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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


mir gesagt, daß Preußen durch Idar marschiren würden, ein Bataillon nach dem andern, und daß dies noch geschehen würde, ehe das Jahr zu Ende.“

„Sollte mich freuen,“ fiel der Justitiar, ein kleiner gelber Herr, mit skeptischem Lächeln ein, „sollte mich freuen, obzwar dem Herrn Rentmeister mit seinen Vorgeschichten doch nicht allerwegen zu trauen ist.“

„Herr Justitiar, nicht zu trauen?“ sagte jetzt die Hausfrau. „Bitte, sagen Sie das nicht. Der Rentmeister hat uns wunderliche Dinge vorausgesagt, und sie sind bis auf’s Haar eingetroffen, meist bis auf’s Haar!“

„Nehmen Sie’s nicht ungnädig, gnädige Frau – aber viele sind doch nicht eingetroffen.“

„Viele? Daß ich nicht wüßte,“ entgegnete die gnädige Frau. „Und was verschlägt das? Wenn er etwas sieht – und nachher trifft es nicht ein – ich denke nicht, daß es dann seine Schuld ist. Wir stehen Alle in Gottes Hand, und wenn er einen Leichenzug sieht oder eine Feuersbrunst, und sie ereignen sich später nicht in der Wirklichkeit, so beweist das nicht, daß andere Ereignisse, die er sieht, auch nicht eintreten werden. Und das thun doch die meisten, wie’s der Herr Justitiar wissen müssen.“

„Freilich, freilich,“ sagte der Herr Justitiar ein wenig spöttisch und eine Wolke Dampfes ausstoßend, „obzwar mich diese Ansicht der Sache zu dem Glauben bringen könnte, daß das Sehen von Vorgeschichten ein leichteres Ding ist, als wofür es gemeiniglich gehalten wird.“

„Ah, Plümer, Sie sind ein schlechter Christ,“ versetzte die gestrenge Rittersfrau.

„Ich wollte,“ rief jetzt Herr von Mansdorf, seine wuchtige Faust schwer auf den Tisch legend, aus, „der Rentmeister säh’ einmal als Vorgeschichte diesen vermaledeiten Ulrich Gerhard von Uffeln in diese alten Thürme einziehen.“

„Ist das nicht eben auch ein Beweis für die Sache?“ entgegnete Frau von Mansdorf. „Er sieht ihn nicht – und deshalb kommt er auch nicht.“

„Was denken Sie über die Sache, Fräulein?“ wandte sich jetzt der Oberförster an sein Gegenüber.

„Ich?“ versetzte das Burgfräulein mit einem schlauen Lächeln zu dem Oberförster aufschauend. „Ich weiß nicht, welche unheimliche und schreckhafte Dinge der Rentmeister voraussieht, aber wohl, daß ich etwas Schreckhaftes und Unheimliches sehe, wenn er plötzlich vor mir steht, die lange dürre Gestalt mit den hohen Brauen und glänzenden Augen; man meint, man sähe Kirchenfenster, in die der Mond scheint.“

Der Oberförster lächelte; dann, nachdem er sich geräuspert, fuhr er nachdenksam fort: „Möchte ihn wohl einmal ein wenig auf die Probe stellen, den Herrn Fäustelmann.“

„Auf die Probe stellen? Und wie könnten Sie das, Oberförster?“ fiel die Rittersfrau ein, die nun einmal die gläubigste Anhängerin der Visionsgabe ihres Rentmeisters war.

„Ist mir neulich etwas Wunderliches begegnet,“ entgegnete mit einer die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer spannenden Langsamkeit der Oberförster. „Etwas, auf das ich mir keinen Vers machen kann. Gar keinen Vers! Und etwas recht Grausiges war es. Hab’ auch Fäustelmann gesagt, er solle mit mir gehen, ob wir’s Beide zusammen sehen könnten, und er solle, mir’s dann auslegen. Aber ich bringe ihn nicht hin; er nimmt den Schein an, als glaube er, ich wolle ihn zum Besten halten. …“

„Ich glaube schon, daß er nicht mit Ihnen geht,“ fiel hier die Hausfrau ein, „wissen Sie denn nicht, daß solch eine Gabe ohnehin schwer genug auf den Leuten lastet, und daß Sie von ihnen nicht verlangen dürfen, sie sollen so unheimliche Dinge, die ihnen genug das Leben verbittern, auch noch freiwillig aufsuchen?“

„Aber so erzählen Sie Ihre Geschichte doch, Oberförster!“ rief hier ungeduldig Herr von Mansdorf aus.

„Hoffentlich keine Jagdgeschichte,“ sagte der Justitiar.

