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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


seine Versicherung, er habe gleich ein halbes Dutzend Särge auf einmal gesehen, etwas, was als doch gar zu stark die Wirkung seiner Erzählung ganz bedeutend beeinträchtigte.

Ohne eine Ahnung davon zu haben, verdarb der Oberförster sich seinen Effect noch mehr, indem er hinzusetzte:

„Es mochten auch ihrer acht oder zehn sein, denn die letzten verloren sich hinten im Dunkel des großen, öden Gemachs, das nur in der Mitte von einer auf einem Tische stehenden Lampe erhellt wurde. Sie waren nicht groß, die Särge, nicht wie für Erwachsene, sondern wie für Kinder. Das Gemach war sehr wüst. Ich sah große Theile des Kalkverputzes, die, von der Decke und den Wänden gefallen, auf dem Boden lagen – und von der Lampe angeschienen sah ich …“

Der Oberförster fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und hielt die Augen geschlossen; dann, als er sie wieder aufmachte schüttelte er, als ob er die Vision wieder abschütteln wolle, den Kopf mit dem dichten grauen Haare und sagte: „Es war gräulich.“

Alles schwieg, die Augen voll Spannung auf den Erzählenden geheftet.

Er kämpfte jetzt lange mit dem ausgehenden Feuer im Kopfe seiner irdenen Pfeife. Dann, als er Sieger geworden und eine Unzahl dunkelblauer Rauchwolken herausgezogen und von sich geblasen hatte, sagte er:

„Auf dem Boden, hinten in der Kammer, von der Lampe angeschienen, blickte ein Kopf hervor – ein Mannskopf – mit großen Augen und einem Schnurrbarte; die großen Augen sahen mich starr und fest an, als ob sie durch Wände und Fensterklappen schauen könnten, und als ich diesen Augen mit meinen durch – die schmale Querritze unter den Holzklappen spähenden Blicken begegnete, da hab’ ich nicht länger hinsehen mögen, sondern bin von dem Klotze heruntergestiegen und habe den Heimweg angetreten.“

„Einen Kopf haben Sie gesehen, Runkelstein?“ rief jetzt Herr von Mansdorf aus, „aber wenn man einen Kopf sieht, sieht man doch auch einen Menschen?“

„Ein Mensch war nicht bei dem Kopfe,“ versetzte mit der äußersten ihrer Sache sicheren Bestimmtheit der Oberförster.

„Ah Possen!“ hätte jetzt der Justitiar ausrufen mögen – aber er unterdrückte den Ausruf, um sich nicht eine allseitige unheilbare Ungnade zuzuziehen, und begnügte sich damit, seinen Gefühlen bei dieser unglaublichen Geschichte durch ein Kopfschütteln und spöttisches Lächeln Ausdruck zu geben.

„Ein Mensch war nicht bei dem Kopfe?“ echoete indeß die gestrenge Rittersfrau und dann mit sinnendem Auge den Erzähler fixirend, sagte sie: „Aber was war es denn? Es war doch kein blutiges, abgeschlagenes Haupt?“

„Nein, das war es nicht, gnädige Frau,“ entgegnete der Oberförster, „es stand ganz natürlich auf dem Boden, als ob es aus dem Fußboden gewachsen wäre.“

„Wie ein Schwammpilz,“ bemerkte der Justitiar halblaut.

Eine lange Pause folgte; man gab sich so völlig dem durch diese Thatsachen hervorgerufenen Eindrucke hin, daß, als nun Herr von Mansdorf mit der Faust auf den Tisch schlug, Alles erschrocken in die Höhe fuhr.

„Nun soll mir Einer sagen, dies sei nicht die wunderbarste Vorgeschichte, die noch je dagewesen ist!“ rief Herr von Mansdorf aus, als er sich dem Drange einer so heftigen Bekräftigung seiner Ansicht von der Sache hingab.

„Ja,“ fiel der Oberförster ein, „und deshalb wollt’ ich eben, ich hätte den Rentmeister bei mir gehabt und er hätte Särge und Haupt mit mir gesehen und mir ausgelegt, was beides zu bedeuten habe. Aber er will nun einmal nicht darauf hören; er stellt sich, als glaube er mir nicht.“

„Ja, sehen Sie,“ fiel hier der Justitiar ein, „Sie hätten ihm auch nicht in’s Handwerk pfuschen sollen. Auch, der Spukseher bleibt Mensch und läßt sich nicht gern durch solche Leute, die Abends sehr spät aus einer lustigen Gesellschaft von Idar heimkommen und dabei vom Wege ab in alte Waldcastelle gerathen, Concurrenz machen.“

Der skeptische Justitiar fand keinen Beifall für diese Bemerkung. Keine Silbe wurde laut. Es entstand ein allgemeines Stillstehen des Mittheilungsdranges, da jeder mit seinen Gedanken beschäftigt war und sich fragte, was diese Kindersärge und dieser wunderliche Kopf, an dem kein Mensch war, bedeuten könnten – welches seltsame und tragische Ereigniß geschehen und in Zukunft in Wirklichkeit sich ereignen könne, da der Oberförster es doch offenbar nur als Vision gesehen; denn das, eine „Vorgeschichte“, konnte es in dem alten unbewohnten Hause doch nur gewesen sein.

