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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


fehlten nur noch die Gewehr-Pyramiden draußen vor den Zelten, um Einen an ein Uebungslager, an ein constitutionelles, parlamentarisches obendrein, zu gemahnen. Aber auch Waffen hatte dieses Deputirtenlager, nur ruhten sie unter den Zelten, Revolver, Pistolen, Dolche, kurze Säbel, Gürtelmesser, welche die Männer des Serbenvolkes mit in’s Lager gebracht, Waffen, ohne die der Serbe nie einhergeht und die er auch in sein Parlament mitbringt, wenn er auch nur zu friedlicher Berathung in schwierigen Landesangelegenheiten hierher gekommen ist und nur das Wort, das patriotische Wort allein als Waffe gebrauchen will.

Mit einem Soldatenlager hat dieses serbische Parlamentslager auch noch die Feldküche gemein. Der serbische Deputirte, der Mann der Skuptschina, hat nicht die mehr oder minder glänzenden Diätengelder des französischen oder österreichischen Volksvertreters, keine zehn Gulden österreichische Währung oder vierzig Franken täglich wie der Deputirte in Versailles oder in Wien; er hat Quartier (freilich in der primitiven, angedeuteten Weise der Cafébank) in gewöhnlichen Sessionen, seine Barake in der außerordentlichen Session, einen Thaler täglich Diätengeld (man könnte schon besser parlamentarisches Taschengeld sagen!) und seine Kost für den Mittag und Abend. In der nächsten Nähe der Abgeordnetenzelte war die große Feldküche errichtet, in der alltäglich während der außerordentlichen Session für die Skuptschinamänner abgekocht wurde.

Kost, Quartier und einen Thaler täglich – giebt es etwa irgendwo ein billigeres Recept für die Versorgung von Volksvertretern? Ich glaube nicht.

Nur Fürst Bismarck stellt sich seinen deutschen Reichstag noch billiger her, indem er den Mitgliedern gar nichts giebt und den bekannten „Lilienbekleider“ für sie sorgen läßt.

Der 2. Juli war da, und ich fuhr in Begleitung meines liebenswürdigen Führers, des Herrn v. K., der in Belgrad eine der Garantiemächte diplomatisch zu vertreten hatte, über die Terazia hinaus dem ominösen Parke von Toptschider zu. Ich gehörte zu den wenigen Glücklichen, denen durch ministerielle Gunst Eintrittskarten verliehen wurden und denen die am Parkeingange strenge Wacht haltenden Gensd’armen nach Vorzeigung der Karte die Einfahrt gewährten. An den weißen Zelten der Miliz vorüber fuhren wir dem parlamentarischen Bivouac der Abgeordneten zu. Gleich an den ersten Delegirtenzelten machten wir Halt und verließen unsern Wagen. Eben traten auch die Serbenmannen aus ihren Lagern und wallten der Stätte ihrer Berathungen zu.

„Wo ist denn das Parlamentshaus?“ fragte ich meinen kundigen Begleiter.

„Parlamentshaus? Giebt’s nicht,“ antwortete er.

„Ja, wo tagen sie denn, die fünfhundert Auserwählten des Landes?“ fragte ich erstaunt weiter.

„Sollen sie gleich sehen,“ sagte Herr v. K.

Wir schritten der großen Wiese zu, die den eigentlichen Park vom Koschutjnak trennte. Eine riesige Holzbarake stand, roh gezimmert, da; für Alles war dieser Rohbau eher zu nehmen, als für den Sitz eines Parlaments. Nach außen nahm er sich, wohlwollend beurtheilt, wie ein eben frisch fertig gewordenes, mit Fahnen behangenes, provisorisches „Stationshaus“ aus; innen hatten sie den weiten Raum nur mit schlichtem Laub decorirt, eine große Anzahl hinter einander laufender Bänke aufgestellt, in die freigehaltene Mitte einen Tisch, den „Tisch des Hauses“, für das Präsidium postirt, der von einem grünen Tuche niemals geträumt haben mag, an der einzigen Längenwand der Barake (nach der anderen Längenseite hin stand sie ganz offen) eine Balkonestrade errichtet, mit Sesseln für die Minister und Regenten – und das alles zusammen war das serbische Parlamentshaus.

Belgrad hat auch für seine ordentlichen Skuptschinas, die nur aus hundert Delegirten zusammengesetzt sind, keinen eigenen Parlamentsboden.

Dort oben in der „hohen Schule“, die der reichste Serbe, Mischa, der im Salz- und Schweinehandel fett gewordene Schwiegervater des Ministers Marinovitsch, gebaut und dem Lande geschenkt hatte, tagt gewöhnlich die Skuptschina, wenn sie nicht nach der zweiten Stadt des Landes, nach Kragujewac, einberufen ist. Den Luxus eines Parlamentshauses kann sich Serbien nicht gönnen. Leuten, die man mit einem Thaler Diäten abfindet, kann man doch keinen Palast bauen.

