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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


zwei ihrer Cameraden, höhere Officiere, waren ihnen in den Tod, standrechtlich verurtheilt, vorausgegangen, und Ruhe und Friede kehrten wieder in die Gemüther zurück. Der junge Milan Obrenovitsch ward unter allgemeinem Jubel berufen, seinem gemeuchelten Oheim als Fürst von Serbien zu folgen, und war indeß von Paris, wo er eben noch seine Erziehung genossen, nach der Serbenhauptstadt geeilt. Das Ministerium Blaznavac hatte sich am Unglückstage von Toptschider mit so geschickter und energischer Hand allsogleich der Regierungszügel bemächtigt, daß ein Aufstandsversuch der Verschworenen zu gelingen keine Aussicht haben konnte. Das Ministerium regierte bereits in Milan’s Namen und hatte sofort die Wahlen zu einer großen, außerordentlichen Session der Skuptschina ausgeschrieben.

Und der 2. Juli schon war der Tag, an dem die


Die Kreuzigungsgruppe bei Oberammergau.


Skuptschina, die einzig und allein dazu berufen wurde, den neuen Fürsten auszurufen, zusammenzutreten hatte.

Ein außerordentliches Leben herrschte schon Tage vorher in den Straßen Belgrads, das seine gute Stimmung wieder gewonnen hatte. Das Gefühl der Unsicherheit war sichtlich von ihr genommen worden, je näher der Zeitpunkt kam, da fünfhundert serbische Männer, die das Volk selbst entsandte, in seinem Weichbilde den neuen Fürstenthron befestigen sollten. Die alten Straßen, durch Wochen hindurch traurig öde, fingen an, sich freundlich zu beleben. Die Terazia, der Boulevard von Belgrad (Boulevard in nicht streng parisischem Sinne genommen), nahm wieder ein heiteres Ansehen an. Auf der Terazia haben die diplomatischen Agenten der fremden Mächte ihre Residenzen aufgeschlagen; hier steht auch der „Konak“, das Palais des Serbenfürsten, mitten in einem herrlichen Blumengarten mit seiner schlichten, geschmackvollen Façade; das große Gitterthor zeigt das fürstliche Wappen im blauen Felde, mit den vier durch ein Kreuz gespaltenen S, die den Satz „Srbi samo sloga spasava“ (Einigkeit macht Serbien stark) andeuten sollen. Die schwarze Fahne wehte noch immer auf diesem Palais, aber, wie gesagt, die „Terazia“ fing eben wieder an von Menschen, von Spaziergängern und Corsofahrern freundlich bunt gefärbt zu werden. Die kleinen, in etwas türkischem Reinlichkeitsstyle gehaltenen Cafés fingen an sich zu füllen; drinnen und draußen saß an groben Tischen viel stämmiges Männervolk, aus seinen langen Tschibuks weise Ansichten über Serbiens nächste Zukunft herausblasend. In den vielen Gruppen ward lebhaft debattirt über Gefahren, denen das Vaterland soeben entronnen, und schon die gerade nicht classisch runde Plastik der Bewegungen der Debattirenden war für Alle, die Serbiens Sprache nicht verstehen, Dolmetsch genug, Dolmetsch der mancherlei grollenden Gedanken, die da zwischen den Männern ausgetauscht wurden. Ich brauchte mir nur den großen stämmigen Mann da neben mir, an einem der Tischchen des Cafés zum „goldenen Engel“, anzusehen, nur den Schwingungen seiner wuchtigen Arme und den wilden Bewegungen der Quaste seines tief am Hinterkopfe sitzenden Fez zu folgen, und ich wußte es auf’s Bestimmteste, daß er irgend einen Partisanen des Karageorgewitsch eigenhändig niederschlagen möchte.

