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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

in die Stadt gekommen, um hier, umwirbelt vom Weihrauchqualm, den Krippenbretter ihre Hochachtung zu bezeigen.

Ich weiß nicht, auf welches Zeugniß und Beweismittel sich die hochwürdigen Herren von San Maria Maggiore stützen, wenn sie behaupten, daß dies die echten und wahrhaftigen Bretter der Jesuskrippe seien. Wenn sie es aber sind und wenn der Tisch echt ist, der im Lateran gezeigt wird und an welchem Jesus mit seinen Jüngern das Abendmahl genommen haben soll, und wenn alle die anderen heiligen Dinge echt sind, welche in diesen Tagen der Charwoche in all den verschiedenen Kirchen Roms, deren jede sich ihres besonderen Schatzes rühmt, zum Heranlocken der Gläubigen ausgestellt werden: müßte das Volk dann nicht zu vielen Tausenden herbeieilen, müßte es dann an dem Tage, da der Stifter der christlichen Religion, da der leibhaftige Sohn Gottes zum Heile der in Sünde untergegangenen Menschheit den furchtbaren Tod des Kreuzes auf sich nahm, müßte das Volk dann nicht an diesem Tage zu Tausenden wehklagend und mit zerrissenen Kleidern zu den heiligen Stätten eilen? müßte es nicht, ganz von Zerknirschung erfüllt, Trank und Speise vergessend, jede Minute in der Nähe dieser kostbaren, seltenen, einzigen Gegenstände zuzubringen suchen, so lange sie von den Priestern dem verlangenden Blicke der Menge dargeboten sind? Müßte es nicht –? Aber freilich, es ist ein altes Wort: Je näher an Rom, desto schlechtere Christen, und da kann denn beispielsweise selbst der beharrliche Götzendienst, mit welchem Andere bemüht sind, den schon längst platt geküßten Fuß der Erzstatue Petri in Sanct Peter durch ihre eigenen Küsse noch unförmlicher zu machen, kaum in’s Gegengewicht fallen. Man weiß nicht, ob dieses wahnwitzige Gebahren mehr Abscheu oder mehr Mitleid erregt; ein bischen Komik war aber für mich auch immer dabei, wenn ich sah, wie jeder Herantretende vor Allem aus seinem Sacke wohlbedacht ein äußerst schmutziges Taschentuch zog, mit demselben erst den Kuß seines Vorgängers von Sanct Petri Fuß fein säuberlich abputzte und dann seinen eigenen feierlichst darauf drückte. In demselben Augenblick hatte aber auch der nach ihm Kommende seinerseits schon wieder sein schmutziges Taschentuch in der Hand und so nahm das Putzen und Küssen, Küssen und Putzen immer in ungestörter Reihe seinen schönen Fortgang.

Ob der Römer durch die Noth der Zeit lernen wird, zu arbeiten? Ein gutes Beispiel würde er jetzt an den Piemontesen, überhaupt an den Oberitalienern haben, die ein thätiges, arbeitsames Volk sind und deren Frauen selbst in Rom gern gepriesen werden, ob des tüchtigen Wesens, mit welchem sie in ihrem Hause schalten und walten. Aber vor Allem: der Römer mußte zuerst einsehen lernen, daß die Arbeit Ehre giebt. Statt dessen besitzt er eine unendliche Verachtung der Arbeit, sieht, wenn auch in Lumpen gehüllt, auf diese vornehm herab und fühlt sich, auf den Straßen und Plätzen umherlungernd und seine so sehr geringen Bedürfnisse mit Wenigem befriedigend, ein freier Mann. Aber auch sonst besitzt der Römer – von dem Neapolitaner, der ihn hierin womöglich noch übertrifft, will ich gar nicht reden – einen ausgeprägten Hang zu dem, was man in Deutschland „Bummeln“ nennt. Es ist ganz unglaublich, was die Bevölkerung Roms hierin leistet und wie unermüdlich sie darin ist, den ganzen Tag unthätig durch die Straßen zu flaniren oder sich in süßem Nichtsthun in holdem Sonnenscheine stundenlang an die nächste Straßenecke, an den ersten besten Thürpfosten zu lehnen oder wenigstens zum Fenster hinauszuschauen.