Es muß doch auch eine Harmonie in der constitutionellen Schöpfung gebe, ein Zusammenpassen von Menschen und Localitäten. Wie würde so ein serbischer Deputirter in Sandalen und Hemdärmeln in einem Parlamentshause wie das englische zum Beispiel, oder im Theater von Versailles sich ausnehmen!

Ist es also kein Parlamentshaus, so ist es eine Parlamentshütte, die man der Skuptschina rasch gezimmert hat. Lehnsessel, Pulte und was dergleichen mehr Parlaments-Commoditäten sind, die constitutionelle Staaten ihren Vertretern zu bieten pflegen, gab es da natürlich auch nicht.

Serbien verweichlicht seine Deputirten nicht.

„Wozu auch Pulte?“ sagte mein freundlicher Begleiter, der meinem parlamentarisch verwöhnten Auge ansah, daß es das besagte Parlamentsmöbel vermißte. „Wozu Pulte? Für die Wenigen, die schreiben können? Von den fünfhundertundvier Deputirten, die Sie hier nach und nach einziehen sehen, sind über vierhundert Bauern und Handwerker, die den Segen des Schreibens noch nicht kennen, gegen neunzig nur sind in der Schreibstube aufgewachsene Kaufleute, Advocaten, Gutsbesitzer, die sich der Feder zu bedienen im Stande sind.“

„Ein richtiges Bauernparlament also?“

„Nichts Anderes. Gevatter Schmied läßt zu Hause sein heißes Eisen, Gevatter Schneider – er ist auch in Serbien, wie überall, ein geborener Politiker – ein paar Dutzend halbfertiger Nähte und Zwickeln zurück und läuft nach Belgrad zur Skuptschina. wenn ihn das Land ruft. Und das ‚läuft‘ bitte ich bildlich[WS 1] zu nehmen.“

Gevatter Schuster, Schneider und Schmied laufen wirklich nach Belgrad oder Kragujevac, da ihnen das Vaterland keine Wagen und keine Eisenbahnen zur Verfügung zu stellen hat.

Diese Bauernmajorität bildet sich auch auf das, was sie ist, nicht viel ein, zum Unterschiede von Parlamentsmajoritäten. Diese Herren in groben Hemden und Jacken und zum großen Theil auch ohne Stiefel an den Füßen sind weit entfernt von jeglicher Parlamentsprätension.

„Bescheidene gute Leute sind’s,“ erklärte mir mein Freund, der Diplomat, weiter, „die sich von den Minoritätsherren Manches gefallen lassen, nur weil sie – schreiben und lesen können, rein aus gar keinem andern Grunde. Glauben Sie aber deshalb ja nicht, daß diese Bauern sich das Reden verwehren lassen. Was sie über diese und jene Angelegenheit auf dem Herzen haben, das muß heraus, und hätte es auch nicht die Weisheit gerade zur ehrsamen Gevatterin gehabt. Was kann dem Bauer auch passiren, wenn er wirklich das eine und das andere Mal mit seiner Ansicht von den häuslichen und Weltdingen auf den Kopf gefallen erscheint? Es steht höchstens so ein Minoritätscollege, der seine Jugend mit Schreiben- und Lesenlernen hingebracht hat, oder gar ein ‚Pane‘ Minister auf und sagt zu ihm: ‚Schau, lieber Bruder, das verstehst Du nicht, setz’ Dich nieder und schweig hübsch, bis wieder von etwas Anderem die Rede ist!‘ Und der Freund Bauer setzt sich nieder und schweigt. Aber glauben Sie nur nicht, daß dies selten geschieht – das ist ein gewöhnlicher Vorgang auf den Skuptschinas. Der serbische Bauer rächt sich in ganz eigenthümlicher Weise für solche Behandlung – er bringt fortwährend Anträge auf Vermehrung der Schulen im Lande ein. Der Minderwissende fügt sich auf der Skuptschina dem Mehrwissenden. Die Macht der ‚Federfuchser‘, die ja noch der alte Fürst Milosch, der ja selber von den Schweinen weg zum Fürstenthrone gekommen, nicht recht leiden und aufkommen lassen mochte, ist unter des armen Michael Obrenovitsch Regierung sehr gestiegen, aber auch mit ihr das Bedürfniß nach den Mitteln, das Bedürfniß nach Bildung. Es kommt schon die Zeit, wo alle Mitglieder der Skuptschina, und wären ihrer auch, wie heute, fünfhundert, werden schreibens- und lesenskundig sein – das sollen Sie schon erleben, das heißt wenn in den Bahnen der Intelligenz, in die Michael Obrenovitsch eingelenkt, weiterfortgefahren wird.“ –

Während mein diplomatischer Freund so warm für die

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: nicht bildlich
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 774. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_774.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)