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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Innern nun freilich, wenn auch viel kleiner, doch um nichts wohnlicher und komfortabler eingerichtet war, wie nach der Schilderung des wunderlichen Fremden im vorigen Capitel der alte Fürstensitz zu Idar es sein mußte. Und auch sonst boten die Verhältnisse der beiden Häuser manche Vergleichspunkte dar, was in einer Zeit, wo der Krieg und der fremde Eroberer Deutschland ruinirten und aussaugten und namentlich den Grundeigner zum unglücklichsten aller Sterblichen machten, allerdings sehr begreiflich war. Das Besondere und Auffallende war nur, daß der Edelhof von Wilstorp, so nahe der Fürstenburg von Idar, nicht längst wie ein Habichtsnest von dem Adler zerstört worden war, den der Fürst, wie alle sich zu dem Blute Widukind’s rechnenden Geschlechter, im Wappen führte. Duldeten doch sonst die kleinen Fürstlichkeiten in ihren Ländlein keine Rittersitze mehr, seitdem sie der darauf wohnenden Vasallen nicht mehr zu ihren Fehdehelfern bedurften. Seitdem, seit langen Jahren schon, hatten sie auf jegliche Weise den Kindern und Enkeln des Mohren, der seine Schuldigkeit gethan, angedeutet, daß sie gehen könnten, suchten ihre Güter zu ihren Domänen zu schlagen, und beuteten ihr Jagdgebiet, ohne Concurrenz solcher Junkerschaft, lieber für sich allein aus. Schloß Wilstorp aber war ein alter Ansitz, der in früheren Zeiten nicht ein Burgmannshof des Fürsten gewesen und der auch nicht beim Thurm von Idar zu Lehn ging und deshalb nicht als verfallenes Lehn hatte aus der Welt geschafft werden können. Auch durch Kauf konnte der Uebelstand nicht beseitigt werden, da die Familie, welche auf dem Schlosse saß, durch Fideicommiß und andere Feudalbande daran gefesselt war. Sie gehörte nämlich dem Schloß Wilstorp, wie der wunderliche Fremde es ausdrückte, und wurde von ihm nicht losgelassen.

Nicht losgelassen! Das hatte in der letzten Zeit nun sehr schwer auf der Familie gelastet, die oben in dem schönen Waldschlosse wohnte. Aus einer nicht weit entfernten Stadt, wo Herr von Mansdorf die Verwaltung einer geistlichen Stiftung geführt hatte, waren sie gekommen, diese Leute, der gutmüthige, wohlhäbig aussehende Herr, der keinen Tropfen bösen Blutes in sich hatte, er müßte ihm denn durch die Giftmischerei der Weinhändler aus den vielen Flaschen gekommen sein, die er den Tag über zum Zeitvertreib zu leeren pflegte, die hohe, magere, störrische Dame mit ihrer gebieterischen Adlernase und die zwei jungen Damen, von denen die ältere von großer Schönheit und des Vaters Liebling und größte Lebensfreude war und die jüngere, magere, scharf dreinschauende, mit ihrem Fürwitz den Lauf des täglichen Lebens und die Haushaltsvorgänge auf Wilstorp weit mehr als es den Dienstboten bequem war, controllirte. Sie waren als die Erben eines entfernten Verwandten, eines alten Junggesellen, in den Besitz der romantischen Ritterburg gekommen, aber diese Burg war auch etwas wie die Höhle des Löwen geworden, aus der keine Fußstapfen zurückführen. Es war das eine drückende Lage, unter der Frau von Mansdorf moralisch am meisten litt, weil sie sah, daß ihr Gatte in dieser beschäftigungslosen Einsamkeit nach und nach unrettbar dem Trunke verfallen würde, und ihre Tochter Adelheid physisch, weil sie hier ihre blühende Gesundheit einbüßte. Sie litt nämlich an einer Brustaffection, die, wie der Arzt erklärte, nur durch einen Aufenthalt im Süden geheilt werden könne. Wie aber die Dinge lagen, war an einen Aufenthalt im Süden, an einen Ortswechsel auf längere Zeit nicht zu denken.

Die Familie Mansdorf war nämlich nicht die einzige Eigenthümerin von Wilstorp; es gab einen dem letzten Besitzer ganz ebenso nahen Verwandten in der Welt und dieser war mit den Mansdorfs „zu gesammter Hand“ belehnt. Die letzteren hatten deshalb nirgends unbeschränkte Dispositionsbefugnisse, wo sie nicht den mitbelehnten Agnaten herbeibrachten und seine Einwilligung aussprechen ließen, und so war ein Flüssigmachen von Geldern, um eine längere Reise zu machen, um nur in einer größeren Stadt in Deutschland zu leben, für sie eine Unmöglichkeit. Es bedurfte dazu des unglückseligen Agnaten, und dieser war verschollen, war durch keine Mittel, keine Erkundigungen, keine Aufrufe in den Zeitungen zu entdecken gewesen; vielleicht war er längst todt und begraben. Aber wenn das der Fall, so streckte er auf höchst dämonische Weise aus seinem unbekannten Grabe eine gespenstische Faust heraus, die sich auf jedes Rechtsgeschäft legte, welches Herr von Mansdorf irgend hätte vornehmen können.

