran denkt er nicht. Am ersten denkt er noch an seinen Bädecker oder Murray, die ihn bereits eindringlich vor der Unverschämtheit der römischen Bettler gewarnt haben, oder er eilt, überhaupt aus der Nähe solcher Menschen zu kommen, deren Anblick lebhafter und schneller noch den Ekel erregt, als das Mitleid, und Einem in der That leicht genug die Laune oder doch den Appetit für den ganzen Tag verderben kann. Der Römer selbst giebt um so rascher, und diese Thatsache fällt darum schwer in’s Gewicht, weil doch gerade er am besten wissen muß, ob der Bettelnde der Gabe wirklich bedürftig ist oder nicht.

Die Quästur Roms erkennt, daß die Bettlerfrage für sie eine brennende geworden ist, und kündigt die strengsten Maßregeln mit der Bemerkung an, sie beabsichtige die nicht römischen Bettler in ihre Heimath zu schicken; von den einheimischen solle eine Liste angefertigt und ihre Unterbringung in die Hospizien veranlaßt werden. Die Zeitungen antworten achselzuckend mit der Frage: in welche Hospizien?

Auch die Wohnungsfrage giebt dem Municipium der Stadt ein Räthsel um das andere auf. Obwohl sich die Stadt in den letzten Jahren gewaltig gereckt und gestreckt hat, namentlich in der Richtung nach dem Macao, nach dem alten Prätorianerlager hin, wo ganze Quartiere, freilich vom langweiligsten Aussehen, neu entstanden sind, scheint man doch nicht genug auf einen so bedeutenden Zuwachs der Bevölkerung gefaßt gewesen zu sein, wie er in Wirklichkeit eingetreten ist. Dazu kommt, daß der geborene Römer an den geschaffenen neuen Quartieren kein Gefallen findet; er selbst verläßt nur ungern oder gar nicht die finstern Häuser und engen, krummen Straßen, in denen er geboren ist und die den Kern der Stadt bilden, und überläßt es den Buzurri, die neuen Häuser auf dem Viminal trocken zu wohnen.

Kurzum, die Bevölkerung hat sich vermehrt, die Abgaben haben sich vermehrt, nicht aber die Hülfsquellen und die Hülfsmittel. Es ist eben eine alte Wahrheit, daß Rom viel verzehrt, aber nichts producirt. Dieses System war erträglich, so lange die geistlichen Sporteln, die Annaten, die Dispens- und Palliengelder, die Almosen der gesammten Welt nach Rom flossen und der gesammten Bevölkerung ohne Weiteres zu Gute kamen. Jetzt, da sie sich allein und nur in den unersättlichen Cassen des Vaticans und des Papstes concentriren, tritt der wirkliche Nothstand immer leibhaftiger zu Tage und wird sich, bis wirkliche und energische Abhülfe geboten werden kann, beständig vermehren. Ja, die schönen, guten alten Zeiten!

Es braucht nicht weiter hervorgehoben zu werden, wie materiell die Gründe sind, aus denen der Römer sich von dem neuen Stand der Dinge abwendet und nach dem Regimente des päpstlichen Krummstabes bis Dato sich noch zurücksehnt. Das ist nicht Anhänglichkeit an Pio den Neunten oder gar religiöser Trieb, was ihn das neue Regiment mit scheelen Augen betrachten läßt, sondern das ist einfach das Gefallen am behaglichen Wohlleben, das man ihm vergällt hat und dessen freundliche Erinnerung ihn noch fortwährend begleitet. Der religiöse Trieb spielt so gut wie gar keine Rolle dabei. Ich selbst habe bis jetzt wenigstens noch in keiner katholischen Stadt die Feier der Charwoche und das Fest der Ostern von Seiten der Bevölkerung mit solcher Theilnahmlosigkeit begangen gesehen, wie gerade in Rom. Was sich in den Kirchen umherdrängte, waren fast ausschließlich Fremde, die um jeden Preis etwas Neues sehen oder hören wollten, und allein bei den Predigten in der früheren Jesuitenkirche del Gesù habe ich wirkliche Massen römischen Volkes versammelt gesehen.

Ich war, um aus Vielem nur Eines hervorzuheben, während der Charwoche auch in San Maria Maggiore, bekanntlich eine der ersten und prächtigsten Kirchen Roms. Ich fand dieselbe fast ganz leer; nur vor der Seitencapelle dicht neben dem imposanten Marmorbau mit Sixtus des Fünften Grabmal, in welcher die Bretter der Jesuskrippe aufbewahrt sind, die an diesem Tage zur öffentlichen Verehrung ausgestellt sein sollten, knieete eine Schaar frommer Beter, merkwürdiger Weise lauter Männer. Als ich näher kam, fand ich, daß in diesem Häuflein Gläubiger offenbar die Bauernflora der römischen Campagna vertreten und dargestellt sei – Kerle, wie die Banditen, schwarzbärtig, wettergebräunt, zerlumpt, schmutzig, mit trotzigen Blicken und nur

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 415. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_415.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)