Seite:Die Gartenlaube (1875) 535.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Dir ja thun, nur mußt Du mir versprechen, daß Du nicht an die Grubenmühl’ denkst und an die Weilheimer Frackischen, sonst könnt’ es meinem armen Contrabaß gehen, wie es einmal beim Maurerhansel einem gewissen gipsernen Engerl gegangen ist.“

Schweigend nahm der Bursche die Last auf sich. Die Anspielung des Alten zeigte ihm auf’s Neue, wie alles Vorgefallene schon bekannt und zum Gegenstande allgemeinen Gespräches geworden war; es ward ihm darüber so bitterlich weh und doch wieder so grimmig um’s Herz, daß er den Baßgeigenhals krampfhaft umklammerte, als wäre es der eines Spötters, und daß ihm dabei doch die Thränen in die Augen schossen. Eines aber ward ihm immermehr zur Gewißheit, daß es so nicht länger fortgehen könne und er sich entschließen müsse, einen Entschluß zu fassen. Der Alte mochte bemerken, was in ihm vorging, und überließ ihn seinen Gedanken; die eigenen waren ihm lange befangen von den dürren Bäumen und Sträuchern am Wege, von den Raupengespinnsten, die daran herunterhingen, und von den schwarz gewordenen Schlehen und den braunen Hagebutten, die keine pflückende Hand gefunden hatten. Oft und lange sah er See und Himmel an, und es schien ihm nicht zu gefallen, daß im Süden gegen die Berge ein bräunlicher Qualm wie verwehter Rauch aufzusteigen begann, und kopfschüttelnd brummte er vor sich hin:

„Höhenrauch braun und dick
Bricht dem Winter ’s G’nick …“

Schweigend waren sie schon Diessen nahe gekommen, wo die Straße sich vom See abwendet und in leichtem Waldschlage verliert; ein Schlitten, von einem raschen Gaule gleich einer Nußschale wie im Fluge fortgezogen, klingelte lustig heran. Der kundige Hochzeitlader, trotz seiner schwachen Augen, hatte das Fuhrwerk wie dessen Herrn in Bälde erkannt. „Das ist ja gar der Schlösselbauer,“ rief er, „den erkenn’ ich am Schlittengeläut’; kein Anderer hat einen Schellenkranz, der so fein klingt, schier wie ein Glockenspiel. Grüß’ Gott, Schlösselbauer!“ rief er dem näher Kommenden zu, der mit einem Gegengruße das Pferd anhielt und dem Hochzeitlader die Hand schüttelte, die ihm derselbe in freudiger Eile sammt den füchsenen Fäustlingen entgegenstreckte. „Woher, Schlösselbauer? Bist auch in Diessen gewesen, beim Fasching? Willst schon so bald wieder heim? Das Reiten muß ja erst angeh’n, mein ich. Und gar allein bist? Wo ist denn Deine Tochter, die Kuni? Wird doch nicht etwa gar krank sein?“

„Du fragst einmal viel miteinander,“ lachte der Bauer, „da freut mich mein Leben mit lauter Antworten. Freilich bin ich in Diessen gewesen, hab’ gemeint, ich wollt’ mir die Narrethei anseh’n, aber es hat mir nichts recht gefallen wollen – da hab’ ich mir ’denkt, wenn ich Weillang haben will, das bring’ ich daheim auch zuwegen, und allein muß ich fahren, weil meine Kuni fort ist; drüben, gegen Kloster Polling hin, lebt ein altes Basel von ihrer Mutter selig; die ist schwer krank, und da hat sie sich’s mit Teufelsgewalt in den Kopf gesetzt, es wär’ ihre Pflicht und Schuldigkeit, daß sie einer so nah Befreund’ten auswarten thät und sie müßt’ sich noch auf ihrem eigenen Todbett’ Vorwürf’ machen, wenn sie’s nicht gethan hätte. Was willst machen, wenn sich so ein verflixtes Dirn’l einmal was in den Kopf gesetzt hat?“

„Hm, hm, jetzt fällt mir ein, ich hab’ so ’was läuten, aber nicht schlagen hören,“ erwiderte der Alte, indem er sich nach Zachariesel umsah und befriedigt fortfuhr, als er denselben mit dem Basse ruhig weiter traben sah. „Es hat geheißen, sie hat den Leuten auf eine Weil’ aus den Augen und aus dem Gered’ geh’n wollen – Du weißt wohl, von wegen der Geschicht’ in Erling mit dem Loostanze.“

Sichtlich unangenehm berührt, riß der Bauer an den Zügeln, obwohl das Pferd sich nicht von der Stelle geregt hatte. „Das hätt’ sie auf dem Schlösselbauernhofe auch haben können,“ sagte er mürrisch, „da oben ist ohnehin eine Einöd’, wo Füchs’ und Hasen einander gute Nacht geben, und dann mein’ ich, sie hätt’s nicht nöthig gehabt; selbiges Mal bei dem Loostanze ist nichts gescheh’n, wegen dessen sie sich hätt’ verstecken müssen. Was liegt daran, ob’s noch ein paar hundert Menschen mehr wissen, daß die Zwei einander nit leiden können und von Jugend auf einander feind sind, wie Hund und Katz’! Wie’s nur auch möglich gewesen ist, daß es sich gerad’ so auftrifft, und daß gerad’ die Loos’ von denen Zweien haben herauskommen müssen.“

