Seite:Die Gartenlaube (1875) 471.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


„Was hätte Er aber gesagt, wenn Er zu Mittag gekommen wäre?“

„Gesegnete Mahlzeit, Reb Anschel!“

„Wenn Er nun aber des Abends zu mir gekommen wäre?“

„Dann hätte ich gesagt: ‚Gebt Moos, Reb Anschel!‘“

Vollkommen befriedigt und reichlich mit „Moos“ versehen, verließ der Jude das Haus des wohlthätigen „Reb Anschel“.

Zeigt schon diese Anekdote, mit welcher Schlauheit die polnischen Juden bei Ausübung ihres Bettlerhandwerks zu Werke gehen, so läßt auch die folgende an Raffinement nichts zu wünschen übrig.

Zu einem Berliner Banquier, Namens Mann, kam ein polnischer Jude und bat um ein Almosen. Trotz wiederholten Bittens abgewiesen, rief der Jude, indem er die Thür in die Hand nahm, dem Banquier zu: „Gott soll Euch segnen mit dem Segen, mit dem er unsern Erzvater Abraham gesegnet hat!“ Neugierig gemacht und durch die Liebenswürdigkeit des polnischen Juden, zu der Anlaß gegeben zu haben er sich nicht bewußt war, frappirt, rief der Banquier den forteilenden Juden schnell zurück und bat ihn, indem er ihm eine anständige Gabe reichte, um Aufschluß über den ihm ertheilten Segen. Wieder nahm der Jude die Thür in die Hand und wieder sprach er: „Gott soll Euch segnen, wie er Abraham gesegnet hat! Gott hat Abraham dadurch gesegnet, daß er ihm, dem früher Abram Geheißenen, in seinem Alter ,ha’ zugelegt hat. Ihr heißet Mann; wenn Gott wird Euch zulegen ein ,ha’, so werdet Ihr heißen ,Hamann’; man wird Euch aufhängen, wie man Haman aufgehängt hat.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, machte sich der Jude aus dem Staube und kam nie mehr zum Banquier Mann.

Ein etwas harmloserer Fall trug sich vor Jahren in Breslau zu. Dorthin war auch ein bettelnder Jude aus Polen gekommen und hatte die Bekanntschaft eines unbedeutenden jüdischen Maklers gemacht, welcher namentlich polnisch-jüdischen Kaufleuten bei ihren Einkäufen als Vermittler und Führer beistand, um durch die bei diesen Geschäften abfallende Courtage seinen kargen Lebensunterhalt zu verdienen. Aus Mangel an anderer augenblicklicher Beschäftigung begleitete jener Makler obigen Schnorrer (Bettler) jetzt auf dessen Bittgängen und führte ihn hauptsächlich zu denjenigen Kaufleuten der Stadt, wo am sichersten auf ein Almosen zu rechnen war. So kamen die Beiden auch zu dem Kaufmann D., welcher jedoch den ziemlich unverschämt auftretenden Bettler endlich unbeschenkt und energisch zur Thür hinaus wies. Der Führer des polnischen Juden war indeß in dem Geschäftslocal zurückgeblieben und stand mit abgezogenem Hute erwartungsvoll und bescheiden in einer Ecke. Als D. ihn so nach einiger Zeit bemerkte, fragte er, was Jener hier noch zu suchen habe. –

„Ich wollte mer nur ausbitten de Kortasch’, Herr D.,“ entgegnete sich verbeugend der Makler.

„Courtage?“ rief D. erstaunt und seinen Ohren kaum trauend. – „Ihr wollt Courtage von mir? Und wofür denn, wenn ich fragen darf?“

„Hob ich denn nicht gebrongen (gebracht) den Mann, wos Se eben hoben nausgewiesen ßur Thür, Herr D.?“

„Und Ihr seid jetzt unverschämt genug,“ rief D. sich ereifernd, „dafür auch noch Courtage zu fordern?“

„Erlaaben Se, verßeihn Se, gitigster Herr D.,“ begütigte der Makler in vollem Bewußtsein seines guten Rechtes; „wenn Sie hätten gegeben eppes (etwas) dem Schnorrer, so hätte doch der gemacht ahn gutes Geschäft un ich hätt gekriegen mahne Kortasch vun den Schnorrer. Nu hoben Sie aber gegieben dem Schnorrer gor nix, un dorüm hoben doch Sie gemacht ahn gutes Geschäft, Herr D., un dorüm bitt ich mer noch aus de Kortasch für dies Geschäftche vun Ihnen.“

D. konnte sich des Lachens nicht enthalten, und gut beschenkt ging der arme Makler von dannen.

Daß die polnischen Juden auch in astronomischen Dingen eine Stimme haben, zeigt folgendes wahrheitsgetreue Histörchen.

