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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

wichen die Töne immer weiter und weiter vor mir zurück und nur mit großer Mühe gelang es mir vermittelst eines Compasses, den Weg zu meiner Ruhestätte wiederzufinden.

Obwohl die Urwälder Amerikas durch allerlei Töne und Geräusche, sowohl von Vierfüßern wie von Vögeln, belebt sind, kommt dennoch eine Zeit des Tages – und diese ist die Zeit der größten Hitze – wo die Ruhe des Waldes nur durch das Rieseln der Bäche und das Rauschen des Windes gestört wird, und diese Zeit benutzen die Glockenvögel vorzugsweise, um den Wald mit ihrem wunderbaren Geläute zu beleben. Der Eindruck, den diese metallischen Töne auf den Reisenden machen, der zum ersten Male die mächtigen Waldungen des tropischen Amerikas betritt, ist überraschend. Den nächstfolgenden Tag ertönte die Stimme des Glockenvogels schon bei Tagesanbruch in der Nähe unseres Lagers. Bald darauf erscholl ein ähnlicher, aber schwächerer Ton in einer größeren Entfernung. Wie ich später erfuhr und auch selbst constatirte, ist dieser Schall der Lockton des Männchens. Das Weibchen antwortet, indem es sich von Raum zu Raum allmählich dem Männchen nähert; sein Schall ist aber schwächer, sodaß die Töne in einer Abstufung sich folgen, die zu der Täuschung eines von verschiedenen Glocken hervorgebrachten Geläutes Anlaß geben und in einer Entfernung von einer Stunde deutlich gehört werden können. Besonders täuschend ist dieses Geläute, wenn mehrere Paare locken, oder auch die Umgebung Veranlassung zu einem Echo giebt. Man glaubt alsdann das Geläute mehrerer Dorfglocken in verschiedenen Richtungen zugleich zu hören. Schlägt aber das Männchen allein, so ist der Schall, wie oben gesagt, dem, den ein Hammer, auf den Ambos geschlagen, hervorbringt, viel ähnlicher. Trotz aller Anstrengung gelang es mir dennoch diesmal nicht, einen dieser sonderbaren Vögel auf Schußweite zu bekommen, ja nur zu sehen. Mich der Märchen meiner Kinderjahre erinnernd, kam es mir zuweilen vor, als hätte ich mit einem jener phantastischen und unsichtbaren Wesen zu thun, die den Wanderer durch ihren Gesang zu verlocken suchen, um ihn in irgend eine Falle zu führen. So ganz unrichtig war dieses Phantasiebild nicht, denn ohne meinen Compaß wäre es mir öfters nicht gelungen, meinen Weg in diesen Wildnissen wiederzufinden. Meine Sehnsucht, eines dieser geheimnißvollen Virtuosen habhaft zu werden, wurde immer größer. Ich that alles Mögliche, um einem auf die Spur zu kommen.

Von den Einwohnern hörte ich, daß der Araponga vorzugsweise die süßen Beeren der Bäume zu seiner Nahrung aufsuche. Diesen Wink benutzte ich nun, indem ich solche Bäume im Walde aufspürte. Eines Tages bemerkte ich zahlreiche dunkelrothe Beeren am Fuße eines hohen Baumes liegen; ob es die Beeren des vor mir stehenden Baumes oder die Früchte der um denselben gewundenen Schlingpflanze waren, konnte ich nicht ermitteln; kurz, als die Sonne über dem Horizonte eben aufstieg, gelangte ich, mit meiner Flinte bereit, an die betreffende Stelle.

Kaum dort angekommen, erscholl auch in der Ferne der Klang des Glockenvogels, der sich allmählich zu nähern schien, und keine Viertelstunde verging, so hörte ich einen hellen, grellen, jedoch mit metallischem Nachklang begleiteten Schall, der direct über mir ertönte, und wirklich war es der Araponga, der auf dem höchsten Gipfel des Baumes saß. Obschon in einer senkrechten Entfernung von ungefähr hundertfünfzig Fuß, erkannte ich ihn dennoch an seinem schneeweißen Gefieder und an seiner nackten, dunklen Kehle. Er hüpfte weiter und weiter herab, bis an die Stelle, wo die Früchte häufiger waren, und während er nun emsig mit dem Herunterschlucken der saftigen Beeren beschäftigt war, setzte ich an, schoß und sah nun den schon längst gewünschten Vogel todt zu meinen Füßen hinfallen. Der Vogel stimmte mit dem von Cuvier nach Buffon beschriebenen Araponga, Casmarhynchus Procnias nudicollis, überein, er war nämlich weiß mit nackter, spangrüner Kehle, Zügel und Augenlidern, ohne merklichen Fleischlappen an der Basis des Schnabels zu haben, wie Lact von seinem Gicavonga oder Giraponga berichtet. Lact war nämlich der Erste, wie Buffon mittheilt, der dieses Vogels erwähnt. Er nennt ihn aber Gicavonga oder weißen Cotinga. Brehm, in seinem Thierleben, erwähnt vier verschiedene Species: den Araponga, unter der lateinischen Bezeichnung Casmarhynchus variegatus mit tiefschwarzen Flügeln, den Hämmerling, Chasm. tricarnunculatus, lebhaft kastanienbraun, auf Kopf und Hals, Vorderbrust und Nacken rein weiß, den Glöckner, Casm. carunculatus, schneeweiß, aber mit einem hohlen, fleischigen Zipfel oben an der Schnabelwurzel, und den Schmied, Casm. nudicollis, schneeweiß, jedoch mit nacktem Zügel und Kehle, welche spangrün gefärbt sind. Letzterer Vogel stimmt ganz mit unserem Araponga. Es waltet hier also nur ein Irrthum in der Benennung ob.

