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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


No. 32.   1875.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.


Hund und Katz’.
Eine Geschichte aus dem bairischen Oberland.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


3.

Fabian und Sebastian
Soll der Saft in die Bäume gahn.

Wieder waren einige Monate verflogen, und was sie gebracht, hatte sie nicht zu überdauern vermocht – nur an den Eichen und Buchen, die den Höhen und dem Seegestade entlang stehen, hingen noch die Büschel dürrer frostgebräunter Blätter, in der weiten Winterlandschaft das einzige Zeichen, daß über den schneebedeckten Hängen, der matten halb überfrorenen Seefläche und den fernen eisstarrenden Gebirgen jemals ein Frühling geblüht, ein Sommer gereift und ein Herbst geerntet hatte. So weit das Auge des Wanderers zu reichen vermochte, überall bot sich ihm dasselbe Bild der Erstarrung – eine riesige Schneelandschaft zog sich so endlos dahin, daß die zerstreuten Häuser und die Waldstrecken sich nur wie verloren davon abhoben; vergebens schien die Sonne mit mittäglicher Kraft darauf herunter, ein scharfer Ostwind machte ihre Strahlen abweichen, daß sie nur geschwächt die überharschte Schneedecke trafen und die Eiskrystalle derselben flimmern machten. Nur die Schneeflocken und Reifsterne, die an den Zweigen hingen, vermochten nicht, ihnen zu widerstehen, und fielen geräuschlos hernieder.

Auch für das Ohr war das Gepräge des Todes und Verstummens über die ganze Gegend gebreitet – nur ein einziges Mal rollte ein dumpfes Krachen wie schwacher Donner darüber hin, ohne daß irgendwo eine Bewegung zu bemerken war, von der das Geräusch hätte ausgehen können; beinahe zu gleicher Zeit strich ein Fischgeier hart an der überfrorenen Seefläche hin, hob sich dann ebenso rasch in die Luft und stieß einen langgezogenen Ruf aus, der sich wie ein Freudenschrei anhörte.

Der Wanderer, der auf dem Seesträßchen dahin schritt, blieb stehen, sah dem Fluge des Vogels nach und warf einen prüfenden Blick auf die Eisdecke des Sees.

Es war der Trompeterfranzl, der greise Hochzeitlader, den weder Kälte noch Schnee abhielt, die Baßgeige über der Schulter, Diessen zuzuwandern, wo das Instrument noch heute in Thätigkeit kommen sollte. Dasselbe war vorsichtig in ein starkes Tuch gehüllt, während der Träger sich selbst viel geringere Sorgfalt zugewendet hatte; er trug sein gewöhnliches Bauerngewand, nur die Hände staken in einem Paar derber Fäustlinge aus Fuchspelz, und auf dem ausnahmsweise übereinander geknöpften Rocke hing das kleine unscheinbare Erzkreuzchen, das Denkzeichen an den russischen Feldzug, als ob es die alte Brust und das Herz darunter warm halten sollte vor dem schneidenden Ost, der eben mit stärkerem Odem über den See blies und die Schneeflöckchen auf demselben wirbeln machte. Rüstig stand er da und während Andere schon vor seinen Jahren das Aussehen hatten, als gäbe es für sie keinen Platz mehr, als in der warmen Stube auf der Bank hinter’m Ofen, hatte ihn das heitere Gemüth und die Freude an den Tönen so lebfrisch erhalten, daß er mit den von der Kälte gerötheten Wangen fast einem Burschen glich, der, anstatt dazu aufzuspielen, lieber selbst Lust hatte, zum Tanze anzutreten. Um seine Naturbeobachtungen bequemer vornehmen zu können, stellte er den Baß vor sich hin und griff dann in die Tasche, um eine Handvoll Brodkrumen, mit denen er sich offenbar eigens versehen hatte, unter die Hecken zu streuen, durch welche allerlei Gevögel huschte und sich sein kümmerliches Futter zusammenlas. Die Finken, Emmerlinge und Meisen verschmähten die gastliche Einladung zu offener Tafel nicht, und auch eine Amsel überwand allmählich ihre Schüchternheit; um näher hüpfend und mit ihrem Goldschnabel pickend daran Theil zu nehmen.

Mit einem fröhlichen Kinderlächeln, auf seinen Baß gelehnt, sah der Greis dem Spiele seiner gefiederten Gäste zu; plötzlich schwirrten sie alle in die Höhe und flüchteten in die sicheren Wipfel höherer Bäume. Die Ankunft eines Zeugen und sein lauter Ruf hatten sie verscheucht; es war ein Bauernbursche, der in hohen Schneestiefeln quer über die Anhöhe herabkam, als habe er nicht Zeit der Krümmung zu folgen, in welcher der Fußpfad sich gegen das Gestade hinunter schlängelte.

„Oho,“ rief er schon aus der Entfernung lachend herunter. „Oho, Wettermannl’, futterst die Vögel und machst ihnen gleich Tafelmusik dazu auf Deiner Baßgeigen?“

Verstimmt und mit dem Auge zwinkernd sah der Alte nach dem Störer hin. „Du bist es, Zachariesel?“ entgegnete er in einem Tone, der sich nicht bemühte freundlich zu sein. „Was kommst Du denn über die Leiten heruntergeschossen wie ein Hacht und verjagst mir meine Kostgänger? Ist vielleicht wieder ein Bach in der Näh’, in den Du hinein plumpen willst? Oder willst zuhören bei meiner Tafelmusik? Das kann schon sein. Ich hätt’ gute Lust, Dir ein Stückel aufzuspielen. Du hast Ursach’, andere Leut’ bei ihren Spitznamen zu nennen, Du ewiger Hochzeiter Du.“

Ueber das Antlitz des Burschen, der inzwischen langsamer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 533. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_533.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)