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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

wie Sie neulich erzählten,“ fiel die Prinzessin mit einem halb ernsten, halb ironischen und Zweifel ausdrückenden Tone, ein, „war es Das?“

„Richtig! Das war es, und Das rettete mich aus einer ganz unerträglichen Lage. Weil ich ein Deutscher war, dem sie schon nicht mehr recht trauten, erwiesen mir nämlich die Franzosen, unter denen ich diente, die Wohlthat, die Sache ungewöhnlich ernst zu nehmen und mich vor ein Kriegsgericht zu stellen, das mich zum Füsilirtwerden verurtheilte?“

„Ich bitte Sie – das ist ja schrecklich.“

„Es ist so. Füsilirt ohne Appell und Gnade. Das Urtheil mußte vom Divisionsgenerale bestätigt werden, und weil der Divisionsgeneral eben entfernt und vor dem Feinde beschäftigt war, habe ich zwei Tage als Verurtheilter warten müssen, bis diese Bestätigung herbeigeholt war. Zwei Tage lang. Haben Sie eine Ahnung davon, was Das sagen will? Zwei Tage, während welcher man keinen Schritt sich nahen hören kann, ohne zu erwarten, daß es der des Mannes ist, der eintreten wird, um zu sagen: ‚Komm! Der Augenblick ist da!‘ Zwei Tage! Und dann, o, die Nächte! die Nächte!“

Der Fremde fuhr mit der Hand über sein sprechendes Gesicht, das mit seinem wechselnden Ausdrucke beim Reden etwas eigenthümlich Anziehendes erhielt; es schien, als ob er die verschleierten Augen schließen wolle vor den Schatten der grauenhaften Erinnerung, welche er heraufbeschworen hatte.

„Mein Gott,“ sagte die Prinzessin tief athmend und furchtbar erschüttert, „zwei Tage lang, zum Tode verurtheilt, auf den Augenblick des Todes warten zu müssen – wie ist es möglich, das auszuhalten – wie können Menschen einander solche Qualen auferlegen?!“

„Daß es möglich ist, es auszuhalten, sehen Sie an mir, Durchlaucht; denn ich lebe noch; ich wandle wirklich noch im Fleische umher, wenn ich nicht irre; denn zuweilen kommt es mir vor, als irre ich, als gehöre ich der Welt, die mich umgiebt, dieser mir völlig fremden Welt, diesen ganz fremden Leuten, unter denen ich umhergehe, und diesen ganz fremden Interessen, für die sie existiren, durchaus nicht mehr an, als sei ich eigentlich ein Todter, aber ein verirrter, der den Weg in’s Jenseits, die Thür in die andere Welt nicht habe finden können, und laufe ich nun so ziellos umher, um nächstens vielleicht als Stellvertreter für den ewigen Juden eingestellt zu werden.“

„Aber erzählen Sie doch weiter! Was ward daraus? Wie wurden Sie gerettet?“ fiel die Prinzessin ein.

„Wie ich gerettet wurde? Wunderlich genug! Die Bestätigung des Todesurtheils kam gegen Abend an. Es sollte noch in derselben Stunde ausgeführt werden. Ich wurde aus dem Kerker geführt, die Hände auf den Rücken gebunden, den unerläßlichen Kapuziner neben mir; vor dem Gebäude marschirte das Detachement auf, welches mich escortiren und draußen vor der Stadt in die andere Welt befördern sollte. Während es sich in Marsch setzte und wir durch die engen, schon dämmernden Gassen der kleinen spanischen Stadt schritten, vernahm ich in der Ferne Flintenschüsse; man achtete nicht darauf; dann aber vermehrten sich die Schüsse. Sie kamen von der Seite her, nach welcher wir marschirten. Der commandirende Officier ließ die Truppe ihren Marsch beschleunigen. Wir passirten das enge Stadtthor; wir betraten bereits den Anger vor dem Thore, auf welchem ich den Hügel Erde erblickte, der aus meinem Grabe aufgeworfen war – da ertönte plötzlich hinter uns, im Innern der Stadt, der Generalmarsch und zugleich erneutes Schießen, als ob die Stadt irgendwo von einer entgegengesetzten Seite angegriffen würde. Mein Detachement setzt sich in heftige Bewegung, um sich rasch meiner zu entledigen und ein Ende mit mir zu machen; schon commandirt der Officier ‚Halt?‘ – da plötzlich fällt vor uns ein Schuß; auf dem mit verbranntem Gras bedeckten Höhenkamme, der den Anger begrenzt, tauchen Männer und zugleich vor und zwischen ihnen blaue Rauchwölkchen auf; sie vermehren sich – es sind Guerillas, die, mit anderen Trupps combinirt, einen Angriff auf die Stadt machen und sie durch einen Ueberfall zu nehmen versuchen. Unser Officier, in seiner Ueberraschung, verliert den Kopf; er befiehlt, vorzugehen auf die angreifenden und sich jetzt den Hügel herunterstürzenden Banden, sieht, daß diese Banden sehr stark über den Höhenkamm heranfluthen, wendet sich, will den Rückzug commandiren, erblickt jedoch seine Leute bereits im vollen Laufe dem Stadtthore zu, um sich hinter demselben zu retten. Niemand kümmert sich dabei um mich, auch bin ich sehr bald von den Guerillas umringt, angeschrieen und zum Gefangenen gemacht. Als ich dann erkläre, ich sei ein eingefangener Engländer und habe, weil man mich für einen Spion gehalten, erschossen werden sollen, überläßt man mich mir selber und ich säume natürlich nicht, mich aus dem Staube zu machen. Nachdem ich die Nacht durchwandert, gelingt es mir, ein englisches Corps zu erreichen, dem ich mich als geborenen Deutschen und französischen Officier; mit der Angabe vorstelle, daß ich den Ueberfall durch die Guerillas benutzt, um auszureißen. Sie müssen wissen, daß es eben häufig vorkam, daß Deutsche aus den Reihen des französischen Heeres sich zu den Engländern flüchteten. Als ich bei diesem Corps verweilte, stieß ich auf einige den Franzosen bei einer ganz frischen Affaire abgejagte Gefangene. Es war darunter ein Mann aus dieser Gegend, der früher in meiner Compagnie gestanden und der mir sehr zugethan war – der Sohn des Meyers; da ich ihm sagte, daß ich über England hierher reisen wolle, gab er mir die Empfehlung an seinen Vater mit …“