Wie hatte man sich gequält mit dem Nachforschen nach diesem Manne, der nicht anders als Ulrich Gerhard von Uffeln hieß! In wie vielen Blättern der damals freilich sehr gering entwickelten Journalistik war nicht Ulrich Gerhard von Uffeln gesucht worden! Wie viele Abende hindurch hatte Herr von Mansdorf mit einem Notar aus Idar, der zugleich als Justitiar die Patrimoniatsgerichtsbarkeit des Hauses Wilstorp verwaltete, allein darüber gesprochen, wie man es zu einer Todeserklärung des besagten Ulrich Gerhard von Uffeln bringen könne, der sicherlich – man wußte ja, daß er in Kriegsdienste gegangen – irgendwo in fremder Erde modere und nur hier in dem alten Edelhofe noch wie ein Gespenst lebendig sei, das die Lebenden in Verzweiflung bringe! Wie oft hatte man berathen, ob man sich nicht die gerichtliche Bevollmächtigung verschaffen könne, frei zu handeln und gültig zu disponiren, wenn man eine Bürgschaft bestelle, daß man den nicht zu Fassenden, nicht zu Erreichenden, wenn er wirklich einst aus dem Nebel seiner geheimnißumkleideten Existenz auftauchen sollte, entschädigen wolle für alles während seiner Abwesenheit ohne ihn Vorgenommene und Geschehene! Auch das war unausführbar. Man hatte nicht die Mittel, solche Bürgschaft zu stellen. Man war ohnehin schon nur mit Schwierigkeit ohne solche Bürgschaft für die abwesenden Mitbelehnten vom Gerichte in den Besitz eingelassen worden.

So standen die Dinge auf Wilstorp, und zu dem Drucke, den hier der Name Ulrich Gerhard von Uffeln auf das Herz jedes Einzelnen legte, war noch der allgemeine Druck der Spannung um die immer näher herantretende Entscheidung auf dem großen Kriegstheater getreten, denn man war im Spätsommer des Jahres 1813, und obwohl man kaum sich rückhaltslos der Hoffnung hinzugeben wagte, daß es den alliirten Mächten gelingen werde, die eiserne Herrschaft des die Welt maltraitirenden Soldatenkaisers zu sprengen und ihn aus Deutschland wenigstens hinauszuschlagen, hatten doch die Nachrichten von der Schlacht bei Großbeeren und an der Katzbach die Möglichkeit, daß es gelingen könne, gezeigt. Es war endlich etwas von einer Erregung und Gährung in das seine politischen Schicksale sonst so apathisch und lammesfromm hinnehmende Land gekommen – ja, man munkelte etwas von Vorbereitungen, die im Stillen getroffen würden, den Alliirten, wenn ihre Heere herankämen, thätliche Unterstützung zu leisten, und dunkle Gerüchte gingen um von geheimen Verbindungen, die thätig seien, Waffen zu den Depôtplätzen zusammenzubringen; das Wort „Tugendbund“ war aufgetaucht und hatte destomehr Eindruck gemacht, je weniger man wußte, welche Vorstellung man damit verbinden solle.

Eines Abends nun hatte Herr von Mansdorf in einem der hübschen Winkel unter dem Epheudache vor seiner Ritterburg gesessen, mit seinem breiten Rücken fast die ganze Breite der Mauer zwischen den vorspringenden zwei Thürmen ausfüllend; um ihn her befanden sich seine Getreuen; zunächst vor ihm stand auf dem alten Eichenholztische der schöne, alterthümliche und weitbauchige Krug, seines stillen, ländlichen Daseins Lieblingsgefährte; auf der Bank zur Rechten saßen die gestrenge Hausfrau und die älteste Tochter, links ihnen gegenüber Herr Plümer, der Notar und Justitiar, und neben ihm Herr Runkelstein, der fürstliche Oberförster, der eine halbe Stunde von Wilstorp seinen Amtssitz in einem alten Jagdhause hatte. Die Hausfrau strickte an einer wollenen Socke; das Fräulein beugte das zarte, leisgeröthete Oval ihres gutmüthigen Gesichts über ein Zeitungsblatt, aus dem sie eine Nachricht vorgelesen – natürlich berichteten die unter strenger Censur stehenden Blätter nur von französischen Siegen – und die Herren dampften aus irdenen Pfeifen einen ganz abscheulich riechenden Tabak, wie ihn eben die unter dem Gebote der Continentalsperre stehende Menschheit zu rauchen gelernt hatte, um dabei zu vergessen, daß sie statt des Kaffees Cichorienwasser trinken und dieses statt mit Zucker mit Honig versüßen mußte.

„Was soll man nun davon halten?“ sagte der Hausherr, nachdem eine lange Pause erfolgt war, in der jeder der Anwesenden die eben gelesene Zeitungsnachricht in seinem Herzen überdacht zu haben schien. „Was soll man davon halten? Sie schreiben immer nur von ihren Siegen, und doch hat der Rentmeister

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 766. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_766.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)