Seite:Die Gartenlaube (1875) 726.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


machen sollte, sich zu ergeben oder das Handwerk zu quittiren, sie ihn tödten, in Stücke zerhauen und dergestalt in einem Sacke den Behörden zuschicken würde.

Ueber Cedrone cursiren noch jetzt eine Menge von Geschichten. Die nachfolgende wird darthun, welcher Art sie sind.

Eines Abends schritt ein Bauer, Namens Francesco Modano, durch ein südwestlich von Viticuso gelegenes Gehölz, seiner Hütte zu, einige Schweine, seine ganze Habe, vor sich hertreibend, als er sich plötzlich von etwa zwanzig Männern umringt sah. Sie waren mit Flinten, Revolvern und langen Einschlagmessern bewaffnet und gehörten zu Fuoco’s Bande, wurden indeß von Cedrone angeführt. Francesco war einer von den Italianissimi; er hatte sich 1860 Garibaldi angeschlossen und später kleine Scharfschützenabtheilungen auf nur dem Holzfäller und Räuber bekannten Fußpfaden aus dem Bereiche der die Gegend durchstreifenden „reactionären Banden“ geführt.

Das war natürlich kein Verdienst in den Augen der Briganten, die – man vergesse das nicht – fast immer mehr oder weniger im Dienste der neapolitanischen Royalisten standen. Er erblaßte daher, als er sich jählings Cedrone gegenüber sah.

„Warst Du es, der die Scharfschützen geführt hat?“ fragte ihn der Letztere kalt.

„Ich verstehe Sie nicht,“ stammelte er, bemüht, die ihm drohende Gefahr von sich abzulenken.

„Ich werde Dich gleich lehren mich zu verstehen,“ sagte Cedrone, indem er Francesco mit dem Gewehrkolben heftig wider die Brust stieß.

Mit einem Schmerzensgebrülle fiel er zu Boden, während ihm das Blut aus dem Munde strömte.

Die Briganten hoben ihn auf und banden ihn an einen Baum. Darauf stach ihm Cedrone mit seinem Messer die Augen aus, schnitt ihm die Ohren ab, riß ihm die Zunge aus und ließ ihn noch andere grausame Martern ausstehen, bis der Unglückliche ausgeröchelt hatte. –

Man schaudert, wenn man von dergleichen Scheußlichkeiten liest, und ist geneigt, sie für Gebilde einer ausschweifenden Phantasie zu halten, wären nicht alle diese Unthaten actenmäßig und durch das eigene Geständniß ihrer Urheber erwiesen. Uebrigens verfährt der Räuber gegen seine eigenen Genossen gelegentlich nicht viel glimpflicher. Unheilbare Kranke seiner Bande schießt er ohne Weiteres nieder, ebenso tödtet er seine im Kampfe mit Gensdarmen und Soldaten verwundeten Cameraden, um ihrer Pflege überhoben zu sein. Meist schneidet er ihnen kurzweg den Kopf ab. Auf diese Weise verhindert er zugleich, daß der Blessirte in die Hände des Feindes geräth und vielleicht für die Bande gefährliche Geständnisse macht.

Bücher ließen sich schreiben über die Barbarei, mit welcher die Briganten ihre Gefangenen behandeln, wenn ihnen das Lösegeld nicht so schnell und reichlich zukommt, wie sie es erwartet haben. So erzählte unserm Gewährsmann ein vor einigen Jahren von Dominicuccio (so pflegte das Volk den Domenico de Vitto zu nennen) gefangener Pächter aus der römischen Campagna über seinen gezwungenen Aufenthalt bei dem berüchtigten Räuberhauptmann das Folgende: Er hatte die Bande auf allen ihren Raubzügen begleiten müssen; ging er den Gesellen zu langsam, so ward er auf das Unbarmherzigste mit den Flintenkolben bearbeitet, und da seine Familie nicht im Stande gewesen war, zur verlangten Stunde das geforderte Lösegeld zu schicken, so schnitt man ihm ohne Umstände eines seiner Ohren ab, band ihm Hände und Füße zusammen und ergötzte sich damit, ihn von der Höhe des Berges hinab zu rollen, auf dessen Gipfel die Gesellschaft lagerte. Brachten die Bauern und sonstigen Helfershelfer der Räuber Lebensmittel und Munition, so wurde ihm der Kopf mit einem Sacke verhüllt und er dann an einen weiter abgelegenen Ort geschafft, damit er diese Lieferanten nicht sehen und etwa später denunciren könnte.

Das Alles gleicht freilich den edlen Briganten recht wenig, die wir in Romanen und Schauspielen kennen lernen, wenn gleich einzelne Züge von Galanterie und Ritterlichkeit unter den italienischen Räubern wohl vorgekommen sein mögen und gelegentlich noch vorkommen. Dergleichen Banditengentlemen sind in den Apenninen wie in den Abruzzen immer jedoch höchst seltene Ausnahmen und die meisten Geschichten, die erzählt werden, eitel poetische Erfindungen.