Fünfhundert Männer waren mit einem Male mehr in dem alttürkischen Neste – das mußte sogar ein Schwerhöriger merken; das Auge allein konnte sich des ansehnlichen Zuwachses an Patrioten freuen. Sie sind eine schöne Race, diese Serbenmänner, hoch, stark und doch edelformig emporgeschossen, ein Bild von Urwüchsigkeit, ungebrochener Kraft, im Blicke Feuereifer und Thatenlust verrathend, der Schritt voll Mark und Stolz, jeder von ihnen an die alten Heldengestalten des serbischen Volksliedes mahnend, an die Genossen des Serbenczaren Lazar, die zu jedem Frühstücke ein paar Türkenköpfe so nöthig zu haben schienen, wie Unsereiner die Butter zum Thee.

Die nahende Skuptschina hatte diese Galerie malerischer Männergestalten um ein Erhebliches vermehrt. In den Straßen wandelten allerlei farbige Costümbilder vor mir herum. Serben im weiten, blauen Kaftan, der bis auf den Boden fiel, die breite Tuchkappe mit großem Schirme auf dem buschigen Haupte, die breite, wollene bunte Binde um die Lenden geschlagen, schon zur Hälfte das Abbild des orientalischen Kaufherrn; Serben in der blauen Tuchjacke, in blauen Pluderhosen und blauen wolligen Strümpfen, den Fez kühn aufgesetzt; Serben in rothen Hosen, rothem Bindtuche und blühendweißen Hemdärmeln, die ein coquett umgehängtes gesticktes Jäckchen umgaukelt. Und dazwischen wieder der Bauerngestalten viele, die Beine in weißes, weites grobes Linnen eingehüllt, mit dem vielfaltigen langen Hemde, darüber ein grobzeugiger Schnürrock ausgebreitet, auf dem starken Kopfe den kugelförmigen Filzhut mit breitem Rande.

Das waren alles Mitglieder der Nationalversammlung, die da bevorstand, Mitglieder des großen Congresses, Männer der Skuptschina. Wo man sie wohl nur Alle untergebracht haben mag, die Männer des großen Reichsrathes? Belgrad hatte im Ganzen drei Häuser, die auf den Namen „Hôtel“ (in der anspruchslosesten Bedeutung des Wortes natürlich) Anspruch hatten und sonst nur noch so viele kleinere und größere Häuser, wie es dermal für seine paar tausend Einwohner nöthig hat – wo mögen also diese fünfhundert Deputirten ihre Häupter des Nachts zur Ruhe legen?

Ich erfuhr es bald und ersah gleich aus dieser ersten Aeußerlichkeit, wie wenig die serbischen Männer des Volkes Parlamentsmänner im deutschen, französischen, englischen Sinne sein wollen. Ich möchte mir die Männer deutscher, englischer oder französischer Volkswahl ansehen, die anstatt mit schönen Hôtelzimmern oder gut möblirten Privatwohnungen mit der Bequartierung dieser serbischen Deputirten vorlieb nehmen müßten! Belgrad logirte seine Landesvertreter in Zelten, die in großer Reihe im Parke von Toptschider errichtet worden, ein; die serbischen Delegirten mußten bivouakiren, im Freien bivouakiren, gleich einem Kriegsheere; sie mußten ihre landesbesorgten schweren Köpfe im grünen Rasen bergen.

Zur Zeit der ordentlichen Skuptschina, die aus nicht mehr als hundert Deputirten besteht, bringt man diese nothdürftig in den Cafés unter, wo sie mit den obzwar harten Bänken gern vorlieb nehmen; bei dieser außerordentlichen Session aber, die fünfmal so viele Männer nach Belgrad zog, errichtete man ihnen ein – Lager, ein wahres Soldatenlager.

Ein prächtiger, eigenthümlicher Anblick, dieses parlamentarische Lager der Skuptschina! Unter schmucken Zelten lagen schon durch drei Tage die Delegirten des Landes, acht, neun und zehn unter einem Zelte. Weithin war die grüne Toptschiderebene, die sich vor dem Koschutjnak (Hirschpark) dahin breitet, voll von diesen Abgeordnetenzelten und bot, zusammengehalten mit dem Lager der Miliz, von der einige Bataillone die ganze Höhe des Toptschiderhügels hinauf zur Feier der Skuptschinaeröffnung herbeigezogen wurden, einen wahrhaft kriegerischen Anblick. Es

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 773. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_773.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)