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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Existenz, dem reißt das Leiden alle dunkeln verborgenen Ströme des Innern auf, der erkennt des Menschenthums ganzen Umfang, seine ganze Tiefe. Ist er deshalb nicht glücklich zu schätzen?“

Die Prinzessin schüttelte, verwundert über solche Ansichten, nachdenklich den Kopf. Nach einer Pause sagte sie lächelnd:

„Dann hatten Sie freilich Recht, sich bei Ihrer Liebe gründlich vor einer Erwiderung sicher zu stellen.“

„Bei meiner Liebe? Ach, ich erinnere mich, was ich Ihnen damals sagte – wie war es doch?“

„Wie, Sie hätten Ihre arme Nonne schon vergessen? So muß diese Leidenschaft keine sehr große gewesen sein.“

„Vielleicht,“ entgegnete der Fremde, mit einem feinen, bedeutungsvollen Lächeln die Prinzessin träumerisch anblickend, „ist sie verdrängt durch eine neue, größere.“

Die Prinzessin erröthete und stand auf. Das war zu viel der Unbefangenheit, der Offenheit, falls es das war, oder der Keckheit ihr gegenüber. Ihr durchlauchtiges Blut empörte sich über so viel Verwegenheit. Sie sprach noch ein paar Worte zu der Meyerin, die während der ganzen Unterhaltung als stumme Zuhörerin dagesessen hatte; sie reichte dann dieser die Hand, trug ihr Grüße an den Meyer Jochmaring auf, winkte ihre Marianne herbei und ging – ging davon, ohne den verwegenen Mann, der sie so beleidigt hatte, auch nur noch eines Blickes zu würdigen.

Dieser blickte ihr nach, sinnend, ruhig, ernst und mit einem leisen Lächeln, das um seine Mundwinkel spielte. Dann wandte auch er sich zum Gehen, er ging, nachdem er der Meyerin die Hand gegeben, schweigend fort.

Die Prinzessin schritt sehr rasch ihres Weges. Sie war offenbar in hohem Grade erregt. Marianne, die einige Male ein Gespräch zu beginnen versuchte, erhielt keine Antwort.

Endlich, als sie bereits nahe dem Schlosse von Idar waren, sagte die Prinzessin laut und heftig:

„Ich glaube, er ist ein ganz abscheulicher Lügner und lacht nun über mich, weil ich ihn so kindlich gläubig angesehen habe, während er mir das Unmöglichste aufband. Der impertinente Mensch!“

Sie war in einem furchtbaren Zorne gegen ihn. Je mehr sie jetzt über die ihr erzählten Geschichten nachdachte, desto klarer und offenbarer wurde es ihr, daß sie sammt und sonders erdichtet und erlogen seien, daß solche wunderbare Abenteuer, wie er sie gehabt haben wollte, ganz unmöglich sich wirklich zugetragen haben könnten, daß er nur ihrer Leichtgläubigkeit gespottet, und dieser Spott, dieses übermüthige Spielen mit ihr, das sich solch ein unter gestohlenem Namen umherlaufender, vor der Obrigkeit sich verbergender Mensch, der irgend ein Verbrechen begangen haben mußte, erlaubt hatte – das empörte sie grenzenlos.

Und was sie innerlich noch obendrein kränkte, das war ihr eigenes Benehmen. Es kam ihr vor, als habe sie ihm viel zu viel Ehre damit angethan, daß sie ihm ihr Beleidigtsein gezeigt; sie hätte seine letzten Worte gar nicht verstehen müssen. Das allein wäre ihrer würdig gewesen. Sie machte sich bittere Vorwürfe, daß sie sich so tactlos benommen!




5.

Unterdessen hatte sich Herr Ulrich Gerhard mit seiner ruhigen Anspruchslosigkeit wie ein Mitglied der Familie auf Haus Wilstorp eingewöhnt und eingelebt. Er stopfte Herrn von Mansdorf die Pfeifen und trank mit ihm; er hörte Frau von Mansdorf mit der gewinnendsten Aufmerksamkeit an, wenn diese ihm die ganz außerordentlich schwer zu begreifende Verwandtschaft zwischen denen von Uffeln und denen von Mansdorf auseinander setzte und ihn in die übrigen genealogischen Verhältnisse der Gegend und namentlich auch die des Fürstenhauses zu Idar einweihte. Fräulein Adelheid aber machte er mit einer gewissen schüchternen Befangenheit den Hof, obwohl ihm diese von Allen das wenigste Entgegenkommen zeigte. So offenherzig und liebenswürdig Fräulein Adelheid gegen Jedermann war, so auffallend war es, daß sie diese gewinnenden Eigenschaften dem Lehnsvetter am wenigsten zeigte und ihn mit einer Kühlheit zu behandeln begann, welche den liebenswürdigen Charakter dieses jungen Mannes nur noch in einem schöneren Lichte zeigte, da er sich durch eine persönliche Empfindlichkeit, die bei solcher Behandlung so natürlich gewesen wäre, nicht im Geringsten in der treuen Verehrung stören ließ, die er gleichmäßig fortfuhr ihr zu widmen. Uebrigens mochte, wenn Adelheid sich ungewöhnlich ablehnend und unfreundlich gegen ihn benahm, dies auch mit ihrem körperlichen Zustande zusammenhängen, der sich offenbar nicht gebessert hatte; sie sah angegriffen aus und klagte oft über Ermüdung und Kopfschmerz – ein Zustand, der doch ihrer Mutter keinerlei Sorge einzuflößen schien, denn diese sagte mit strenger Miene nichts dazu als:

„Es wird schon vorübergehen, wie es oft vorübergegangen ist. Nach Doctor Günther darum zu senden, ist durchaus nicht nöthig. Ich will den Doctor nicht ewig mehr im Hause sehen; wir werden uns jetzt schon selbst helfen können. Dank der Güte des Vetters Uffeln, welcher uns seinen ganzen noch auf dem Gerichte liegenden Antheil an den Holzschlaggeldern, und was ihm sonst nachzuzahlen ist, zur Disposition gestellt hat, werden wir für den Winter in den Süden gehen – das wird Dich gründlich curiren.“

Adelheid mußte sich nicht so zuversichtlicher Hoffnung über die Heilkraft eines Winters im Süden hingeben, denn als die Mutter sie verlassen hatte, schoß ihr ein Strom von bitteren Thränen in die Augen und tröpfelte über ihre bleich gewordenen Wangen.

Es war offenbar so, wie Prinzessin Elisabeth gesagt: das bereits umlaufende Gerücht von einer Verbindung der Hände wie der Interessen auf Hans Wilstorp hatte seinen guten Grund; denn Frau von Mansdorf war sehr entschlossen, eine solche Verbindung durchzusetzen. Und so hatte sich für Adelheid die Ankunft des Lehnsvetters durchaus nicht zu dem freudigen Ereigniß gestaltet, das sie für alle Anderen war.

Für alle Anderen sagen wir und müssen doch noch eine zweite Ausnahme machen – die eines zierlich gebauten jungen Mannes mit feinen klugen Zügen und schöngelocktem dunklem Haar, der, während Adelheid so im Stillen Thränen vergoß, in dem Arbeitszimmer des Justitiars Plümer saß und in der vornehmen Anmuth, die über seine ganze Persönlichkeit ausgegossen war, einen eigenthümlichen Contrast zu dem ältlichen Herrn im zerrissenen Schlafrocke und der schnupftabakbeschmutzten Wäsche bildete, in dessen intelligente und verschmitzt dreinschauende Augen er blickte. Von des fleißigen und vielbeschäftigten Actenmannes Umgebung dagegen konnte man nicht sagen, daß sie nicht mit seiner Persönlichkeit in Harmonie gestanden. Dies kleine mit zwei Guillotinefenstern auf den Marktplatz des Städtchens Idar hinausgehende Arbeitsgemach war außerordentlich dürftig eingerichtet und, trotz seines überquellenden Actenreichthums an allen Wänden, ein ärmlich aussehender Raum. Tische mit Oelanstrich, Stühle mit Strohsitzen, Repositorien, an denen der Firnißüberzug schon von einem gewissen Luxus sprach – das genügte in jenen anspruchslosen Tagen für die Einrichtung eines Geschäftslocals eines „Honoratioren“ in solch einer kleinen Stadt, deren „Marktgewühl“, auf das der Justitiar eben nachdenklich hinausblickte, aus einem ausgespannten Bauernwagen, einer am Marktbrunnen pumpenden Magd und zwei ihrer Kerkerhaft entlaufenen muthwilligen Ferkeln bestand.

„Das Leben ist eben eine trübselige Sache, mein lieber Adolf,“ sagte der Justitiar, „was Du ja hinreichend an Deinen Krankenbetten hast einsehen lernen können. Was Du vielleicht nicht so gründlich zu erkennen Gelegenheit gehabt hast, das ist die Wahrheit des Satzes: ‚Eines muß der Mensch haben, das ist Vernunft – oder einen Strick sich zu hängen.‘ Ich denke, Du wirst die Vernunft haben.“

„Ich habe Vernunft,“ versetzte der junge Arzt, „ich glaube sie hinreichend dadurch bewiesen zu haben, daß ich nicht schon längst nach Wilstorp gegangen bin, um eine offene Auseinandersetzung mit diesem Burschen, diesem Uffeln herbeizuführen und ihm zu erklären …“

„Was könntest Du ihm erklären, was die Lage der Dinge um ein Haarbreit änderte? Sieh, die Einkünfte von Wilstorp reichen für zwei Familien nicht aus. Wenn dieser Uffeln heirathet, eine fremde Frau, und sie in’s Haus bringt, zahlreiche Kinder dazu bekommt, und das Alles soll da zusammen leben und zehren, so wird für alle diese Menschen ein Hundeleben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 799. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_799.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)