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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


man sich, mit eigener Hand die Fenster von ihrem Ueberflusse zu befreien. Die Freude der Deutschen, als sie zum ersten Male wieder durch blanke Scheiben sahen, vermag nur derjenige zu begreifen, der selbst Monate lang hinter schmutzigen Fenstern gewohnt hat. Aber dieser Freude war ein jähes Ende beschieden. Denn in demselben Moment schon klirrten die Fenster, die lichten Splitter fielen zu Boden, durch das Loch kam die Katze gesprungen und lief zärtlich miauend und den Schweif hoch gehoben auf die erschrockene Hausfrau, ihre vornehmliche Beschützerin, zu. Die Katze, natürlich eine römische Katze, die bis dahin nur schmutzige Scheiben gekannt, hatte die ersten blanken für Luft gehalten und war durch dieselben in das Zimmer gesprungen. Warum also die Fenster putzen, wenn man am Ende doch nur Schaden davon hat?

Hat man indessen der Padrona gegenüber auf übertriebene Anforderungen hinsichtlich der Reinlichkeit verzichtet, so kann man nirgends in der Welt eine bessere Hauswirthin finden, als die Römerin. Gerade dem Fremden gegenüber ist sie voll unermüdeter Aufmerksamkeit, voll rastloser Fürsorge für seine Wünsche, für sein Wohlbefinden, sein Behagen, und ich habe im ausgebreiteten Kreise meiner römischen Freunde und Bekannten, die doch alle ihre Erfahrungen für sich zu machen hatten, von der römischen Padrona nie anders als mit dem größten Lobe sprechen hören. Dabei ist die große Höflichkeit, welche die Römerin stets und immer im Verkehre zeigt, nicht etwa eine unbewußte oder zufällige, sondern sie ist im Gegentheil auf ein sehr ausgeprägtes Nationalbewußtsein, auf einen sehr starken nationalen Stolz basirt, der ihr eben die Höflichkeit gegen den Fremden als doppelte Verpflichtung erscheinen läßt.

Sieht oder vielmehr hört es sich schon fast wie eine Ironie an, wenn dem Römer alltäglich durch einen Kanonenschuß von der Engelsburg die Zeit des Mittags angekündigt wird, ihm, dem die Zeit am allerwenigsten einen Schuß Pulver werth zu sein scheint, so ist der Contrast noch auffallender, der in Rom, der wasserreichsten Stadt der Welt, wo in allen Straßen, auf allen Plätzen die klarsten Brunnen tosen und schäumen, die schönsten Fontainen melodisch rauschen, zwischen der dargebotenen Menge des Wassers und dessen Gebrauche besteht. Das niedere Volk benutzt das krystallhelle Wasser am Ende wahrhaftig nur da, wo es dem Deutschen am gründlichsten verhaßt ist, beim Mischen des Weines, geht ihm sonst aber, wie man sich bei jedem Schritte und Tritte, mehr als schön ist, überzeugen kann, mit ausdauernder Scheu und Aengstlichkeit aus dem Wege.

Was vom Städter gilt, gilt natürlich noch mehr vom Landvolke, und ich habe in dieser Beziehung eine hübsche Geschichte gehört. Ich verkehrte in Rom viel mit den beiden Brüdern Karl und Robert Cauer, von denen der Letztere eben eine prächtige, lebensfrisch erfundene Quellnymphe in Marmor ausarbeiten ließ und einen allerliebsten Mignonkopf in Thon modellirte, während Karl Cauer seine „Hexe“ vollendete, ein dämonisch-schönes Weib in Lebensgröße, geistvoll erdacht und mit vollkommener Meisterschaft ausgeführt. Derselbe arbeitete damals auch an einer trefflichen Porträtbüste des gleichfalls in Rom weilenden und auch mir eng befreundeten Levin Schücking; das führte uns denn oft im Atelier zusammen, und bei dieser Gelegenheit gab Cauer einmal folgendes heitere Geschichtchen zum Besten:

Es war im Albanergebirge. Auf steilem Bergstieg kam ihm am frühen Morgen ein bildhübscher Junge entgegen, die schlanke Gestalt in ein braunes verschossenes Wamms und in eine alte blaue Kniehose gehüllt und in den schmutzigen Sandalen elastisch den felsigen Weg herabsteigend. In der Rechten führte er einen langen Stab, auf den er sich manchmal stützte; die schwarzen Locken, die ein frisches, bräunliches, volles Gesicht mit rothen Lippen und hellem, offenem Auge umrahmten, bedeckte nur halb ein alter durchlöcherter Filzhut, um den ein rothes Band gewunden war. Das Hemd stand der Morgenluft weit offen und zeigte eine wohlgebildete Brust und den schönen Ansatz des Halses.

