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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

oft blos einen, oft zwei oder drei Tage? Wäre es nicht wünschenswerth, einen Modus für ganz Deutschland zu haben? Kann man denn die Reglements aller Linien kennen und im Kopfe haben?

Eine einheitliche und administrative Leitung würde von dem Publicum mit Dankbarkeit angenommen werden, denn dann würde man bald wissen, was man für sein Geld fordern und worauf man bestehen kann. Wie die Verhältnisse augenblicklich liegen, gelten auf der einen Bahn diese, auf der andern jene Vorschriften, und über die Gründe, weshalb sie existiren, sucht man meist vergebens sich Aufschluß zu verschaffen.




Aus dem Beamtenleben.
Nr. 5. Der Bureaudiener.

Seit zwei Jahren fungirte ich bei der Reichstelegraphie und hatte eine Anstellung als Vorsteher der Station in S. Im Anfange war mir meine amtliche Thätigkeit außerordentlich interessant. Hat doch der Apparat etwas Wunderbares und Geheimnißvolles auch für Denjenigen, welcher in seinem Gebrauche nicht Laie ist. Die Buchstaben, welche die Station bezeichnen, ertönen, man wird also gerufen und Neugierde versüßt uns die Pflicht, denn man enträthselt nun aus den Punkten und Strichen des Papierstreifens, der langsam, aber sicher durch unsere Hände gleitet, Worte, die wohl oft Gleichgültiges, oft aber auch viel Glück oder Leid sagen. Als ich in S. zu arbeiten anfing, war ich noch ein solcher Neuling, daß ich nicht allein den Sinn der Worte zu erfassen trachtete, um sie richtig wieder geben zu können, sondern auch sogar Reflexionen über diesen Sinn anstellte. Ich ärgerte mich, wenn eine lange Depesche nichts Anderes wollte, als Blumenkohl bestellen, ich freute mich, wenn der Absender sagte: „Soeben dreitausend Thaler in der Lotterie gewonnen,“ oder „Examen glücklichst bestanden, benachrichtet meine Braut“; es betrübte mich, wenn ich las: „Arzt giebt keine Hoffnung mehr, komme gleich, wenn Du Mutter noch sehen willst.“ Da ich mir bald die Fertigkeit angeeignet hatte, aus dem Klappern einer durchgehenden Depesche im Apparate, die für eine andere Station bestimmt war, zu schließen, welche Punkte und Striche vorkamen, um daraus den Inhalt zu erkennen, horchte ich jedesmal auf und las die durchgehenden Telegramme mit. Jetzt ist mir der Dienst zum kritiklosen Geschäft geworden. Die Worte sind mir nur noch Worte, und wenn fremde Depeschen klappern, schalte ich zu. So stumpft die Gewohnheit ab. –

In jener Anfangszeit, es war die Blütheperiode des Gründerthums, saß ich eines Abends vor dem Tische und schlug in den erforderlichen Zwischenräumen auf den weißen Knopf des Apparates, um von der Nachbarstation zu erfahren, was sie in einem mir unverständlich gebliebenen Telegramm eigentlich hatte sagen wollen, als sich die Thür zum Bureauzimmer öffnete und ein untersetzter dicker kleiner Mann eintrat und auf mich zuschritt. Er hatte ein volles, rundes, ehrliches Gesicht mit einer jedoch merkwürdig spitzen Nase, ziemlich kurzes, blondes Haar und auf jeder Wange einen Anflug von röthlichem Barte, dabei ein Aussehen und eine Haltung, als ob er ein alter Beamter sei. Ich schickte mich an, ihn aus dem Bureau zu verweisen, als er mit leiser, freundlich klingender Stimme sagte:

„Entschuldigen Sie tausendmal, daß ich in diese verbotenen Räume dringe, ich wollte mir erlauben, Ihnen einige Worte vorzutragen.“

Was das zu bedeuten hat, ein paar Worte, die Jemand mit einem Beamten sprechen will, weiß jeder Angestellte. In der Regel ist es ein langer Salbader ohne bestimmten Antrag. Letzteren muß man sich mühsam herausklauben, und ich habe in meiner Praxis selten Jemand gefunden, der sich mit seinem Anliegen gleich an die richtige Stelle gewendet hätte. Hier war es aber anders. Nachdem ich das augenblickliche Geschäft beendet hatte, stellte sich heraus, daß der Fremde sich um eine Stelle als Bureaudiener bewerben wollte, die gerade frei und von uns zu vergeben war. Bisher hatte ich für den hohen Lohn von monatlich sechszehn Thalern noch Niemanden bekommen können und da kam mir der Fremdling gerade recht. Seine Papiere waren zwar etwas unvollständig und sonderbar, denn Herr Mehlmann, wie er sich nannte, besaß zwar den Civilversorgungsschein, aber diesen hatte er erst erhalten, nachdem er von seiner militärischen Laufbahn die eines Reisenden, Auctionators und sogar Küsters durchgemacht hatte. Befragt, ob er irgend etwas vom Telegraphiren verstehe, wenigstens soviel, daß er mir dabei behülflich sein könne, den Apparat und die Batterie in Ordnung zu halten, erklärte er, daß er davon leider nicht das Mindeste verstehe und nur dadurch Dienste leisten könne, daß er die Stuben in Ordnung halte und die Depeschen austrage. Ich mußte damit zufrieden sein und nahm ihn auf eine Probezeit von drei Monaten an.