„Ja wohl, wie so was nur möglich!“ sagte der Alte so unbefangen, wie er es mit seinem ehrlichen Gesichte zuwege brachte, durch das der Schalk guckte. „Man möchte diemalen wirklich an eine Hexerei glauben, wenn das Hexen nicht aus der Mode gekommen wär’. Aber gut war’s bei alledem, daß sie einmal so recht aneinander gerathen sind; jetzt ist das verhaltene wilde Feuer heraus; jetzt wird wohl Frieden sein auf eine Weil’.“

„Ja, bei ihm, bei dem groben Burschen, kannst wohl Recht haben,“ erwiderte der Bauer, „er hat sich ausgesprochen und ausgeschrieen genug, aber mein Mädel hat die Kränkung erhalten und hat sie mit ihren Zähern hinunterschlucken müssen. Sie ist mir ganz verkehrt seit der Zeit, und geweint hat sie in ihrem ganzen Leben nit so viel, als in den vier Wochen seit der Andechser Wallfahrt.“

„So so, fangt das Wetter an weich zu werden?“ rief der Hochzeitlader rasch, „das ist kein schlechtes Zeichen. Riegle Deine Thaler, Schlösselbauer! Es giebt bald Hochzeit.“

„Du denkst an nichts als an’s Hochzeitladen und an’s Hochzeitstiften,“ lachte der Bauer. „Meine Kuni will jetzt erst recht nichts vom Heirathen hören. Bei der kannst Du den Kuppelpelz in den Rauchfang schreiben.“

„Mach’ Du mir meinen Gaul nicht scheu!“ erwiderte der Alte, in das Lachen einstimmend, „eine Henn’ ist auch ein Vogel und

Wird erst der Boden warm und feucht,
Thut sich das Grasel beim Aufgeh’n leicht.

Spott’ Du nur, Schlösselbauer! Es kommt schon die passende Zeit, wo ich Dir’s heimgeben kann. Wo ist denn aber er?“ setzte er bedenklich hinzu. „Hast nichts gehört von ihm?“

„Wer?“ fragte der Bauer verwundert. „Von wem soll ich was gehört haben? Du meinst doch nicht etwa gar denselbigen, den …“

„Ja wohl’, red’ nur aus, denselbigen, den gar Andern mein’ ich,“ entgegnete der Alte. „Wenn er auch nicht Dein Schwiegersohn werden will, kannst ja doch von ihm gehört haben, und mir mußt Du’s nit übelnehmen, wenn ich nach ihm frag’: der Bub’ ist mir einmal an’s Herz gewachsen. Du hast ja gesagt, Du wolltest ihm heimgeben, was er Dir und der Kuni angethan hat, also wirst ihn wohl aufgesucht haben. Seit er dort in Erling verschwunden ist, hab’ ich von ihm nichts mehr gehört und geseh’n. Sein Vater weiß selber nichts von ihm und meint, ob er nicht etwa gar noch einmal in’s Griechenland hinein ist.“

„Dasselbe glaub’ ich nicht,“ war des Bauern Antwort, „da thäten sie ihn kennen und herausliefern, denn jetzt ist er selber ausgeschrieben, wie ein Maleficant; jetzt ist es erwiesen, daß er den Spitzbuben ganz offen in’s Haus geführt und für einen Cameraden aus dem Griechenlande ausgegeben hat, und wenn sie ihn finden, wird er selber eingehäuselt auf ein fünf bis sechs Jahrle.“

„Warum nit gar!“ erwiderte der Alte kopfschüttelnd. „Es kann doch gar kein so großes Verbrechen sein, daß er dem armen Teufel durchgeholfen hat. Ich hab’ ihn geseh’n und mich hat er erbarmt, und wenn Du ihn geseh’n hättest, Schlösselbauer, Du hättest ihn auch nicht ausgeliefert, sondern hättest ihm durchgeholfen. Und seit der Zeit hab’ ich den Buben erst recht in mein Herzkastel eingeschlossen und wünschet’ nur, daß es ihm so recht gut geht, und wenn’s auch nit sein kann, schad’ ist’s doch, daß er nicht Dein Schwiegersohn wird – dabei bleib’ ich, bis die Kuh einen Batzen gilt.“

„Und ich bleib’ dabei, daß Du ein alter Faxenmacher bist, Trompeter-Franzl,“ rief der Bauer halb lustig, halb ärgerlich. „Weil Du doch so gut auskennst in den Kräutern, so schau, daß Du einmal die Gescheidtwurz findest. Die thut Dir noth und Du hast hohe Zeit. … Behüt’ Dich Gott, Wetter-Mandel!“

Der Schlitten sauste dahin, und der Alte rief ihm nach: „Gleich mach’ ich mich an’s Suchen, Schlösselbauer, und wenn ich die Gescheidtwurz hab’, laß ich Dich nicht zu kurz kommen.“

Die Worte vertönten im Schellenklingeln und Peitschenknall. Der Hochzeitlader brauchte aber geraume Zeit, bis er Zachariesel eingeholt, der, in Gedanken fortschreitend, einen ansehnlichen Vorsprung gewonnen hatte. Der Bursche war darüber wieder ruhiger geworden. Zeit und Ueberlegung hatten ihn abgekühlt

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 535. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_535.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)