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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Gewand des Bauern für diesen selbst und das Windwehen der Aermel für Winke anzusehen, war ihm im höchsten Grade ärgerlich: der Vorfall konnte durch die Zeugin desselben nur zu bald unter die Leute kommen und ihn auf lange Zeit zum Zielpunkte des allgemeinen Gespöttes machen. Es war daher erklärlich, wenn der Ton seiner Erwiderung noch unwirscher klang, als der erste Anruf geklungen hatte.

„Das ist auch was Rechtes, daß Du einen alten Mann so anlaufen lassest,“ rief er. „Für was stehst Du denn da und schaust, anstatt daß Du mir zurufst und mir aus dem Traum hilfst? Ws ist denn der Schlösselbauer, und wer bist denn Du, Du übermüthige Dingin? Die Oberdirn’ vermuthlich, weil Du vom Melken kommst?“

„Siehst Du das doch?“ erwiderte noch immer lachend das Mädchen, und ihr Lachen klang, gegen das Brummen des Alten, wie das helle Geschwätz nestbauender Schwalben gegen das schwermüthige Gurgeln eines einsamen Tauberichs. „Hast Du meinen Melkkübel nicht für den Taubenschlag angeschaut oder mich selber für einen Spatzenschrecker? Kannst es eben schon errathen haben, daß ich die Oberdirn’ bin, brauchst Dich aber nicht zu sorgen deswegen, altes Wettermann’l; ich werd’ die Geschicht’ Niemandem erzählen, und da kommt auch schon der Schlösselbauer aus dem Haus. Kannst Deinen Spruch gleich von vorn anfangen.“

Lachend verschwand sie hinter dem Hause, auf der Schwelle aber erschien der Herr desselben, eine echte kernhafte Bauerngestalt mit einem Angesichte, in welchem sich Klugheit und Gutmüthigkeit vermischten. Er überhob den Alten, der, um nicht einen neuen Irrthum zu begehen, ihn vorsichtig betrachtete, alles Zweifels und rief ihm zuerst seinen Gruß entgegen.

„Du bist da, Hochzeitlader?“ rief er lustig. „Jetzt freut mich mein Leben, daß ich so eingangen und Dir so in die Hände gelaufen bin. Wenn ich Dich hätt’ kommen sehen, hätt’ ich mich versteckt, daß Du gewiß eine gute Weil zu suchen gehabt hättest, aber weil es einmal so ist, so schieß’ los, mach’ Deinen Spruch, und dann steig’ ab, bind’ Dein Rößl an und setz’ Dich zu mir auf die Gräd, damit ich Dir die gehörige Ehr’ anthu! Hast ja ein wahres Prachtfüchsel unter Dir … mit einer weißen Bläss’ auf der Stirn und vier weißen Füßen, als wenn es seidene Strümpf’ anhätte. Was gilt es, das Schweißfüchsel? Ist es feil um dreißig Karlin?“

Der Hochzeitlader war viel zu sehr von dem Ernste und der Wichtigkeit seines Amtes durchdrungen, als daß er sich herabgelassen hätte, auf solche unwürdige und fremdartige Nebendinge einzugehen – er ließ den Schweißfuchs seine Künste machen, nahm den Hut ab und begann abermals seinen Spruch, aber auch der Schlösselbauer wußte zu leben. Er fuhr in die Aermel seines Rockes, der schon einmal seine Rolle so glücklich gespielt hatte, nahm den Hut von der Stange und trat dem Boten entgegen, um die Ladung mit aller Würde eines Großbauern in Empfang zu nehmen.

Sie galt der Hochzeit des Zacharias Weindl, eines der reichsten Bauerssöhne aus dem Nachbardorfe, der die nicht minder wohlhabende ehr- und tugendsame Jungfrau Mechtild Brunnerin vom jenseitigen Seegestade heimzuführen gedachte, ein schönes Müllerkind, das überdies zu den reichsten und gesittetsten der ganzen Gegend gehörte. Es sollte daher eine sogenannte große Hochzeit geben, bei der Alles, was irgend Namen und Gewicht in der Gegend hatte, zugegen sein mußte, natürlich auch die Verwandten und fernsten Verschwägerten, deren Ausbleiben eine nicht leicht zu sühnende Beleidigung gewesen wäre. Die Hochzeit versprach aber auch an sich selbst viele Neugierige herbeizulocken, denn es war lange im Lande kund geworden, daß das neue Paar nicht, wie meistens der Fall, von Rücksichten der Zweckmäßigkeit und kluger Berechnung zusammen geführt war, sondern mit einer Zärtlichkeit und Liebe aneinander hing, welche kaum in verfeinerten städtischen Verhältnissen, gewiß aber nicht unter den schlichten Bauersleuten der Gegend bis dahin ein Beispiel gehabt. Es war nicht zu verwundern, daß die ungewohnte Zärtlichkeit des Verhältnisses den gesunden Augen des Volkes Blößen bot, so daß dem Paare, wo es in der Ueberschwenglichkeit seines Glückes sich zeigte, die Mücken des Witzes um die Ohren summten und wohl auch der Spott den Wespenstachel an ihm übte.

