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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

erscheinen Alle, als wenn sie sich zu erkälten fürchteten, dicht in weiße Laken gehüllt, so daß auch die Statur verborgen wird.

In Folge dieser im Kerne der Sache liegenden Erleichterungen waren viele Leute von Buguet und Genossen so vollkommen befriedigt worden, daß sie willig ihr Zeugniß gegeben hatten, um in der „Revue spirite“ Reclame für das Geschäft damit machen zu lassen. Der Herausgeber verstand es, die wahren und die erdichteten Erfolge in das rechte Licht zu setzen; er schilderte mit beredten Worten die in der neuen Kunst enthaltenen Tröstungen und ihren Einfluß auf die Kräftigung im Glauben an das Jenseits. So nahm das Geschäft schnell einen großen Aufschwung und die Unverschämtheit der Unternehmer wuchs von Tag zu Tag. Sie mochten sich nicht mehr begnügen, den Parisern die Segnungen der frommen Kunst zugänglich zu machen, sondern zeigten durch die „Revue spirite“, den „Figaro“ und andere Zeitungen an, daß die Einsendung einer Haarlocke oder eines andern Andenkens an die als Geist zu photographirende Person und die Bezeichnung einer bestimmten Stunde, in welcher sich die entfernten Angehörigen in Sammlung und Gebet mit dem Pariser Photographen zur Vollbringung des Werkes vereinigen wollten, vollkommen genügen, wenn der Sendung außerdem zwanzig Franken beigefügt würden. Die Geisterwelt ging indessen nicht immer auf diese Geschäftserweiterung ein; das nützliche Zwischenglied der Comptoirdame fehlte, und die tollsten Verwechselungen traten ein. Bejahrte Frauen erschienen als Wickelkinder und die Geister von Säuglingen in kräftig entwickelter Mannesgestalt. Es gingen Einigen die Augen auf, und die Polizei, deren Aufmerksamkeit bereits durch die freche Reclame erregt worden war, erhielt einige dieser total verunglückten Bilder eingesendet. Im Atelier des Mediumphotographen erschienen eines Tages zwei verkleidete Polizeicommissare und verlangten das Bild eines Verstorbenen. Nachdem die Sitzung mit den üblichen Ceremonien zu Ende und das Gespenst auf der Platte dingfest gemacht worden war, gaben sich die Beamten zu erkennen, wiesen ein Papier vor, welches sie zu einer Haussuchung berechtigte, und begannen unverzüglich mit derselben. Sie war äußerst erfolgreich, denn sie förderte zwei Gliederpuppen, denen jede beliebige Stellung dauernd gegeben werden konnte, die eine für unausgewachsene, die andere für ausgewachsene Geister mit den erforderlichen Leichenhemden, Schleiern und Draperien und dazu nicht weniger als dreihundert aus Papiermasse gefertigte Köpfe an’s Licht.

Das Handwerk der Geisterphotographen ist ein sehr viel einfacheres als dasjenige eines Cagliostro, Schröpfer und sonstiger Beherrscher der Geister. Da der Besteller dringend ermahnt ist, mit der höchsten Sammlung auf das Objectivglas der Camera zu blicken, so ist er natürlich für die Dinge, die inzwischen hinter seinem Rücken vorgehen, auf die einfachste Weise blind gemacht. Dort rollt nunmehr ein Vorhang in die Höhe, oder eine sich lautlos in ihren Fugen bewegende spanische Wand wird zurückgezogen, und es erscheint die passend ausgewählte und drapirte, mit dem entsprechendsten Kopfe versehene Gliederpuppe, je nach Angemessenheit in knieender, segnender oder ruhig schwebender Haltung. Aber während die gesammte Aufnahme eine Minute und darüber dauert, darf das Pseudogespenst höchstens ein oder zwei Secunden mitwirken; schnell und lautlos, wie er erschienen, verschwindet der Spuk wieder. Dieser Unterschied der längeren und der ganz kurzen Sitzungszeit für dasselbe Bild bringt die wunderbarste Wirkung hervor. Im Gegensatze zu der scharf ausgeprägten Figur des Bestellers erscheint hinter ihr eine menschliche Gestalt mit nebelhaft verfließenden, unsichern Umrissen und von jener ätherischen Durchsichtigkeit, welche unsere Phantasie den Gestalten aus dem Jenseits leiht. Die Ornamente der Hinterwand erscheinen an den Stellen, welche das Geistermodell für einen Augenblick einnahm, nur ein klein wenig schwächer; sie schimmern deutlich durch den dünnen Körper des Geistes hindurch, wie das Licht der Sterne durch den Schweif der Kometen.

