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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Helene.
Tagebuchblätter aus dem russischen Salonleben.
(Fortsetzung.)


Die Gebieterin des Hauses hatte schon zu wiederholten Malen unruhige Blicke nach dem Eingange zum Salon geworfen.

Wenn die Gäste etwas merkten! Ein Scandal in ihren Salons, in denen eben die vornehme Gesellschaft von Woronesch sich versammelte! Sie bebte vor Aerger bei diesem Gedanken, und doch regte sich in ihr die Neugier. Sie hätte gar zu gerne den Zusammenhang der tollen Scene ergründet.

„Mein Herr,“ wendete sie sich an Hirschfeldt, „zu gelegenerer Stunde werde ich Rechenschaft von Ihnen fordern über die unheilvolle Verwirrung, zu deren Schauplatz Sie unpassender Weise meine Zimmer auserlesen haben.“

Der Angeredete ließ sich durch den hochfahrenden Ton dieser Worte keineswegs einschüchtern. „Gnädige Frau sehen mich ebenso erstaunt, wie Sie selber sind,“ lautete seine Erwiderung. „Ich bin hier in einer Weise angegriffen worden, deren Grund mir durchaus unerklärlich ist.“

Madame Branikow heftete mit einem mir sehr bekannten, unheilverkündenden Zusammenkneifen der Lippen ihre Blicke ironisch auf den Sprechenden. Ich wußte, daß sie im nächsten Augenblicke ihm eine Bosheit sagen würde oder gar eine Beleidigung, die ihm das Bleiben in ihrem Hause zur Unmöglichkeit machte.

„Madame,“ nahm ich daher, rasch vortretend und indem ich meine Uhr herauszog, das Wort, „um neun Uhr hat die Frau Gouverneurin ihr Eintreffen in Aussicht gestellt, und es sind bereits fünf Minuten nach Neun.“

„Ah, es ist wahr,“ rief Zenaïde Petrowna, „ich vergaß, daß ich Ihnen auftragen wollte, noch einmal diese faulen Schlingel von Bedienten anzutreiben, damit Alle an ihrem Platze sind. Kommen Sie rasch, Mademoiselle Helene! Mein Gott, vielleicht ist schon der rechte Augenblick versäumt.“

Die Dame schritt mir eilend voran, und während sie ihren nachlässig herabgeglittenen schwarzen Spitzenshawl zurecht zog und die lange Schleppe ihres weißen Caschmirkleides majestätisch über den Teppich gleiten ließ, fand ich gerade Zeit genug, durch einen rasch zurückgeworfenen Blick mich zu überzeugen, daß Olga noch schluchzend wie eine Unsinnige auf dem Divan lag und Hirschfeldt mit langen Schritten und wüthenden Blicken in dem Boudoir auf- und abwanderte.

Der wichtige Augenblick war Gott sei Dank noch nicht versäumt, da meine Uhr möglicher Weise ein wenig vorging. Die Gouverneurin machte ihr Entrée mit sehr vielem Geräusch, sehr vielem Aufwand an bauschender Seide und blitzenden Steinen und wurde mit unbeschreiblicher Würde von Madame Branikow empfangen. Letztere, als sie die beiden vornehmsten Damen der Stadt, die Generalin Adrianoff und die Gouverneurin, neben einander in ihrem Salon erblickte, schwamm in einem Meere befriedigten Ehrgeizes. Sie vergaß, wenigstens für den Augenblick, den eben erlebten Zwischenfall, durch den ich mich noch immer in eine Art von Betäubung versetzt fühlte. Ich traf meine Anordnungen mechanisch wie im Traume und würde mich nicht gewundert haben, wenn mir dabei Alles wirr durcheinander gegangen wäre.

Wéra entdeckte ich wirklich inmitten der Gesellschaft; sie kehrte anscheinend heiter vom Tanze zurück, ihr süßes, liebliches Lächeln auf den Lippen. Verwirrt fragte ich mich, indem ich mir ihr trostloses Gesicht von vorhin vergegenwärtigte: „Ist denn Alles Schein und Verstellung auf diesen trügerischen Parquets?“ Zugleich mußte ich immer von Neuem die Gewalt bewundern, welche Hirschfeldt’s Wille über sie, wie über die meisten Personen, mit denen er in nähere Berührung kommt, ausübt, und wie schon oft legte ich in meinem Herzen auch jetzt das Gelübde ab, die Freiheit des meinigen ihm gegenüber wenigstens zu bewahren.

Auch er hatte sich wieder unter die Gäste gemischt und suchte mich sobald wie möglich auf, obgleich ich mir Mühe gab, ihm auszuweichen. Ich wappnete mich mit einer Erbitterung, wie ich sie noch nie gegen ihn empfunden, und als er dann mit einmal vor mir stand, mich freundlich anblickte und ganz einfach sagte: „Haben Sie jemals einen größeren Thoren gesehen, als mich? Ich weiß, daß Sie mir zürnen, und Sie haben vollkommen Recht,“ da fühlte ich den Unmuth in mir hinschmelzen, wie Märzschnee im Sonnenscheine, aber ich hütete mich doch, meine reservirte Haltung aufzugeben, und beobachtete ein kühles Schweigen.

„Es ist eine verteufelte Geschichte,“ fuhr der Capellmeister fort, „und ich habe gründlich meine Strafe dafür bekommen, daß ich neulich Ihre Warnung mißachtete. Glauben Sie, Fräulein Helene, daß Wéra geplaudert hat?“

„Sicher,“ erwiderte ich. „Wodurch ließe sich sonst das Benehmen der Gouvernante erklären?“

„Verwünscht!“ Hirschfeldt stieß mit Energie das eine Wort zwischen den Zähnen hervor und schwieg dann nachdenklich.

Wir wanderten an der Seite des Musiksaales, von den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 681. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_681.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)