Einen Hauptherd fand das Räuberthum in dem Bergreviere von Frosinone, einer im südlichen Kirchenstaate, unweit der neapolitanischen Grenze, höchst malerisch gelegenen Provinzialhauptstadt mit ungefähr zehntausend Einwohnern. Dort hatte es solche Dimensionen angenommen, daß im Jahre 1867 an den apostolischen Delegaten der Provinz, Monsignor Pericoli, ein im Vatican berathenes strenges Edict dagegen erlassen worden war, das jedoch gleichzeitig bekundete, welcher Mittel sich der päpstliche Stuhl bedienen mußte, Mittel die wahrhaftig nicht dazu angethan waren, die öffentliche Moral zu heben. In diesem Erlasse hieß es unter Anderm: „Wer einen Briganten lebendig der Behörde überliefert, erhält eine Belohnung von dreitausend Franken. Ist der Brigant ein Bandenhauptmann, so steigt die Belohnung auf sechstausend Franken. Wer einen Räuber tödtet, empfängt einen Preis von zweitausendfünfhundert Franken, das Doppelte dieser Summe aber, wenn der getödtete Räuber ein Bandenhauptmann ist. Wer Briganten denuncirt, dem wird der fünfte Theil der angegebenen Belohnungen zugesichert, und wer zur Verhaftung eines Anhängers des Räuberwesens verhilft, empfängt zwei- bis dreihundert Franken. Der Räuber, welcher todt oder lebend einen andern Räuber einliefert, ist selbst nicht nur frei von jeder Strafe, sondern erhält überdies noch eine Belohnung von fünfhundert Franken. War der lebendig oder todt eingebrachte Räuber ein Hauptmann, so werden dem Einbringer tausend Franken bezahlt. Doch muß der Räuber, der einen seiner Cameraden der Gerechtigkeit überantwortet, sich aus den Provinzen Frosinone und Velletri, unter Umständen selbst aus dem ganzen Staatsgebiete entfernen.“

Was aber bewirkte dieses Edict? Es that dem Räuberthum so wenig Abbruch, daß die Bewohner der von demselben heimgesuchten Provinzen ihren Beschluß kundgaben, keinen Bajocco (etwa 4 bis 5 Pfennige) Steuer mehr zu bezahlen, solange die Regierung ihnen nicht Sicherheit an Leben und Eigenthum verschaffe. Und die Herren Briganten selbst? Sie antworteten auf die bezüglichen Paragraphen des Edictes mit der Erklärung, daß sie Jedem hundert Piaster in Gold auszahlen würden, der ihnen den Kopf eines Soldaten brächte, und zweihundert Dem, welcher ihnen todt oder lebendig einen Officier oder ein Individuum überlieferte, das sie denuncirt hätte. Von der Ohnmacht der Regierung ihnen gegenüber überzeugt, streiften sie ungescheut auf allen Landstraßen umher und wagten sich bis an die Thore; auch der größeren Orte, mit ganz der nämlichen Ruhe, mit welcher der römische Bürger auf dem Monte Pincio lustwandelt. Und alle Welt gehorchte ihnen; alle Welt zitterte vor ihnen – sie waren faktisch die Herren des Landes.

Einmal begab sich eine Bauersfrau in der Gesellschaft eines alten Priesters von Veroli nach Frosinone, um von hier mit der Eisenbahn nach Rom zu fahren. Sie saßen auf einem von einem Esel gezogenen Karren und unterhielten sich ganz gemüthlich mit einander. Da sahen sie, als sie in einen Hohlweg einbogen, drei Räuber lauern.

„Euch schickt uns die Madonna,“ rief einer der Strolche aus. „Fürchtet Euch nicht, steigt ab und folgt uns!“

Die Unglücklichen thaten, wie ihnen befohlen ward. Nach einer dreistündigen Wanderung durch dichten Bergwald gelangten sie auf eine kleine Hochfläche, die auf der einen Seite von einem Felsen überragt wurde, aus dem man eine Grotte ausgehöhlt hatte.

Die Flinten zwischen den Knieen, lagerten hier an dreißig Banditen, aus der Grotte heraus aber drang das Wimmern eines neugeborenen Kindes.

Sowie die drei Cameraden mit Priester und Bäuerin erschienen, erhob sich der Hauptmann mit sichtlicher Freude und schritt auf den Geistlichen zu.

„Mein Vater,“ sagte er zu ihm, „ich schätze mich glücklich, Sie bei uns zu sehen. Meine Frau hat mir vor ein paar Stunden einen Jungen geboren, und ich will, daß er in die Gemeinde der Christenheit aufgenommen wird. Taufen Sie ihn!“

Ungewiß des seiner harrenden Looses, ließ sich der alte Priester zitternd das Kind bringen; man gab es der Bauersfrau zu halten, welche die Taufzeugin abgeben sollte. Neben ihr fungirte der Vicehauptmann als Pathe.

Der Priester vollzog die Ceremonie. Sowie er dieselbe beendet hatte, reichte ihm der Hauptmann einen Geldbeutel dar.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 726. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_726.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)