Was den Glöckner (Ch. carunculatus) von Brehm anbelangt, so scheint dieser der in Columbien vorkommende Campanero zu sein, den ich später dort antraf, dagegen werden wohl die andern zwei Species, der Hämmerling und der Schmied oder Ferrero, in Guyana vorkommen. In Mexico ist uns nie von einem solchen Vogel berichtet worden, und habe ich auch dort nie einen Glockenvogel weder gehört noch gesehen. Watterton und Schomburgk, die Guyana bereist haben, erwähnen auch dieses Vogels. „Inmitten der ausgedehnten Wildniß,“ schildert Watterton, „gewöhnlich auf dem dünnen Wipfel eines alten Morusbaumes, und fast immer außer Schußhöhe, wird man den Glöckner bemerken. Kein Laut oder Gesang von irgend einem geflügelten Bewohner der Wälder, nicht einmal das deutlich ausgesprochene ‚Whip poor Will‘ des dortigen Ziegenmelkers kann so in Erstaunen setzen, als das Geläute des Glockenvogels. Wie so viele der befiederten Classe, bezahlt er dem Morgen und dem Abende durch Gesang seinen Zoll, aber auch wenn die Mittagssonne Stillschweigen geboten und den Mund der belebten Natur geschlossen, ruft er noch sein heiteres Getön in den Wald hinein. Man hört das Geläute, dann tritt eine minutenlange Pause ein, hierauf folgt wieder ein Glockenschlag und wiederum eine Pause, und so wechselt es zum dritten Male ab, und hierauf beginnt er von Neuem seinen Gesang. Actäon würde seine eifrigste Jagd unterbrechen, Maria ihr Abendlied verzögern, Orpheus seinen Gesang aufgeben, um diesen Vogel zu belauschen, so reizend, so sonderbar, so romantisch ist der Klang seiner Stimme.“

Schomburgk, der ihn auch öfters in den Gefilden des Amazonenflusses bemerkte, fügt dieser Beschreibung hinzu: „Aus dem nahen Walde hörte ich wunderbare Töne, es war, als schlüge man zugleich mehrere harmonisch gestimmte Glasglocken zusammen. Kein Gesang, keine Stimme irgend eines der befiederten Bewohner der Wälder Guyanas hatten mich in gleiches Erstaunen gesetzt wie die Glockentöne des Hämmerlings. Daß Vögel in Guyana die Gabe der Sprache besaßen, hatte ich auf diesem Erdtheile schon erfahren, solche Töne aber waren mir noch nie vorgekommen.“

Ueber die Lebensweise des Glockenvogels weiß man noch sehr wenig; selbst die Indianer können nur das berichten, was bisjetzt über ihn gesagt worden ist.

Den ersten Vogel dieser Art, den ich in der Gefangenschaft sah, traf ich vor ungefähr zwölf Jahren im Acclimatisationsgarten in Paris. Es freute mich unendlich, diesen alten Bekannten meiner Jugendjahre wieder zu sehen. Seither war der Glockenvogel wieder ein Mythus für mich geworden, als ich kürzlich bei einer Reise durch Belgien ein schönes einziges Exemplar im zoologischen Garten in Antwerpen antraf. Ich wurde sofort über den Preis einig und erwarb den Vogel für den Kölner zoologischen Garten wo er nunmehr seine metallische Stimme jeden Tag erschallen läßt.

Die ersten Töne hörten wir kurz nach Sonnenaufgang den dritten Tag nach seiner Ankunft, sie glichen zuerst denen, die zwei zusammengeschlagene Wassergläser hervorbringen, wurden aber nur einzeln ausgestoßen. Nach einigen Tagen wurde der Vogel dreister und sein Gesang häufiger. Nach zwei bis vier einzelnen, harten und lauten Tönen, die von einer halben zu einer halben Minute vernommen wurden, erschollen acht bis zehn minder laute Töne, die rasch aneinander folgten und alsdann gleich einem kurzen Geläute ertönten; dann trat wieder eine Pause ein, ehe die zweite Gamme wieder begann etc. – Nachmittags gegen zwei Uhr fängt dasselbe Geläute wieder an. Gewöhnlich aber pflegt der Vogel zu schweigen, wenn viele Besucher vor seinem Käfige sich ansammeln. Im Allgemeinen sitzt er sehr ruhig in seinem zwei Fuß breiten und anderthalb Fuß hohen Käfig. Von Zeit zu Zeit springt er von seinem Sitze herunter und sogleich wieder hinauf, sogar an seinem Futternapfe hält er

sich nur einige Secunden auf. Das erste Futter, bestehend aus gekochten Kartoffeln, Weißbrod und kleingeschnittenen Feigen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 528. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_528.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)