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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Helene.
Tagebuchblätter aus dem russischen Salonleben.
(Fortsetzung.)


Den 29. December.

Unser Ball ist brillant ausgefallen, obgleich die Gäste sich erst spät versammelten und zum Theile in etwas erregter Stimmung, denn eine bedeutende Feuersbrunst hatte während des Tages die Stadt in Schrecken gesetzt und die Gemüther in Spannung erhalten. Mehrere der großen, neben den Kasernen befindlichen Magazine sind plötzlich ein Raub der Flammen geworden, ohne daß man bis jetzt auch nur irgend glaubwürdige Vermuthungen über die Entstehung des Feuers hegen konnte, dem die angehäuften Stroh- und Heumassen eine reißend schnelle Verbreitung gaben.

Es war eine wenig angenehme Vorbedeutung für unser Fest, als mit lautem Schellenläuten und Wagengerassel die Feuerwehr durch unsere Straße stürmte, als der frostkalte Himmel in rother Gluth aufleuchtete und von allen Seiten Geschrei und Rennen des Volkes sich hörbar machte. Da indessen später die Kunde sich verbreitete, daß man des Feuers Herr geworden und daß kein Privateigenthum zerstört sei, beruhigte sich Jedermann. Unserer Soirée sollte sogar die erregte Stimmung der Gäste zum Vortheile gereichen, da von vornherein ein Unterhaltungsstoff geboten war, der Alle lebhaft beschäftigte und keine Langeweile aufkommen ließ.

Beim Eintritte in den heute für den Ball gleichsam zu einem grünen Garten umgeschaffenen Musiksaal entlockte der in voller Pracht strahlende Tannenbaum der Gesellschaft ein einstimmiges „Ah!“ der Ueberraschung und des Entzückens. Man fand den Einfall charmant, unsere Gebieterin erntete von allen Seiten Complimente dafür, und ich wurde so viel gefragt, mußte immer wieder von unserer deutschen Weise, Weihnachten zu feiern, erzählen, daß mir am Ende der Kopf brannte und ich mit Vergnügen für eine kurze Zeit mich zurückzog, um unserem Volke von Dienern einige Aufmerksamkeit zu schenken, damit es seine Pflicht thue und es im Saale nicht an Erfrischungen mangeln lasse. Madame ist auch in diesem Punkte das Muster naiver, nie dagewesener Trägheit. Sie hat es allmählich so ganz wie von selbst einzuleiten gewußt, daß die Oberaufsicht des Hauswesens von ihr auf mich übergegangen ist, und wenn ich sie vorher um die Einrichtung zu dieser oder jener Festlichkeit fragen will, so antwortet sie mir in der Regel: „Aber, Mademoiselle Helene, verschonen Sie mich! Sehen Sie denn nicht, daß ich die entsetzlichste Migräne habe? Bestimmen Sie Alles! Dann weiß ich, daß es wunderschön wird. Sagen Sie dem Koch, wenn er mir auch nur ein einziges verdorbenes Gericht auf den Tisch liefert, so wird Iwan Alexandrowitsch mit dem Gouverneur sprechen, damit er in’s Regiment, wohin er eigentlich gehört, zurückgeschickt und nach dem Kaukasus commandirt wird. Und dem Buffetschik drohen Sie, ich werde ihn, wenn er sich noch einmal wieder betrinkt, anstatt auf seinen Dienst zu passen, prügeln und fortjagen lassen.“

Die Warnungen halfen, wie denn überhaupt in der Regel Alles am Schnürchen geht, nur die aufwartenden Diener müssen mitunter die Nähe eines wachsamen Auges empfinden, damit sie nicht unverschämter Weise zu viele der feinsten Delicatessen in ihre Taschen verschwinden lassen.

Als ich nach dieser kleinen Zwischenpause, die mir, wie gesagt, nicht unerwünscht war, in den Saal zurückkehrte, begegnete mir sogleich am Eingange mein alter Gönner und Freund Bessedofski, der sich meiner mit Vergnügen bemächtigte, um mir mitzutheilen, daß die große, längst schmerzlich von ihm erwartete Spielorgel aus Paris angekommen sei. Der alte Herr liebt nämlich, wie sehr viele Russen, die Musik so leidenschaftlich, daß er sie schon Morgens früh, ja zu allen Zeiten des Tages und selbst in der Nacht, wenn er nicht schlafen kann, hören möchte. Da er nun aber nicht reich genug ist, sich auf seinem einige Werst von Woronesch entfernten Landsitze eine Capelle zu halten, hat er sich die Riesenorgel kommen lassen, die ihm ein ganzes Orchester ersetzen soll. Er ist entzückt davon und sagte mir, ich müsse ihn nächstens besuchen, um sie zu hören.

„Aber mein Gott, Fräulein Helene, warum tanzen Sie denn nicht?“ unterbrach er dann plötzlich selbst seinen Redestrom, als er bemerkt hatte, daß ich mehrmals die Aufforderung dazu ablehnte, „ich bin mit meinem Geschwätze doch nicht etwa schuld daran?“

„O nein, Herr Bessedofski, ich tanze nie,“ erwiderte ich ihm lächelnd.

„Nie? Aber warum denn nicht?“

„Weil es mir kein Vergnügen macht.“

„Ei, ei, Fräulein Helene!“ der alte Herr warf mir unter seinen buschigen weißen Brauen hervor einen listig heitern Blick zu, „wissen Sie denn nicht, daß diese Behauptung ein wenig Anmaßung verräth, oder die Vorbedeutung, daß Sie sich im nächsten Jahre verheirathen werden?“

Ich schüttelte den Kopf und sagte kühl ablehnend: „Verheirathen? Es ist noch sehr die Frage, ob ich mich dazu jemals bereitwilliger finden lassen werde, als zum Tanzen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 697. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_697.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)