„Nein, keine Jagdgeschichte,“ erwiderte der Oberförster, „durchaus nicht. Hören Sie nur! Vor einigen Abenden komm’ ich – es mochte eine Stunde vor Mitternacht sein – aus Idar zurück, hatte am Nachmittage Geschäfte bei Seiner Durchlaucht, dem Fürsten, gehabt, und den Abend war ich in die Casinogesellschaft gegangen und hatte da mit den Herren von den Zeitläufen discurirt und dann mich aufgemacht, wieder in meine Försterei zu kommen. Geh’ also heim und bin ganz allein – auch ohne meine Hündin, die ich daheimgelassen hatte, weil sie Junge geworfen hat. Komm’ an dem alten Kropp, dem verfallenen Burgmannshofe, vorüber, der nicht weit vom Wege ab in den versumpften Niederungen steht – Sie kennen ja das alte verruinirte Castell. Wie ich nun bis dicht heran bin, sehe ich ein Leuchten, einen Lichtglanz auf dem Wassergraben vor dem Gebäude liegen; ich bleibe stehen und frage mich: ‚Wo kann denn da das Licht herkommen? Vom Monde doch nicht – der war nicht aufgegangen; aus den Fenstern nicht, denn die sind ja immer mit alten Holzklappen verschlossen. Wo kann der Lichtschein herkommen?‘ Die Sache dünkt mir curios, und um ihr auf den Grund, zu kommen, geh’ ich rechts ab, auf die alte Spelunke zu, und wie ich näher und näher dem Wassergraben komme, seh’ ich, daß der Lichtschein, der auf dem leise vom Nachtwinde bewegten Gewässer schwimmt, aus zweien der Fenster im untern Stockwerke kommen muß, und zwar so, daß die alten Holzklappen vor den Fenstern unten einen Spielraum lassen, durch den der Schein schräg nach unten hinausfällt. Es sind also, sag’ ich mir, Menschen in dem verlassenen Gebäude – aber wie kommen sie dahin, da es verschlossen und verrammelt ist, und was haben sie da zu thun? ‚Möcht’ das doch wissen‘ sag’ ich mir und stapfe über Schutt und durch wildes Riedgras und Nesseln, was da auf dem alten Damme wächst, der anstatt der früheren Steinbrücke durch das Wasser führt, an das Gebäude heran; als ich an die Fenster komme, bin ich nicht hoch genug, hineinzuschauen, sehe mich also nach einem Steine oder dergleichen um und finde auch richtig einen Holtzklotz in der Nähe, den ich an die Mauer lege …“

„Steigen hinauf“ – fiel hier ungeduldig der Justitiar ein – „und sehen, daß der Lichtschein nichts ist, als das Glühen von dem alten verfaulten Holze der Fensterbänke …“

„Nun, lassen Sie ihn doch weiter erzählen und stören ihn nicht!“ fuhr in strafendem Tone die gestrenge Rittersfrau den Justitiar an.

Dieser klopfte lächelnd seine Pfeife aus, während der Oberförster mit einem ärgerlichen Seitenblicke auf ihn fortfuhr:

„Freilich stieg ich hinauf – was ich aber sah, das war wahrhaftig kein faules Glühholz, Herr Justitiar, das kann ich Sie versichern.“

„Nun, was sahen Sie denn? Heraus damit, Mann!“ sagte, hier Herr von Mansdorf, dem hinter seinem dickbäuchigen Kruge die großen vorliegenden Augen vor Vergnügen über solch eine angenehm spannende und sogar ein wenig in’s Grauliche spielende Geschichte leuchteten.

Der Oberförster aber hatte durchaus keine Eile, vorschnell seinen Haupteffect zu verpuffen und die Karte, womit er die Skepsis des Justitiars abtrumpfen wollte, zu rasch auszuspielen.

„Was ich sah?“ sagte er, und dann räusperte er sich, blickte rundum im Kreise, heftete zuletzt seine Augen mit dem Ausdrucke eines vorzugsweisen Vertrauens auf die Dame vom Hause, die ihren Strickstrumpf hatte fallen lassen, indem ihr Oberkörper sich immer mehr in die Höhe streckte, und setzte mit halblautem dumpfem Tone hinzu: „Särge.“

Fräulein Adelheid fuhr zusammen und schrie leise auf – Herr von Mansdorf[WS 1]zog in wunderlichem Spiele seine Brauen zusammen, und die Hausfrau rief erschrocken:

„Särge?“

„So ist es, gnädige Frau,“ versetzte Oberförster Runkelstein mit einem eigenthümlich sinnigen Tone, aus dem ein ganzes System resignirter Lebensphilosophie sprach.

„Zwei neben einander?“ fragte die Dame.

„Zwei? Nein, ein halbes Dutzend.“

Der Justitiar schüttelte lächelnd den Kopf, während in den Mienen der Uebrigen etwas wie ein Zug von Mißvergnügen erkennbar wurde. Denn obwohl die Sache sich zu einem gründlich angenehmen Grauen auf’s Beste anließ, obwohl auch die Dämmerung leise herangekommen war und in dem versteckten Thurmwinkel tieferen Schatten gebreitet hatte, während aus einem nahen Baumwipfel, über die Dächer der Vorgebäude herüber, ein höchst melancholisches Gekrächze scholl, das nur eine alte und in Dingen solcher Art, wie sie hier eben verhandelt wurden, höchst erfahrene Krähenfrau ausstoßen konnte – obwohl das Alles den tiefen Eindruck, den Runkelstein’s Geschichte machte, nur in befriedigendster Weise unterstützen konnte, war doch offenbar

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Monsdorf
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 767. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_767.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)