Die jugendlich kräftige Gestalt mußte das Auge des Künstlers entzücken. War aber das Hemd des Jungen schon entschieden von zweifelhafter Farbe, so gewahrte Cauer bald auch an den Händen und an der Brust desselben einen so eigenthümlichen und so pastos aufgetragenen Ton der Farbe, daß er dem Schmutzfinken überrascht auf italienisch zurufen mußte: „Heda, mein Junge, Du hast Dich wohl noch nie gewaschen?“ Der Gefragte zeigte nicht die geringste Verwunderung oder Beschämung. Er sah dem Fremden mit seinen großen Augen voll in’s Gesicht und sagte dann im Vorübergehen, indem er noch mit der Linken wie bekräftigend eine pathetische Bewegung zur Seite machte: „Giammai, Signore, giammai – niemals, mein Herr, niemals …“

Das eigentliche Element der römischen Frau ist die Straße, der Corso; hier zeigt sie sich am liebsten, hier bewundert sie und läßt sich bewundern, ihre reiche Toilette, ihren schweren Goldschmuck, ihre eigene Schönheit. Sie zieht dabei einem ermüdenden Spaziergang unter allen Umständen den bequemeren Wagen vor und begnügt sich, wenn sie keine Carosse oder wenigstens Einspänner zur Verfügung hat, auch mit einer schmutzigen Droschke, in der sie mit dem Aplomb einer Principessa Platz zu nehmen weiß und so stolz gelagert dahin fährt, als hatte sie einen Viererzug vor dem Wagen und mindestens zwei Lakaien hintenauf. Die Leidenschaft der Römerin für das Fahren ist so groß, daß vordem häufig genug in dem Ehecontracte dem künftigen Ehegemahl ausdrücklich die Bedingung auferlegt wurde, seiner Gattin einen Zweispänner oder doch Einspänner zur Verfügung zu stellen. Mochte oder konnte sich der Sposo zu dieser Leistung nicht verstehen, so riß das zarte Band der Neigung oft ebenso schnell, wie es geflochten worden war, und die liebende Jungfrau sah sich anderswo nach Pferd und Wagen um.

Wenn es sich die Römerin indessen ebenso viel Zeit, wie Sorgfalt und Geld kosten läßt, ihren Leib mit den auserlesensten Stoffen und mit den kostbaren Erzeugnissen der hier seit Castellani wahrhaft virtuos betriebenen Goldschmiedekunst zu schmücken, so bin ich am wenigsten geneigt, ihr das Recht dazu zu bestreiten. Denn die Römerin ist schön, und welcher Thor hätte je ein schönes Weib getadelt wegen ihrer Neigung, sich immer neu und immer reicher zu schmücken, wenn sie mit Geschmack zu wählen verstand und er den Schmuck nicht zu bezahlen brauchte?

Man hat Rom die Metropole der Schönheit genannt, und es wird in der That keine Stadt geben, an deren Bevölkerung das holde Geschenk der Schönheit von den Göttern in reicherem Maße vertheilt worden wäre, als an die Männer und Frauen Roms. Um es gleich zu sagen: die Ersteren sind dabei viel schlechter weggekommen, als die Letzteren, und wenn es auch unter den Männern viele wahrhaft schöne Gestalten giebt mit charakteristischen, stolz zurückgeworfenen Köpfen, so ist die Zahl der schönen Frauen, wenigstens so lange die Jugend ihnen leuchtet und sie vor dem leider jede Römerin allzuleicht bedrohenden Verhängniß formloser Ueppigkeit bewahrt, doch bei Weitem in der erfreulichsten Mehrzahl und zwar nicht etwa in einzelnen, bevorzugten Ständen, sondern gerade in Rom nimmt an der Schönheit das ganze Volk Theil und die niedrigste Arbeiterin vermag, wenn ihr die Götter freundlich gewesen sind, lediglich in ihrer Erscheinung, mit der hochgeborensten Principessa um die Palme der Schönheit zu ringen.

Wer sich in den späteren Nachmittagsstunden auf den Terrassen des Monte Pincio umhertreibt oder in einem der Kaffeehäuser am Corso Platz nimmt, vom Fenster aus die endlose Reihe der vorbeidonnernden Wagen und das Gewühl der sich langsam vorbeischiebenden Spaziergänger zu betrachten, erstaunt über die Fülle, die Menge der schönen Frauengestalten, die an ihm vorüberziehen. Namentlich der Kopf zeigt einen durchaus edeln und vornehmen Schnitt in Stirn, Nase, Mund und Kinn, ein reines und strenges Profil, wie wir es schon an den antiken Gemmen kennen; die Büste ist von tadelloser Schönheit und die ganze Haltung ohne Absicht an die Statuen der Antike erinnernd. Der südliche Himmel mit seiner feuchten Wärme und seinem strahlenden Lichte ist es, der die Schönheit der Römerin so zur vollen Blüthe sich entfalten und heranreifen läßt, aber es liegt auch jener große Zug in ihr, den wir an der Geschichte Roms, an seiner Natur, an seiner Kunst rühmen, und er vor Allem drückt ihr den junonischen Stempel des Siegreichen und Imponirenden auf.

Nicht ein- oder zweimal, nein, oft genug begegnete es uns beim Hinschlendern durch die Straßen, daß wir uns plötzlich anstießen mit dem halblauten Zurufe: „Sieh, wie schön!“ Da schritt nur ein Dienstmädchen über die Straße hin, mit dem Kruge oder der strohumflochtenen Flasche in der Hand; aber wie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 480. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_480.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)