Der Ladespruch war diesmal ohne Unterbrechung vor sich gegangen, das Brautpaar mit dem Beispiele Adam’s und Eva’s entschuldigt, daß es in den Stand der heiligen Ehe zu treten entschlossen war, der ehrenfeste und tugendsame Herr Vetter Uttinger vom Schlösselbauernhof nach Gebühr in die Kirche und zum Mahle geladen, auch das Mahlgeld bestimmt und zu guter Letzt die Gesundheit ausgebracht worden für den „Uttinger und das ganze Uttinger’sche Haus“. Der Begrüßte hinwieder spielte seine Rolle nicht minder gut; wie die Sitte forderte, stellte er sich zuerst über alle Maßen verwundert an, daß ihm eine so außerordentliche Ehre widerfahren, die er sich gar nicht erklären und daher auch nicht annehmen könne. Endlich auf dringendes Zureden des Laders mußte er sich doch dazu entschließen und that es unter dem geschickten Vorwande, daß er sich einer weit entfernten Verwandtschaft besann, welche ihm erlaubte, ohne Aufdringlichkeit bei einer so seltenen Feierlichkeit zu erscheinen. Damit war das Ceremoniell des Geschäfts erledigt, und der Alte folgte der Einladung des Bauers, auf der Gräd mit ihm den Willkomm zu genießen: einen Imbiß, an dessen Reichlichkeit und schneller Bereitung wie an einem Gradmesser zu erkennen war, in welcher Achtung das Brautpaar stand.

An Beidem war kein Mangel auf dem Schlösselbauernhofe.

Die Milchträgerin war während des Gesprächs wiedergekommen, hatte den Klapptisch herunter gelassen und auf dem schneeweißen darüber gebreiteten, rothgeränderten Tuche eine Schüssel mit einladendem Selchfleische nebst einer Flasche Kirschgeist aufgestellt, beides Erzeugnisse der eigenen Wirthschaft und der Stolz des Hauses. Das Salzfaß stand daneben und auch der angeschnittene Brodlaib, in welchem das Messer steckte, mangelte nicht, die altgewohnten Zeichen, daß der Gast willkommen sei und im Frieden des Hauses stehe. Der Bauer ergriff die gefüllten Stengelgläser und ging dem Alten damit entgegen; sie stießen an und saßen zu beiden Seiten des Klapptisches nieder – das Mädchen lehnte in der Thür und sah der Begrüßung zu.

„So wollen wir halt Gesundheit trinken auf das Brautpaar,“ sagte der Bauer, das Glas wieder erhebend, „und wollen ihm wünschen, daß es die silberne und gar die goldene Hochzeit erlebt und bei einander aushält wie am ersten Tage. …“

„No, no,“ lachte der Alte, „ein bissel was wird sich schon herunter handeln lassen in der langen Zeit, aber sie werden wohl auskommen, sind ja verliebt in einander wie ein Paar Maikatzeln.“

„Ich versteh’ zwar nichts davon,“ unterbrach ihn das Mädchen, indem sie sich noch bequemer an das Thürgerüst lehnte und dem Alten, der sich, das Glas in der Hand, überrascht nach ihr umwandte, mit verstellter Ernsthaftigkeit in’s Gesicht sah, „aber Du als Wettermacher wirst wohl wissen, wie das ist. Ich für meinen Theil, ich hab’ einmal eine Wetterregel gehört – die hat geheißen:

‚Was kommt oft geschwind und dauert selten?
Die große Lieb’ und die große Kälten.‘“

Der Hochzeitslader hatte sein Glas vor Verwunderung wieder niedergestellt und sah bald auf die Dirne, die sich so unberufen in’s Gespräch mischte, bald auf den Bauer, wie fragend, ob er solche Keckheit dulde.

„Wirst aber wohl Recht haben,“ fuhr das Mädchen fort, „sie werden schon auskommen, sollen ja in einander hineinschauen wie in einen Spiegel. Ist es wahr, daß er neulich beim Kornschneiden, weil er sie über’m Graben hat stehen sehen, zu ihr hingelaufen ist und hat vor lauter Schauen das Brückel übersehen und ist in den Graben hineingeplumpst wie ein Mehlsack? Ist das wahr, Wettermann’l?“

„Du hast eigene Brauch’ in Deinem Haus’, Schlösselbauer,“ sagte der Hochzeitslader, „gefallt Dir das so besonders, wenn die Ehhalten (das Gesinde) überall so dreinreden?“

„Ehhalten?“ fragte der Bauer verwundert. „Von wem redst denn?“

„Von wem sonst, als von der Dirn’, die dort in der Thür lehnt, als wenn sie hingeheirathet hätt’ – von Deiner geschnappigen Oberdirn’ …“ entgegnete der Hochzeitlader etwas gereizt.

Jetzt war die Reihe zu lachen an den Bauern gekommen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 447. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_447.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)