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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


No. 33.   1875.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.


Hund und Katz’.
Eine Geschichte aus dem bairischen Oberlande.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


Es war ein zierliches Schreiben des Geometers, worin derselbe dem Müller mittheilte, daß in der Gesellschaft ein Ball stattfinde, der an Schönheit Alles übertreffen solle und dem nichts mangle, als seine und seiner liebenswürdigen Tochter Gegenwart. Er lud sie daher beide in artigster Weise dazu ein und erwähnte, wie er in der Gesellschaft schon so viel und oft von ihnen erzählt habe, daß Alles begierig sei, ein paar so ausgezeichnete Leute kennen zu lernen. Als unverheirathet, schrieb der Canarienvogel weiter, sei es ihm zwar leider nicht möglich, sie in eigener Behausung zu bewirthen und zu beherbergen, aber eine Schwester seiner verstorbenen Mutter werde sich eine Ehre daraus machen, sie aufzunehmen und vielleicht dem Fräulein behülflich zu sein, wenn am Ballstaate etwas fehlen sollte; es wäre daher sehr ersprießlich, wenn sie schon einen Tag früher einzutreffen vermöchten. „Ich lebe nur in dieser freudigen Erwartung,“ hieß es am Schlusse, „und gebe mich der Zuversicht hin, daß der Siegeswagen meiner Hoffnungen durch keinen ländlichen Stein des Anstoßes aufgehalten wird.“

Knirschend vor Zorn ballte Zachariesel das Blatt zusammen, warf es auf den Boden und sprang es mit beiden Füßen platt; dann rannte er aus der Mühle, wo der Knappe ihm so wenig den Ausgang wehrte, als er den künftigen Herrn des Hauses am Eintritte gehindert hatte. Er blickte nicht mehr zurück und wandte nicht einmal den Kopf, obwohl der Bursche unter die Mühlthür getreten war und, ihm nachsehend, ein Liedchen pfiff, dessen bekannte Reime offenbar auf ihn gemünzt waren. Sie lauteten ungefähr:

„Um und auf, auf und um –
Ich weiß niemal’ warum:
Wenn’s einmal Alle hör’n,
Werd’ ich’s auch schon inne wer’n (werden).“

Er wußte und beachtete nicht, wohin er lief; so gerieth er in die entgegengesetzte Richtung, daß es den Anschein hatte, als wolle er schnurstracks nach München laufen, um die tanzlustige Braut zurückzuholen. Wäre der verdammte Gelbling ihm jetzt begegnet, er wäre diesmal nicht so mit heiler Haut davongekommen, wie im Erlinger Hohlwege. Also bis dahin war es gekommen, daß Mechtild sich nicht einmal mehr mit den Halbstädtern von Weilheim begnügte; ihm zum Trotze und offenbarem Hohne hatte sie, ohne ihn zu fragen, ohne ihn auch nur einer Nachricht zu würdigen, die Einladung des Menschen angenommen, der ihm zuwider war wie kein anderes Geschöpf zwischen Mond und Sonne. Nun gab es aber auch kein Schwanken und kein Besinnen mehr; nun stand sein Entschluß felsenfest wie der Waldberg an seiner Seite, von dessen Höhe der Dom von Andechs thalbeherrschend hernieder sah. Nur über das Eine, wie die Sache angefaßt werden müsse, war er noch etwas im Zweifel, doch stieg es immer klarer in ihm auf, daß Mechel’s Augen gegenüber mit Worten nichts auszurichten sei und daß es das Klügste sei, einen Brief zu schreiben, den weder der Müller noch Mechel an’s Fenster zu stecken Lust haben würde.

Ein plötzlich losbrechender Windstoß rüttelte ihn aus seiner Betäubung auf, indem er ihm einen abgerissenen Baumast vor die Füße warf. Schwül quoll und drang es mit einem Male durch den Wald, als wäre die Thür eines unverwahrten Schmelzofens plötzlich aufgethan; es begann von den übereisten Bäumen zu tropfen, und dazwischen wirbelten in seltsamem Gegensatze dichte sturmgejagte Schneeflocken durcheinander.

Das Wettermannl’ hatte recht gesehen: der braune Höhenrauch war zum Sturme geworden; mit ihm war der warme Wind da und das Thauwetter dazu.

Zachariesel mußte sich nach einer Zuflucht umsehen und fand sie in einer offenen Waldcapelle, deren hölzernes Vordach ihm mindestens für den ersten heftigsten Anprall Schutz verhieß. Gedankenvoll, mit dem Rücken gegen das Innere der Capelle gewendet, ließ er sich auf den Knieschemel einer Betbank nieder und gewahrte nicht, daß vor ihm schon Jemand Anderes in gleicher Absicht die Capelle betreten hatte.

Es rauschte und raschelte mehrmals wie absichtlich hinter ihm, aber er achtete nicht darauf. Jetzt kam es noch näher an ihn, und eine klare Stimme rief seinen Namen.

Was war das? Wer kannte ihn hier? Wer nannte ihn so vertraulich wie ein guter alter Freund bei seinem Namen, und wer sprach diesen unlieben Namen so freundlich und lieb aus, daß man es gar nicht für möglich halten sollte, in den steifen Namen des jüdischen Hohenpriesters so viel Wohlklang hinein zu legen? So hatte er das Wort noch von keinem Menschen sprechen gehört; so war es ihm wenigstens nicht mehr zu Gehör gekommen seit den frühesten Bubentagen, aus denen ihm auch nichts geblieben war, als eine anklingende und verklingende Erinnerung.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 549. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_549.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)