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verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


No. 49.   1875.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.



Der Doppelgänger.
Erzählung von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


Meyer Jochmaring, der sinnige Wehrfester, saß unterdeß wieder auf der Bank unter seinen Eichen, aber er hatte heute eine andere Gesellschaft bei sich als die hochfürstliche, in der wir ihn das erste Mal sahen und kennen lernten, und auch die Bewirthung war eine andere, als er sie damals der Prinzessin geboten, für die sie auch nicht ganz passend gewesen wäre, denn sie bestand aus einer Flasche mit ganz gewöhnlichem Branntwein.

Der Oberförster Runkelstein schien desto mehr an diese Panacee des heimischen Agriculturlebens gewöhnt, und auch der Apotheker aus Idar, der mit einer Botanisirbüchse herausgekommen war, hatte sein Glas schon ein zweites Mal füllen lassen, während der Rentmeister Fäustelmann, der ihm gegenüber saß, das seinige nicht berührte. Dabei saßen die Männer ziemlich dicht zusammengerückt, und es war, als ob sie mit ihren ernsten gespannten Gesichtern von Sachen redeten, die sie in hohem Grade in Anspruch nahmen. Der Enkel der alten Sattelmeyer Wittekind’s hatte seine buschigen Brauen so ernst zusammengezogen wie ein alter Richter des Sachsenspiegels; als wäre die Holzbank unter ihm eine „gespannte“ Bank, als wäre der eben mit geröthetem Gesichte redende Apotheker der Freifrohn, der neben ihm sitzende Oberförster sein Schöffe und es handle sich um nichts Geringeres als ein altes Mannengericht der heimlichen Acht. Ein zu verfehmender Angeklagter war freilich nicht da – es hätte denn Rentmeister Fäustelmann ihn vorgestellt, der mit seinem bleichen, hohlwangigen und steinernen Gesichte für die Rolle nicht übel passend gewesen wäre. Auch glauben wir, hätte man Meyer Jochmaring auf sein Gewissen gefragt, er würde es durchaus nicht in Abrede gestellt haben, daß etwas von einem alten Erbrechte, auf einem Freistuhle zu sitzen, dem Wehrfester des Jochmaringhofes von seinen Vorvätern überkommen sei, vielleicht auch noch mit allerlei kurzen Andeutungen darüber, in welchem Jahre er selber zum letzten Male an der Dingstätte unter Königs-Bann seine Schöffen versammelt und die Acht gehegt habe. –

„Wenn man nur sicherer wüßte, wie viel Wahres an den Siegesnachrichten der Preußen und Russen wäre,“ sagte der Oberförster Runkelstein, „so könnte man sich schon eher darauf einlassen. Aber die Franzosen thun ja, als ob sie immer oben auf geblieben, und so lange man darüber nicht reinen Wein eingeschenkt bekommt, wäre man doch ein Narr, sich in etwas einzulassen, was so entsetzlich gefährlich ist.“

„Die französischen Nachrichten sind erlogen – ich stehe Ihnen dafür, Runkelstein,“ rief dagegen der kleine Apotheker eifrig aus – „sie sind erlogen, insgesammt erlogen. In Schlesien ist der Blücher über sie gekommen, wie St. Michael über den Drachen; an der Katzbach, da sind sie ganz furchtbar mitgenommen worden, und ich wette um meine Apotheke gegen Ihren Zwilling, daß vor Herbst keiner von ihnen mehr auf dem rechten Weserufer zu sehen ist. Aber freilich ohne Anstrengung aller Kräfte bringen wir sie nicht zum Lande hinaus, und wenn die Stunde da ist, wo der Einzelne seine Kraft einsetzen kann, da muß er dazu bereit sein; sonst ist er ein schlechter Patriot und kein deutscher Mann.“

„Patriot – deutscher Mann!“ sagte der Meyer darauf. „Das sind nun wohl so Worte! Was ist aber dabei zu denken? Der Franzose muß fort, das ist wahr. Aber was weiter? Wenn Ihr mir nicht sagen könnt, daß mit dem Patriotenthum die guten Tage für den Bürgersmann und den Bauer kommen, so gebe ich nichts dafür, und wenn Ihr von ‚deutscher Mann‘ redet, so weiß ich auch nicht, was es besagen soll. Es muß wohl Einer für den Andern stehen, und deutsch reden thun wir, das ist wahr, aber wo Deutschland anfängt und wo es aufhört, das weiß ich so wenig, wie was mich die angehn, die ganz vorn am Anfang oder ganz hinten am Ende wohnen. Es sind vielerlei unterschiedliche Völker, die ich nicht kenne. Was aber meine Bauerschaft und was die andern Bauerschaften, die zu uns gehören, sind, das weiß ich, und wenn die aufstehen, so bin ich dabei.“

„Aber ich bitt’ Euch,“ fiel der Apotheker ein, „wir gehören doch Alle als treue Männer zu Kaiser und Reich, zum deutschen Reich, das die Franzosen uns kurz und klein geschlagen haben, und Ihr wollt doch, daß wir wieder zu dem kommen, was wir gehabt haben und ohne das die Welt nicht bestehen kann?“

Dem Meyer wurde die Sache in dieser Auffassung faßlicher.

„Kaiser und Reich – ja,“ sagte er, „das müssen wir wieder haben, denn ohne das kann die Welt nicht wieder in ihre Fugen kommen. Wenn es darum geht, Apotheker Widmer, so ist der Meyer Jochmaring der Erste, der zuschlägt. Um Kaiser und Reich thu’ ich mit. Sagt mir’s nur an, wann die Stunde da ist, und ich werde nicht fehlen mit meiner langen Entenflinte und mit Kraut und Loth und was dazu gehört“.

„So ist’s recht, Meyer,“ rief der Apotheker, ihm die Hand

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verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1875, Seite 813. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_813.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)