„Ist er denn Gefangener?“

„Nicht mehr. Er wurde nach wenigen Tagen bereits, als ein Gefangenenaustausch stattfand, umgewechselt.“

„Und Sie?“

„Ich reiste nach einigen Wochen, sobald es mir gelungen war, mir Geld zu verschaffen, das ich aus Deutschland über England kommen lassen mußte, nach England und von dort nach einem deutschen Hafen.“

„Und dort drängte es Sie nicht, in die Reihen Derer einzutreten, welche eben für Deutschland kämpfen?“

„Nein – ich mag nicht mehr Soldat sein. Ich kann es nicht mehr. Begreifen Sie es nicht?“

„Gewiß! Aber nun haben Sie sich unter falschem Namen hierher gewagt, denn der richtige würde Sie immer, wenn die französischen Behörden Sie hier fänden, in große Gefahr bringen.“

„Unter falschem Namen?“

„Nun, sicherlich – der Name, den Sie sich beilegten, ist doch nicht der Ihre? Er gehört einem Andern – das wissen Sie doch? Nehmen Sie sich deshalb in Acht! Man könnte Sie zur Rechenschaft ziehen.“

„Freilich, man könnte das.“

„Nun ja, glauben Sie, Herr von Uffeln sei in sein eben gefundenes Gut, in seine neue Herrlichkeit und in das Liebesleben, das sich für ihn daran geknüpft hat, so versunken …“

„Ein Liebesleben?“

„Man sagt ja, daß er Fräulein Adelheid von Mansdorf heirathen wird.“

„Sagt man das?“

„Freilich – und es ist ja auch so natürlich, daß hier die Hände, wie die Interessen sich verknüpfen.“

„Das ist es,“ versetzte der Fremde und verfiel dabei in ein dumpfes Brüten.

„Worüber denken Sie nach?“

Er fuhr, wie erwachend, mit der Hand über die Stirn und sagte:

„Reden wir von anderen Dingen! – Was führt Sie hierher, Durchlaucht? Die Liebe zu diesen schönen alten Bäumen? Sie haben Recht, daß Sie ihnen Ihre Liebe zuwenden.“

„Sie erwidern sie nur nicht.“

„Es ist glücklicher Menschen Loos, zu lieben, ohne Erwiderung zu finden.“

„Glücklicher? Wie paradox!“

„Und doch wahr. Eine erwiderte Liebe, die auf dem alltäglichen Wege zur hausbackenen Ehe führt, geht sehr bald im Philisterthume unter; der Duft, die Poesie verflüchtigt sich da, und das Gemüth kommt gar nicht dazu, die Blume des Lebens sich entwickeln, entknospen, aufblühen zu lassen – die eigentliche Blume des Lebens, die Leidenschaft. Sind das nicht unglückliche Menschen, die, ohne je die Leidenschaft kennen zu lernen, durchs Leben gehen, träumend, schlummernd? Nur wer so glücklich ist, unerwidert zu lieben, der lernt sie kennen, der erfährt etwas vom Dämonischen der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 798. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_798.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)