Herr Mehlmann war ein geschickter Mensch. Nach kurzer Zeit wußte er nicht allein ganz genau, wann die Batterie erschöpft, das Gewicht mangelhaft eingehängt und der Papierstreifen zu Ende war, sondern er horchte auch auf, wann die Station gerufen wurde, und benachrichtigte mich. Ja, er ließ sich die Sache so angelegen sein, daß er alte reponirte Papierstreifen studirte, um, wie er sagte, auch hinter dieses Teufelsding zu kommen. Es machte ihm auch ein besonderes Vergnügen zuzuhören, wenn der Apparat bei fremden Depeschen mitklapperte. „Ich gäbe hundert Thaler darum,“ sagte er, „wenn ich wüßte, was sich die da mitzutheilen habe.“ Nur Eins war merkwürdig an ihm, nämlich der Umstand, daß er außerordentlich viel Formulare verbrauchte. Jeden Augenblick kam er mit einer Bestellung von so und so viel Depeschenformularen von diesem oder jenem Banquier und brachte die Papiere entweder selbst fort oder schickte sie fort. Ferner entfernte er sich ungern in den Stunden nach Tisch vom Bureau, er könne das Gehen nach dem Essen nicht vertragen, sagte er. Und dann war mir noch etwas Anderes aufgefallen: Der Banquier Salomon Löwenherz war ein Gründer ersten Ranges. Bezüglich seiner moralischen Eigenschaften nicht im besten Rufe stehend, besaß er doch vor anderen Sterblichen in Folge seiner Speculationen den Vorzug, enorm reich zu sein. Mit dem Reichthume war er auch vornehm geworden, und er suchte stets die beste Gesellschaft, obwohl ihm dies viel Mühe kostete und manche Zurückweisung einbrachte. Wer beschreibt mein Erstaunen, als ich eines Tages auf einem weiten Spaziergange an dem einsamen Kruge zum „Grünen Baum“ vorbeikomme und durch das Fester meinen Freund Salomon erblicke, wie er gerade, hinter einer Flasche Wein in der Stube sitzend, Herrn Mehlmann neben ihm den rechten Arm um den Nacken legt, ihm einschenkt und dabei Etwas in das Ohr zischelt! Wie ich eintrat, waren Beide verschwunden. Ich fragte den Wirth, was das für Herren gewesen seien, worauf er erwiderte, sie kämen hier öfter zusammen.

Am anderen Tage erzählte der Bureaudiener ungefragt, er habe in Löwenherz einen alten Mitschüler gefunden, von dem er das Gründen lernen wollte. Seit der Zeit sah ich ihm scharf auf die Finger, dies hatte aber nur zur Folge, daß ich mich über den Eifer, mit dem er alle seine Obliegenheiten erfüllte, und seine Beflissenheit, stets im Bureau zu meinen Diensten gegenwärtig zu sein, freuen mußte.

Eines Abends im Januar saß ich vergnügt hinter dem Biertische in meiner Stammkneipe, als sich mir ein Fremder vorstellen ließ, der sich Gutsbesitzer Thüring aus Salzwedel nannte. Dem Mann war offenbar viel daran gelegen, mit mir im Gespräche zu bleiben, und er hielt mich aus, bis fast alle Gäste fortgegangen waren. Er wurde mir aber bald entsetzlich langweilig, denn er sprach von Nichts als Schafen, Mähmaschinen, Pferdekrankheiten und seinem Mangel an Knechten. Ich gab ihm schließlich nicht undeutlich zu verstehen, daß diese Themata für mich ohne Interesse wären, weil ich kein Landwirth sei. Da sagte er mit einem satirischen Lächeln halblaut „Ich auch nicht – erlauben Sie mir, daß ich mich Ihnen nochmals vorstelle: Ich bin der Criminalcomnissar Poche, begriffen auf einer Dienstreise, und möchte gern zu Ihnen, dem Beamten, reden. Brachmeier ist wieder los!“

Man kann sich denken, wie sehr ich über diese plötzliche

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 669. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_669.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)