Bei Gelegenheit eines Hochzeitsschmauses, den ein reicher jüdischer Kaufmann ausrichtete und wozu geschäftlicher Rücksichten halber auch ein polnischer Jude geladen war, kamen die zum Theil aus wissenschaftlich gebildeten Männern bestehenden Gäste auch auf die viel ventilirte Frage zu sprechen: „Dreht sich die Erde um die Sonne, oder die Sonne um die Erde, oder beide um sich selbst?“ Die Debatte spielte herüber und hinüber, ohne daß eine Einigkeit in den Ansichten hergestellt worden wäre. Als sich die streitenden Parteien erschöpft hatten, erhob sich der an dem entgegengesetzten Ende der Tafel sitzende Jude, dem man die schlechtesten Speisen und Weine vorgesetzt hatte, und sagte:

„Mahne Herren! Se werden gitigst verßaihn, wenn ich hob’ von dieser Sach’ ahne andere Ansicht. Ich sog: de Erd’ dreiht sich nischt um de Sunne, aber de Sunne dreiht sich um de Erd’. Worüm? Dorüm: Ass sich wollte dreihn de Erd’, un de Sunn’ sollte staihn stille, so müßten sich user (wahrhaftig) dreihn alle Baißim (Häuser), was senn ohf der Erd’, un es müßte sich dreihn aach Alles hier in diesem Bajes (Haus) un müßte sich dreihn hier bei unsern Balbos (Wirth) de Tofel, wodrüm mer itzt ßu sitzen hoben die graußmächtige Ehr’. Un dann müßten sich noch dreihn ahf der Tafel de Tellern un de Flaschen und dann müßten kimmen all die feinen Broten un Waine von die Herren dort droben in ihre Umdreihung aach ahnmal ßu mir. Ass dies aber is nischt der Fall, wie Se doch können Alle selbst hier sehen, so sog’ ich: de Sunn’ dreiht sich um die Erd’ und de Erd’ bleibt steihn stille.“

Allgemeine Heiterkeit und die sofortige Servirung der besten Weine und Speisen belohnte diese humoristische Rede des astronomisch gebildeten Juden. –

Wir haben gesehen, wie in der Lage der gesellschaftlichen Zustände Polens und Rußlands die Ursache zu suchen ist von den jährlichen Wanderungen der polnischen Juden, wie die Art der Jugenderziehung, der allgemein-sittliche Zustand der Bevölkerung in innigem Zusammenhang stehen mit dem immer mehr überhand nehmenden Schnorren, welches die Juden Deutschlands als eine ihrer größten Plagen mit Recht betrachten dürfen. Die vielfachen Bestrebungen der letzteren, die sich in jüngster Zeit besonders in den süddeutschen Staaten durch Bildung von Vereinen gegen die Wanderbettelei geltend machten, sind zwar sehr löblich, indessen die damit erzielten Erfolge sind weit hinter der Erwartung zurückgeblieben. Ohne näher auf die Frage einzugehen, von wannen Hülfe kommen müsse, glauben wir doch nicht irre zu gehen, wenn wir sagen, daß seitens der russischen Regierung Schritte zur Abhülfe gethan werden müssen, wenn anders dieser trostlose und unserer Zeit unwürdige Zustand ein Ende nehmen soll, daß es an ihr ist, eingreifende Maßregeln zur Hebung dieses Uebelstandes zu ergreifen. Eine Besserung der von uns gekennzeichneten Erscheinung kann aber nur von der Besserung der gesammten gesellschaftlichen Zustände Polens und Rußlands erwartet werden und dazu ist für jetzt noch wenig Aussicht vorhanden. Die Frage aber ist eine hochernste, nicht blos für die jüdischen Gemeinden Deutschlands – von welchen nur die an Rußland grenzenden Bezirke noch übermäßig von jenem Elende heimgesucht sind – sondern vor Allem im Hinblicke auf diese Tausende von unstreitig hochbefähigten Menschen, die der Cultur gewonnen werden und Ausgezeichnetes leisten könnten, während sie jetzt als ein verkümmertes, verschrobenes und verwildertes Element nur auf das Mitleid ihrer auswärtigen Glaubensgenossen und auf die Brandschatzung derselben angewiesen sind. Ist aber hier von polnischen Juden gesprochen worden, so ist selbstverständlich darunter immer nur eine bestimmte Classe in ihrer Mitte, das professionsmäßig auf die Bettelreise ziehende Schnorrantenthum verstanden. Daß es in Polen und Rußland auch zahlreiche seß- und ehrenhafte Judenfamilien giebt, die höchstens durch ihre Geschäfte in’s Ausland geführt werden, braucht wohl nicht erst gesagt zu werden. Häufig genug findet man ihre Söhne als Lehrlinge oder Gehülfen in deutschen Handelshäusern, oder dieselben besuchen deutsche Gymnasien und Universitäten, wo sie durch Talent, sowie durch ein eigenthümliches, energisches Streben sich auszeichnen und den Beweis liefern, was aus ihren bettelnden Heimathsgenossen werden könnte, wenn hier einmal eine planmäßige Culturarbeit Wandel schaffen und diesen Schandfleck beseitigen möchte.

H. Cohn.



Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 471. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_471.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)