Die Piazza della Colonna ist der Mittelpunkt dieses müßigen Treibens. Dort stehen die Römer von früh bis zum späten Abend in hellen Haufen umher, schwatzend, lachend, schreiend, rauchend, Zeitungen lesend und alles Vorüberkommende mit dem größten Interesse musternd. Kein Stand, der nicht vertreten wäre, vom feinen Elegant bis zum schmutzigen Campagnolen, friedlich durcheinander gemacht und nur von dem einen gemeinsamen Triebe erfüllt, die Zeit möglichst nutzlos todtzuschlagen. Die Officiere müssen hier als Feldherren geboren sein. Denn wenn sie es nicht wären, müßten sie doch etwas zu lernen suchen, um es zu werden. Auf der Piazza della Colonna ist aber wahrhaftig keine Gelegenheit zu strategischem Studien. Dazwischendurch rasseln Equipagen und Droschken, schieben Orangenverkäufer mit lautem Geschrei ihre duftende Frucht auf langen Karren, schleppen kreischende Fischweiber und Austernhändler in schmalen Körben ihre Waare, rennen mit gellendem Rufe die Zeitungsverkäufer, drängen sich mit ihren Brettern die unvermeidlichen Ceriniverkäufer, die Händler mit Antiquitäten, mit Büffelhörnern mit Photographien, mit Regenschirmen, mit Blumensträußen u. s. w. Leicht genug wird man sich freilich bei all diesem bunten Spectakel und bei dem täglichen Anblick so vieler Müßiggänger daran erinnern, daß zurückgezogenes Leben im eigenen Hause oder gar in einem Geschäftslocale schon den alten Römern etwas durchaus Fremdes war. Man lebte schon damals fast so viel, oft noch mehr außer, als in dem Hause. Diese Gewohnheiten sind offenbar heute noch die nämlichen geblieben; nur sind an die Stelle des tempelreichen Forums und der leuchtenden Säulenhallen die schmucklosere Piazza della Colonna oder Piazza Sciarra getreten und die marmorstrahlenden, statuengeschmückten Bäder, in denen sich früher der römische Bürger auf der Jagd nach Neuigkeiten ganze Tage lang müßig umhertrieb, hat das heutige Geschlecht durch kahle Barbierstuben und nicht viel schönere Caféhäuser ersetzt.

Der Römer ist im gewöhnlicher Leben von gefälligem Wesen, freundlichem Sinne, artigen Manieren; seine rasche Auffassungsgabe, sein Verstand sind schon oft gepriesen worden. Aber mit beiden geht es ihm, wie mit seinen Campagnagründen, die öde, brach und nur als Weideland benützt daliegen, während sie bei einigem Fleiße den besten Ackerboden geben würden. Freilich haben auch an diesem letzteren Uebelstande die staatlichen Verhältnisse bisher die meiste Schuld getragen, und eine Veränderung zum Besseren ist unter der neuen Gesetzgebung des Landes auch hier zweifellos zu erwarten. Der Römer ist auch gutmüthig, nur kann er den Spott nicht vertragen der sofort die ganze Heftigkeit des südlichen Temperamentes entfesselt. Die Haltung des Römers, seine Bewegungen sind voll Anstand, und ich habe manchen Strolch bewundert, den ich faul an ein Haus in der Via Sistina oder auf der Piazza Barberini gelehnt fand, den spitzen Hut keck auf dem kraushaarigen Kopfe, den schwarzen Mantel um die Schulter geschlagen, daß das grüne Futter hervorleuchtete, und den rechten Arm gegen die linke Schulter soweit emporgehoben, daß die Hand offen auf dem Saume des Mantels ruhte. In dieser Haltung, ja schon im bloßen Faltenwurfe des Mantels lag oft gar viel Vornehmes und Selbstbewußtes und es war nicht schwer, selbst in solch’ einem nichtsnutzigen Tagedieb aus der Hefe des Volkes noch eine echt classische Reminiscenz zu finden.

Und da mag es denn gleich hier bemerkt sein, daß gerade dieser eminente Hang zum Schlendern und Nichtsthun, der im römischen Volke steckt, daß gerade er dem öffentlichen Leben jene Behaglichkeit und Sorglosigkeit giebt, die auf den Fremden so äußerst wohlthätig wirken. In den anderen Hauptstädten Europas werden die Nerven allein schon durch den Anblick dieses ewigen, ruhelosen, rastlosen Hetzens, Jagens und Rennens nach Geld und Gewinn aufgerieben; in Rom rollt das Leben in schönem Gleichmaße hin, farbenreich, bilderreich, aber voll Ruhe und voll glücklichen Behagens. Nichts erinnert hier an die moderne „Jagd nach dem Glücke“, und wenn nur des Himmels wunderbares Blau freundlich niederstrahlt auf die Paläste und Kuppeln der ewigen Stadt, wenn nur die goldene Sonne verklärend auf den gigantischen Trümmerresten des alten Rom liegt und auf den immergrünen Gärten mit ihren Palmen, mit ihren Lorbeerwäldern und Orangenhainen – dann sind für den Römer und für den Fremden die besten und vornehmsten Wünsche schon erfüllt.




Gerstäcker in Frankreich.
Reiseblatt von R. Waldmüller.


Ich las neulich in einer französischen Zeitung, „Le courrier de la Meurthe“, eine abenteuerliche Lebensbeschreibung des Mr. Gerstequé, eines „célèbre voyageur allemand“. Ueber seine bewegte Vergangenheit wurde zunächst mit, so scheint es, freier Umdichtung eines unlängst in deutschen Blättern erschienenen Artikels etwa Folgendes berichtet: Gerstäcker – denn der war unter jenem Namen Gerstequé unbedingt gemeint – sei als geborener Hamburger mit Leib und Seele Republikaner

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 416. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_416.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)