„Aber da kommt ja,“ hub endlich Herr von Mansdorf die Hand nach dem Henkel seines Kruges ausstreckend, um die Gläser seiner Gäste zu füllen, wieder an, „da kommt ja just der Rentmeister daher – was hat er denn für lange feierliche Schritte zu machen? – ich seh’s ihm an seinem Gange an, daß bei ihm etwas in den Bänken ist.“

In der That, er machte sehr weite und schwer auftretende Schritte, der Rentmeister; es war etwas Entschlossenes, Kampfbereites, womit er daher kam, der, große, ein wenig vornübergebeugte gesunde Mann, die hellen glänzenden Augen in seinem abenteuerlichen Kopf auf’s Unbestimmte und wie in’s Leere gerichtet. So kam er unter dem Einfahrtsthore in Sicht und schritt geraden Weges auf die Gesellschaft zu.

„Er scheint Geschäfte mit Dir zu haben, Leopold,“ sagte die Hausfrau zu ihrem Gemahl, „sonst sollte er uns doch jetzt gleich beichten, was er eigentlich von Runkelstein’s Geschichte denkt und ob er nicht von dem alten Castell, der Kropp, schon mehr solcher Dinge weiß.“

„Fäustelmann, haben Sie Geschäfte mit mir?“ rief ihm Herr von Mansdorf entgegen.

„Ja, Herr von Mansdorf, Geschäfte und etwas sehr Wichtiges.“

Herr Fäustelmann sprach das, indem er in den Thurmwinkel an die offen gebliebene Seite des Tisches trat, mit einer überaus traurigen und dumpfen Modulirung seines immer halbgedämpften Organs, und die Blicke, die er dabei auf seinen Gebieter heftete, hatten einen so traurigen Ausdruck, daß sich alle Anwesenden, noch völlig unter dem Eindrucke der erzählten unheimlichen Geschichte stehend, von einem unwillkürlichen Schrecken vor den unbekannten Dingen ergriffen fühlten, als deren Bote Herr Fäustelmann in diesen harmlosen Menschenkreis geschritten kam, anzusehen wie die Verkörperung des unerbittlichen Verhängnisses.

„Nun, und was giebt es denn?“ sagte Herr von Mansdorf, „was ist denn geschehen?“

Herr Fäustelmann sah schweigend ihn und dann mit seinen wasserblauen Augen die Frau vom Hause an – es war wie wenn er sich frage, ob er in ihrer Gegenwart reden dürfe und ob sie stark genug sie, den Schlag, den er führen müsse, zu ertragen; dann mit seinen Augen wieder die gewöhnliche Richtung in’s Leere und Unbestimmte suchend, sagte er dumpf und hohl und mit einem ganz merkwürdigen Tone von Wehmuth:

„Herr Ulrich Gerhard von Uffeln ist da – er ist angekommen.“

(Fortsetzung folgt.)




Zwei deutsche Jubelfeste in Weimar.
Von Robert Keil.
2. Zum Goethe-Feste 7. November 1875.
(Schluß.)


Drunten in der Försterstube saßen die Gefährten noch nach aufgehobenem Tische und schmauchten und schwatzten, daß Goethe, welcher zum Briefschreiben hinaufgegangen, es durch den Boden hörte; nur Einsiedel war zu Bett, „sein Magen lag schief; Kaffee und Branntwein wollten’s nicht bessern“. Goethe aber begann seinen Brief mit dem Zigeunerliede:

„Im Nebelgeriesel, im tiefen Schnee etc.“

Dann fuhr er fort: „Daß mir in diesem Winkel der Welt, Nachts in dieser Jahreszeit, mein alt’ Zigeunerlied wieder einfällt, ist ebenso natürlich, lieber gnädiger Herr, als daß ich mich gleich hinsetze, es Ihnen aufzuschreiben und hinterdrein einen Brief zu sudeln; denn ich vermisse Sie wahrlich schon, ob wir

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 768. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_768.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)