Bei einer einigermaßen geschickten Handhabung lassen sich auf diesem so einfachen Wege die wunderbarsten Wirkungen erreichen. Nichts kann für den Liebhaber des Seltsamen überraschender sein, als Gespensterstereoskopen, die mit Geschmack auf dem angedeuteten Wege erzeugt wurden. Der Schreiber dieser Zeilen besitzt mehrere derartige Kunstleistungen, unter denen sich eine Friedhofsscene auszeichnet, bei welcher der Geist einer Mutter segnend über dem Haupte des Kindes erscheint, welches ihr Grab mit frischen Blumen schmückt. Durch den Aetherleib der Erscheinung hindurch gewahrt man die Spitzen der hinter ihr befindlichen Grabdenkmäler, was einen sehr merkwürdigen Anblick gewährt. Die Photographie bietet sich gleichsam von selbst zur Ausführung dieser und ähnlicher Spielereien, von denen wir noch an die vor Jahren auftauchenden Doppelgängerbilder erinnern wollen. Letztere stellen bekanntlich eine und dieselbe Person zweimal neben einander, etwa wie sich die Eine ihre Cigarre an derjenigen ihres andern Ichs anzündet, oder sich selber unter den Tisch trinkt. Sie sind einfach das Ergebniß zweier nach einander erfolgten Aufnahmen auf derselben Platte, deren Hälften abwechselnd durch einen doppelthürartigen Schirm bedeckt wurden.

Im obigen und in den meisten ähnlichen Fällen waren sehr handgreifliche Methoden angewendet worden, um das Verlangen nach Geisterphotographien zu befriedigen. Die genauere Kenntniß optischer Gesetze giebt indessen noch ganz andere Mittel an die Hand, derartige Künste zu vollbringen, die weniger leicht zu entlarven und vor einer gewöhnlichen Haussuchung sicher wären. Denn man kann, wie wir am Eingange dieses Artikels erwähnten, auch Dinge photographiren, die dem menschlichen Auge völlig unsichtbar sind, und daher im Atelier vorhanden sein können, ohne daß eine sich darin in völliger Freiheit bewegende Gesellschaft eine Ahnung davon haben würde. Schon im Allgemeinen sind die sogenannten chemischen Strahlen des Sonnenlichtes, welche die Silbersalze am stärksten verändern, dunkle, unsichtbare Strahlen, das heißt solche, für welche unser Auge unempfindlich ist. Ihre Schwingungen sind zu schnell, um unsere Sehnerven anzuregen. Wenn das Sonnenlicht durch ein Glasprisma in seine farbigen Bestandtheile zerlegt wird, so fallen diese photographisch wirksamsten Strahlen über den unmerklich in Dunkelheit übergehenden violetten Rand des regenbogenartigen Streifens hinaus. Man kann sie nur sichtbar machen, wenn man ihre Schwingungen etwas verlangsamt, was geschieht, wenn man sie auf eine Abkochung von Roßkastanienrinde, auf Chininlösung und ähnliche Substanzen fallen läßt. Diese an sich (erstere im gereinigten Zustande) farblosen Flüssigkeiten zeigen an der Oberfläche ein schönes blaues Schillern, welches von verlangsamten und daher unwirksamer gemachten chemischen Strahlen herrührt. Wenn man nun mit solchen Flüssigkeiten eine menschliche Gestalt auf eine weiße Wandfläche malte, so würde nach dem Trocknen auch nicht die Spur von der Zeichnung sichtbar sein. Gleichwohl kann ein so hervorgebrachtes Bild oder Portrait mit aller Schärfe abphotographirt werden, und die unsichtbaren Umrisse und Schattirungen derselben bilden sich auf der Platte gerade so deutlich ab, als ob sie mit schwarzer Kreide auf die Fläche gezeichnet wären. Man nennt dies die „Photographie des Unsichtbaren“, und es ist leicht einzusehen, daß mit ihrer Hülfe selbst ein sehr vorsichtiger Liebhaber von Gemälden aus der andern Welt betrogen werden kann.

Unsere gewöhnliche Spiritistengesellschaft ist indessen, wie wir an dem Pariser Falle sehen, so skeptisch nicht, und läßt sich mit gröberen Mitteln hinter’s Licht führen. Ohne Zweifel viel anziehender als die Aufdeckung des Betruges und die Kenntnißnahme von den dabei angewandten Ränken und Kniffen erschien aber in dem Processe Buguet das Gebahren der Zeugen und Zuschauer, unter denen man vorwiegend Personen aus den höheren Gesellschaftsclassen, namentlich hohe Militärs, bemerkte. Obwohl die Gliederpuppen und Larven in der stattlichen Zahl von dreihundert Belastungszeugen auftraten, obwohl die beiden Hauptbeklagten einräumten, in verzweifelten Fällen zum Betruge gegriffen zu haben – gewöhnlich seien sie ehrlich und mit der Zuversicht des Erfolges an’s Werk gegangen –, blieben einige der angerufenen Entlastungszeugen unerschütterlich in der Behauptung, Portraits ihrer Angehörigen aus dem Jenseits von übernatürlicher Aehnlichkeit erhalten zu haben. Die Wittwe des ehemaligen Oberhauptes der französischen Spiritistenschule, Frau Rival, genannt Allan Cardec, eine silberhaarige Greisin, wagte es sogar, vor dem versammelten Publicum den sündlichen Unglauben der Richter, diesem Beweise des höheren Seins gegenüber, ausdrücklich zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 508. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_508.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2017)